# taz.de -- Henning Harnisch über Basketball: The Times They Are A-Changin’ | |
> Der Ex-Profi und Vizepräsident von Alba Berlin, Hennig Harnisch, über den | |
> Werdegang des deutschen Basketballs, kurze Hosen und das Dream Team. | |
Bild: „Ich war Teil von etwas Großem“: Henning Harnisch stopft 1996 den Ba… | |
Matti Lieske: Als die taz-Leibesübungen im Oktober 1983 an den Start | |
gingen, versuchte die bundesdeutsche Basketballnationalmannschaft gerade, | |
sich für die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles zu qualifizieren. Wo | |
warst du zu dieser Zeit? | |
Henning Harnisch: Da war ich 15 und habe in Marburg Basketball gespielt. Zu | |
der Zeit war ich in der Kadetten-Nationalmannschaft, so hieß das damals. | |
Das war die Zeit, als es losging mit [1][Detlef Schrempf]. 1983 war die EM | |
in Frankreich, da habe ich zum ersten Mal Schrempf im Fernsehen gesehen und | |
war fasziniert, weil der so anders Basketball gespielt hat. | |
Wie spielte man damals Basketball? | |
Das war eine ganz andere Welt. Schulturnhallen, Akademikerspieler, dazu die | |
damalige Mode, kurze Hosen, Bartträger. Schrempf dagegen war in die die USA | |
gegangen auf die Highschool, dann aufs College, das war ein völlig anderer | |
Stil. | |
Sportlich klappte die Qualifikation der Basketballer für Olympia damals | |
nicht, aber wegen des Boykotts rückte das BRD-Team für die Sowjetunion nach | |
und verlor im Viertelfinale von Los Angeles nur mit elf Punkten [2][gegen | |
die USA] mit Michael Jordan und Patrick Ewing. Der taz war das übrigens | |
keine Zeile wert. | |
Warum nicht? | |
Olympia war weit weg und damals keine so große Sache für die Leibesübungen. | |
Obwohl es nur eine Sportseite pro Woche gab, war eine davon während der | |
Spiele eine Fotoseite über Profiboxer. Hast du denn das Basketballturnier | |
verfolgt? | |
Ich habe viele Spiele gesehen, die, glaube ich, meist spätabends kamen. | |
Basketball im Fernsehen war ja ein rares Gut zu jener Zeit. | |
In der taz fingen wir dann an, gelegentlich über die NBA zu berichten, und | |
wurden dafür belächelt, bestaunt, teilweise auch angefeindet, kommerzieller | |
Showsport und so. Du hast dich da aber auch schon für die NBA begeistert. | |
Ich hatte die Chance, 1984 ein Jahr auf die Highschool zu gehen, in einem | |
Vorort von Los Angeles. Da hat man zum Beispiel alle Auswärtsspiele der | |
Lakers sehen können. Ich habe das aufgesogen. In Deutschland war die NBA | |
überhaupt kein Thema in den Zeitungen. Die Kunst war, an Informationen zu | |
kommen. Den Vorteil hatten Leute, die in AFN-Ecken wohnten, also in der | |
Nähe von US-Armeestützpunkten. | |
Es ist kein Zufall, dass die westdeutsche Basketballtradition stark an die | |
Nähe von Army Bases gebunden war: Bamberg, Heidelberg, Gießen. Da konntest | |
du nicht nur mit den Amis Basketball spielen, sondern auch College- und | |
NBA-Basketball gucken. Ich war so was von neidisch. In Marburg konntest du | |
gar nichts gucken, außer Regionalliga- oder Damen-Basketball. Marburg ist | |
ein traditioneller Damen-Basketballort. Da bin ich hingegangen. | |
1992 in Barcelona hast du dann selbst gegen Jordan, Ewing und das Dream | |
Team gespielt und [3][mit 43 Punkten Unterschied] verloren. | |
Da hat man gesehen, wie viel Selbstbewusstsein ausmacht im Sport. Wenn du | |
ohne Selbstbewusstsein einen Mannschaftssport betreibst, dann bist du wie | |
dieser Gegner von den Harlem Globetrotters, die Washington Generals, und | |
verlierst mit 43 Punkten. Wenn man sich das Spiel heute anguckt, sehen wir | |
gar nicht so schlecht aus, aber wir sind null geübt, diesen Basketball zu | |
spielen. | |
Von dieser Partie hat die taz immerhin in einem großen Aufmacher berichtet | |
… | |
The Times They Are a-Chan-gin’ … | |
Exakt. „Das ist die höhere Schule, die machen Werbung für Basketball, und | |
wir leiden darunter“, wirst du zitiert. Die Werbung hat zumindest | |
funktioniert. | |
Da gab es Barcelona, wo die NBA mit einem Wahnsinnsteam auf die Welt traf, | |
und fast zeitgleich den Beginn von Streetball. Das zusammen hat echt | |
aufgerüttelt und für eine ganz andere Medienöffentlichkeit gesorgt. Wie war | |
das für euch? | |
Das Dream Team war eine absolute Zäsur. Danach brauchten wir uns nicht mehr | |
zu rechtfertigen für NBA-Texte, und auch US-Sport insgesamt wurde sehr viel | |
salonfähiger, vor allem bei jungen Leuten. Ihr seid dann ja ein Jahr nach | |
dem Olympia-Auftritt sensationell Europameister geworden, und alle sprachen | |
vom kommenden Basketball-Boom. | |
Das ist ja ein wiederkehrendes Phänomen. Da ist man Teil von so etwas | |
Großem, mit dieser Dramaturgie, dem Endspiel am Sonntagabend in der ARD. | |
Und dann schreiben Journalisten am Montag diesen Kommentar, der ist immer | |
und ewig gleich: Das ist die Chance, und jetzt muss was getan werden. Ein | |
Jahr später schreiben dann dieselben Journalisten: Chance verpasst! Weil es | |
nicht gelungen ist, dieses einzelne Ereignis ins Sportsystem zu | |
transzendieren. Aber passiert ist, dass Streetball ins Rollen kam. | |
Auch sonst hat sich eine Menge getan, nicht nur im deutschen, sondern im | |
ganzen europäischen Basketball. Zehn Jahre nach Barcelona wurde ein US-Team | |
aus NBA-Spielern bei der WM in Indianapolis nur Sechster, und die Deutschen | |
kamen auf Platz drei. | |
Meine Generation war ja die erste Profigeneration im Basketball. Ich habe | |
noch die alte Zeit erlebt, mit Kneipenabenden, wo die ganze Zeit nur Witze | |
gemacht wurden. Wir waren dann die ersten, die ausschließlich Basketball | |
gespielt haben, eine Zwischengeneration. Danach kamen die, die schon | |
reingewachsen waren in diese Strukturen. Man hat gemerkt, dass so was einen | |
anderen Menschentypus produziert. | |
Also doch eine rasante Entwicklung. | |
Wir hatten das Glück, dass ein Dirk Nowitzki aufgetaucht ist, der die ganze | |
Generation prägte und die Nationalmannschaft unglaublich stabil gehalten | |
hat. Dadurch kam [4][der dritte Platz bei der WM 2002] zustande und | |
[5][Silber bei der EM 2005]. Aber der deutsche Basketball war in der Tiefe | |
und von den Strukturen her überhaupt nicht auf dem Level der großen | |
europäischen Basketballnationen. Man hatte alle Ausländerregeln aufgehoben, | |
ohne Strukturen zu haben, die jungen Spieler zu fördern. Die Liga hatte | |
sich mehr und mehr professionalisiert von Hallen und Standards her, aber | |
den sportlichen Kern vernachlässigt. | |
Nach deinem Karriereende 1998 hast du dann regelmäßig eine | |
Basketball-Kolumne in der taz geschrieben. Da ging es um andere Dinge. | |
Für mich gab es immer auch eine Basketballkultur, die in Deutschland | |
ziemlich unbekannt war. Deshalb habe ich über Leute wie Kareem Abdul-Jabbar | |
geschrieben oder Bill Bradley, der bei den New York Knicks spielte und | |
später Senator wurde, und ihre Bücher vorgestellt. Außerdem gab es die Idee | |
einer Innensicht. Was im Trainingslager passiert, wie es ist, einen | |
wichtigen Freiwurf zu treffen oder auch nicht, welche verschiedenen | |
Spielertypen es gibt. Eine kleine Phänomenologie des Basketballs, darum | |
ging es. | |
Wenn du heute 15 Jahre alt wärst und ein talentierter Spieler, was wäre | |
anders als 1983? | |
Es wäre komplett anders. Medienmäßig gibt es das Internet mit Basketball | |
ohne Ende, teilweise überragend. Ich mache regelmäßig mit ein paar jungen | |
Spielern Training. Zeitungen spielen da bei der Basketball-Wahrnehmung kaum | |
eine Rolle. Aber wie früh die in Berührung kommen mit Profisport, mit | |
Agenten! Ich bin froh, dass ich in den Siebzigern und Achtzigern | |
aufgewachsen bin, es war in der Retrospektive eine sehr freie, leichte | |
Zeit. | |
19 Oct 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Detlef_Schrempf | |
[2] http://www.youtube.com/watch?v=4nW462F8-q0 | |
[3] http://www.youtube.com/watch?v=3fP43DWt88Q | |
[4] http://www.youtube.com/watch?v=HBlXMw1MEX8 | |
[5] http://www.youtube.com/watch?v=XGbgULwPFSY | |
## AUTOREN | |
Matti Lieske | |
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