# taz.de -- Die Gründung der taz-Leibesübungen: Bruno Pezzeys blaue Augen | |
> Brot und Spiele und Opium fürs Volk: Wie es zur taz-Sportseite kam und | |
> warum sie trotz geschichtlicher Last Leibesübungen heißt. | |
Bild: Späte Rache am Sportlehrer? Mit den Leibesübungen funktioniert's bestim… | |
Wer in der taz zu Beginn der 80er Jahre etwas Neues einführen wollte, der | |
musste „ein Papier“ schreiben und seinen Vorstoß analytisch-theoretisch | |
begründen. Vor jeder größeren Sitzung („taz-Plenum“) wurden | |
ehrfurchtgebietende Stapel an Papieren verteilt. Sie sollten mindestens so | |
lang sein, dass sie niemand noch schnell durchlesen und ernsthaft prüfen | |
konnte. In meinem Papier wurde die Gründung einer Sportseite gefordert und | |
entsprechend der Wichtigkeit des Anliegens auf vielen Seiten ausführlich | |
begründet. | |
Es ging um Männlichkeit und Körper, um Rassismus und Nationalismus, um | |
Fußball in den Massenmedien und als Paradoxon der Moderne. Um Brot und | |
Spiele und Opium fürs Volk. Und natürlich um Fußball als Deutungsschablone | |
der politischen Realität. Einschlägige Soziologen hatten dazu ausreichend | |
Stoff geliefert. Ich sage nur: Fußball als „Mikroskop komplexer | |
Verflechtungen des Sozialen und als Zusammenwirken von gesellschaftlichen | |
Makro- und Mikrostrukturen“. Großartig! | |
Die Überschrift des Elaborats hieß: „Die blauen Augen des Bruno Pezzey“. | |
Pezzey war damals Libero der Frankfurter Eintracht und ein extrem gut | |
aussehender großer Kerl mit mächtigem Lockenwusch. Ich hatte ein | |
Schwarzweißfoto in das Papier einkopiert. Schließlich war das Votum der | |
taz-Frauen entscheidend, von denen die Mehrheit eine Sportseite als dumpfe | |
Machomacke ablehnte. Außerdem driftete die Überschrift weg vom rein | |
Fußballerischen, und darauf kam es ja an. | |
Sie lenkte vom eigentlichen Vorhaben ab: Ziel der taz-Sportseite war es | |
natürlich auch – nach 30 Jahren darf man das zugeben –, unsere | |
Fußball-Besessenheit mit donnernder Rhetorik und entsprechender Links- und | |
Rechthaberei aus dem häuslichen Fernsehzimmer auf die kostbaren taz-Seiten | |
zu verlagern. | |
Wenn wir zu Hause während der „Sportschau“ kundtaten, dass Bernd Hölzenbe… | |
ein Tiefflieger und Katsche Schwarzenbeck ein Meerschweinchenschänder sei, | |
dann waren das Pointen, die der Welt verloren zu gehen drohten. Künftig | |
sollten auch die taz-Leser an solch wuchtigen Einschätzungen Anteil nehmen. | |
Die Argumentationslinie des Papiers schloss mit einem flammenden Plädoyer: | |
Fußball und Sport seien wichtige Bestandteile der gesellschaftlichen | |
Konstruktion. Die taz könne es sich nicht länger leisten, davor die Augen | |
zu verschließen. | |
## Komfortable Mehrheit | |
Nach geschickten bilateralen Vorverhandlungen mit Meinungsführerinnen der | |
taz rechnete ich mit einer knappen Mehrheit für die Sportseite. Sie fiel | |
dann komfortabler aus als gedacht. Die Sehnsucht nach einer „richtigen“ | |
Zeitung, zu der unbestritten auch ein Sportteil gehört, tat ein Übriges. | |
Ein klarer Abstimmungserfolg mit fast 40 Ja-Stimmen: künftig also einmal | |
die Woche taz-Sport. | |
Der Name für die Sportseite war schnell gefunden. Natürlich konnte im | |
Zeitungskopf über der Pagina nicht einfach „Sport“ stehen, eine ironische | |
Brechung war Pflicht. Also: Leibesübungen! Ganz turnvaterjahnmäßig und | |
schwer altertümlich. Dass die Nazis ehedem einen „Deutschen Reichsausschuss | |
für Leibesübungen“ gegründet hatten, konnte uns nicht anfechten. | |
Das Wort „Leibesübungen“ war erstens sehr viel älter als die Nazis, und | |
zweitens stand in meinen Schulzeugnissen am schwäbischen Gymnasium noch bis | |
in die 70er Jahre hinein: Leibesübungen. So waren die Leibesübungen der taz | |
auch eine späte Rache am doofen Sportlehrer. Die Namensidee wurde in der | |
kleinen Runde der taz-Fußballjunkies angenommen. Tonio Milone, | |
dribbelstarker taz-Finanzer, schlug zudem als feste Rubrik den | |
„Press-Schlag“ vor. Als Italiener, der davon überzeugt war, dass jeder | |
seiner Landsleute „sehr viel besser ficken und Fußball spielen kann“ als | |
alle Deutschen, hatte sein Wort Gewicht. Auch die „Gurke des Tages“, die | |
später auf die Wahrheitsseite auswanderte, wurde als interessante Rubrik | |
fest installiert. | |
So erschien im Oktober 1983 die erste Sportseite in einer linksradikalen | |
deutschen Zeitung. Nur ein Leserbriefschreiber monierte den Namen | |
„Leibesübungen“. Dieser Brief ging unter angesichts des Torjubels und der | |
freudigen Zurufe aus allen Ecken der Republik. Sofort trudelten die ersten | |
„unverlangten Manuskripte“ ein: Kriegserklärungen an Bundestrainer Jupp | |
Derwall, eine Vorschau auf die wasserfreie Wettangel-EM im Harz oder Bernd | |
Müllenders wunderbare Reportagen über die bunte Liga Aachen mit den | |
Topteams Partisan Eifelstraße und Juventus Senile. Wir waren glücklich! | |
18 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
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