Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Die Leiden der alten Häsin
> Ja, Oma erzählt wieder vom Krieg. Das war damals, als ich frisch auf die
> Buchmesse kam. Den ganzen Tag Prosecco und Wettrauchen!
Ja, Oma erzählt wieder vom Krieg. Das war damals, als ich frisch auf die
Buchmesse kam. Den ganzen Tag Prosecco und Wettrauchen! Bücher zum halben
Preis! Die ultimative Dauerparty mit Prominentenspotting! An jedem Stand
trank Harry Rowohlt! Abends jagte eine Verlagsparty die nächste! Wer waren
nur diese graugesichtigen Mieslinge, die gebeugt in den Gängen
herumschlappten und Missstimmung verbreiteten? Christliche Buchhändler aus
der Provinz, denen die ganze Richtung nicht gefiel?
Jetzt weiß ich es. Ich bin eine von ihnen geworden. Es sind die, die den
ganzen Käs seit über zwanzig Jahren mitmachen. Ihre Bärte wallen inzwischen
auf die Füße, ja, auch bei den Frauen. Morgens muss ich immer früher
aufstehen, um mich in meinem überteuerten Frankfurter Verlies
menschenähnlich zu gestalten, ehe ich die Hallen der ewigen Verdammnis
betrete.
Rauchen und Prosecco wurden abgeschafft. Verlagsempfänge meide ich seit
meinem zweiten Messejahr. Schon damals wollte ich mich nicht für eine
Gratisboulette und ein schales Bier von schnorrendem Fußvolk zertanzen oder
zertrampeln lassen. Oder noch schlimmer: zu Tode gelangweilt werden von
Beinahe-Autoren, die mir ihre langweiligen Drecksprojekte in die Ohren
gießen, weil sie mich mit jemand Wichtigem verwechseln.
Wen das erwischt, der darf aber hoffen: Ich habe gehört, dass im Dienst
getötete Verlagsmitarbeiter in den Messekatakomben gesammelt und dort bis
zum nächsten Jahr regeneriert werden. Ab dem zweiten Messetag sind sie von
den Ungetöteten nicht zu unterscheiden.
Seit dem dritten Messejahr kann ich an den Ständen keine Bücher mehr
erkennen. Es sind zu viele. Das Angebot macht mich ratlos und unglücklich.
Außer unglücklich war ich auf der Buchmesse schon: verkatert, vergrippt,
verliebt, schwanger, mit einer Zahnwurzelentzündung gesegnet, von einer
Penicillin-Allergie gebeugt, depressiv sowie verkatert und vergrippt auf
einmal. Alle diese Zustände werden durch Anwesenheit auf der Buchmesse um
den Faktor 3 verstärkt – na gut, die Schwangerschaften nicht. Bei
Anwesenheit von Prominenz der Z-Klasse (Dieter Bohlen etc.) gilt der Faktor
4.
Außerdem habe ich Standwahnsinn, der jedes Jahr schlimmer wird. Also, das
war damals, als ich frisch auf der Buchmesse war. Da sagte doch einer von
den Graugesichtigen – Moment, ich sehe da gerade eine Freundin von mir, der
ich eine Anthologie über das Schnarchen in der Weltliteratur angeboten
habe, die ist Gastlektorin bei einem Küchentischverlag und hat gesagt, o,
jetzt hat sie mich gesehen, hallo! Na, wieso geht sie jetzt vorbei?
Also, das war – ich glaube, ich gehe sowieso lieber zu Suhrkamp mit dem
Projekt, das ist eine Marktlücke, da fliegen die drauf, und der Rest ist
auch nicht besser. Nein, wir haben keine Tüten, nein, der Kaffee ist nur
für spezielle Gäste, nein, Frau Dr. Holzkötter-Buchmann ist heute nicht da,
und irgendwann werde ich doch noch berühmt. Wie, was hat er gesagt? Wer?
Ach so, ja, der. Der hat gesagt: „Früher wurde hier auch mehr gevögelt.“
8 Oct 2013
## AUTOREN
Susanne Fischer
## TAGS
Rauchen
Spam
Konsum
Pubertät
Dänemark
Sprache
Gastronomie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Stille Post, heilige Post
Die alltäglichen Quälgeister der Elektrokommunikation und ihre sagenhaften
Umgangsformen.
Die Wahrheit: In der Paybackhölle
„Haben Sie eine Kundenkarte?“ Ich hasse diese Frage. Warum ich einfach mal
so an der Kasse blechen und nicht länger an kapitalistischen Auswüchsen
leiden will.
Die Wahrheit: In der ewigen Pubertät
Wenn manche Leute behaupten, Erwachsensein wäre kein pubertäres Spiel, dann
lügen diese Scheinerwachsenen ganz gewaltig.
Die Wahrheit: Andere Urlauber kauften auch Hirn
Das dänische Ferienhaus buchte ich im Internet. Damit machte ich mich nicht
nur zum gläsernen Mitbürger, sondern gleich zum Affen.
Die Wahrheit: Der Kettenwortkritikpunkt
Was andere Nationen an den Deutschen fürchten, ist die fiese Sprache. Vor
allem sind es die Komposita, mit denen wir Schreckenspunkte sammeln können.
Die Wahrheit: Stirb, garstiges Gastrowesen!
Immer wird man schlecht behandelt, und falls man mal gut behandelt wird,
weiß man, sie tun nur so, weil man sie bezahlt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.