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# taz.de -- Bildung: Studenten aus anderen Schichten
> Studierende aus nichtakademischen Familien stoßen an der Uni mitunter auf
> Widerstand. Die Initiative Arbeiterkind.de will ihnen helfen.
Bild: Die Schönheit der Chance.
Eine Bar in Friedrichshain, etwa 20 Männer und Frauen sitzen um
zusammengeschobene Tische bei Rotwein und Bier: Mentorenstammtisch der
Berliner Ortsgruppe von Arbeiterkind.de. Ziel der bundesweiten Initiative
ist es, mit Hilfe von Mentoringprogrammen und einem Infoportal im Netz mehr
Kinder aus nichtakademischen Familien an die Universitäten zu bringen.
So einen wie Sven Weilacher zum Beispiel, Bauingenieur und eigentlich nur
ein halbes Arbeiterkind. Er trinkt Pils, blickt in die Runde seiner
MentorenkollegInnen und erzählt, wie er als einziges von vier Kindern eine
Gymnasialempfehlung bekam. Und wie die Oma daraufhin sagte: „Mach was
Bodenständiges, geh Geld verdienen.“ Die Schwestern und der Vater – obwohl
selbst Architekt – zogen ihn auf. Streber, und wie fein er sich denn
ausdrücke: „Kannste nich’ normal reden?“
Bei Niklas Haarstick, ebenfalls Mentor bei Arbeiterkind in Berlin, waren es
die KommilitonInnen, die ihm in den ersten Semestern seines
Theologiestudiums an der Uni Tübingen klarmachten: Du bist anders. „Ich war
einer der wenigen, die nicht aus einer Dynastie von Pastorenkindern kamen
oder deren Eltern wenigstens studiert hatten.“ Haarstick – Vater Kaufmann,
Mutter Bankangestellte – stellte in den ersten Semestern Fragen, über die
die anderen den Kopf schüttelten: So was weiß man doch! Er hatte keine
Ahnung, was ein Proseminar ist. Er nutzte die Uni-Bibliothek zur
Klausurvorbereitung, seine KommilitonInnen vertrauten auf die Hilfe von
Papa zu Hause. Gezweifelt habe er deswegen nie an sich, auch benachteiligt
habe er sich nicht gefühlt, betont Haarstick. Und doch drängelte er sich
plötzlich in den Vordergrund: der Bildungshintergrund der Eltern, dieser
„Unterschied an Vorbildung“, wie Haarstick ihn bezeichnet.
Einige, wie Niklas Haarstick, nehmen diesen Unterschied nur wahr. Andere
aber trauten sich deshalb überhaupt kein Studium zu, sagt Katja Urbatsch.
Vor gut fünf Jahren gründete Urbatsch, derzeit Doktorandin an der
Justus-Liebig-Universität Gießen und selbst aus nichtakademischem
Elternhaus, Arbeiterkind.de. „Ich hatte damals das Gefühl, die Gruppe der
Nicht-Akademikerkinder wird höchstens in der Statistik wahrgenommen.
Beratungsangebote für sie gab es nicht.“
Doch die Studentin Katja Urbatsch hatte Fragen: Wie das geht mit dem
USA-Stipendium? Wie man so eine Hausarbeit hinkriegt, wenn der
Professorenvater zu Hause nicht zur Verfügung steht. Wie man skeptische
Eltern davon überzeugt, dass sich die Investition in ein Studium lohnt. Und
Katja Urbatsch dachte sich, dass sie wohl kaum die Einzige mit solchen
Fragen im Kopf und wenig Unterstützung im Rücken sein könne.
In Deutschland machen Kinder, deren Eltern höchstens einen
Facharbeiterabschluss haben, gerade mal ein Drittel aller Studierenden an
den Hochschulen aus, ermittelte die derzeit aktuellste Sozialerhebung des
Deutschen Studentenwerks von 2009. Was wohl schlicht daran liegt, dass
Kinder aus nichtakademischem Elternhaus – auch bei sehr guten Noten –
weniger häufig eine Gymnasialempfehlung bekommen als Kinder aus
Akademikerfamilien mit dem gleichen oder sogar schlechteren Notenschnitt.
Das zeigt die zweite Internationale Grundschulstudie Iglu 2010.
Mangelnde Beratungsangebote und fehlende emotionale Unterstützung kämen
hinzu, sagt Urbatsch. Mit Arbeiterkind.de sei sie da 2008 in eine Lücke
gestoßen: Zunächst war nur eine lokale Gruppe in Gießen samt der Infoseite
im Netz geplant. Mittlerweile hat die Initiative ehrenamtliche MentorInnen,
insgesamt 5.000 sollen es sein, in etwa 80 deutschen Städten.
In Berlin ist Niklas Haarstick einer von rund 40 Männern und Frauen, die
regelmäßig beraten. Meist sind es praktische Fragen, die die Studierenden
haben: Wie beantrage ich BaföG, wie geht das mit dem Auslandsstudium? „Wir
sind keine psychologische Studienberatung“, sagen Haarstick und Nicole
Thräner, eine der beiden Koordinatorinnen des Stammtisches. Mentor kann bei
Arbeiterkind.de jeder werden, auch ohne spezielle Mentorentrainings, die
zwar angeboten werden, jedoch nicht vorgeschrieben sind. Die meisten
Arbeiterkind-Mentoren sind die Ersten in ihrer Familie, die studiert haben
– und das sei schon eine gute Voraussetzung, um den Job zu machen, glaubt
Haarstick: „Es geht ja vor allem darum, Erfahrungen weiterzugeben und
Vorbild zu sein. Es geht darum, Erfahrungswissen zu vernetzen.“
Eine Art Schwarmintelligenz also. Für den Schwarm – etwa 80 Mal haben die
Berliner MentorInnen 2012 beraten – gibt es monatliche Stammtische und
Sprechstunden, ein von Berlin aus besetztes Infotelefon und das virtuelle
„soziale Netzwerk“ mit Diskussionsforen und Infos zum zweiten Bildungsweg
oder einer Doktorarbeit.
## Die nicht hingehören
Sven Weilacher hat trotz Widerständen sein Ingenieursstudium erfolgreich
abgeschlossen, Urbatsch auch. Und auch die anderen Geschichten am
Stammtisch in der Friedrichshainer Bar ähneln sich: Unterstützung durch die
Familie gab es manchmal, Widerstände häufig. Aber deswegen nicht studiert?
Nein.
Dass einem vielleicht irgendwann klargemacht wird, woher man kommt, scheint
für die meisten gar nicht so schlimm zu sein – sofern es denn nicht
beeinflusst, wohin es sonst noch gehen kann. Katja Urbatsch erzählt von
„Bedenken“ gegen ihre Initiative, die ihr auch von potenziellen späteren
Arbeitgebern der AbsolventInnen entgegenschlage: „Aus den Unis bekommen wir
teilweise zu hören, dass wir Leute an die Hochschulen bringen würden, die
dort gar nicht hingehörten, die ein Studium nicht schaffen würden“, sagt
Urbatsch. „Und das, obwohl diese Leute alle eine
Hochschulzugangsberechtigung haben!“ Unternehmen hingegen sagten ihr oft,
sie würden ohnehin nur Leute von bestimmten Universitäten nehmen oder die
Stellen gleich ganz unter der Hand vergeben.
Da hilft dann auch Mentoring nicht mehr viel. Niklas Haarstick, der außer
Theologie auch noch Philosophie und Geschichte studierte, hat es aber auch
ohne Pastorenvater geschafft: auf eine gute Position in einer Berliner
Unternehmensberatung. Nebenbei ist er an der Uni Heidelberg als
Promotionsstudent eingeschrieben. Er trinkt sein Bier aus und klemmt sich
die Aktentasche unter den Arm: Er muss los, morgen wird er im Büro
gebraucht.
26 Mar 2013
## AUTOREN
Anna Klöpper
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