# taz.de -- Truppenabzug aus Afghanistan: Auf Nummer sicher gehen | |
> Wann der letzte Konvoi das Bundeswehrlager in Kundus verlassen würde, | |
> durften nur Eingeweihte wissen. Denn die Furcht vor Anschlägen ist groß. | |
Bild: Abzugsroute der Bundeswehr: 300 Kilometer Entfernung zum nächsten Stütz… | |
BERLIN taz | Kundus ist für die Bundeswehr Geschichte. Die Deutschen haben | |
das Camp verlassen – zwei Monate früher als ursprünglich angepeilt und | |
nahezu auf den Tag genau zehn Jahre nachdem das erste Vorauskommando der | |
Bundeswehr in der nordafghanischen Stadt eintraf. Am Freitagabend rollten | |
die Konvois der Bundeswehr mit insgesamt 119 Fahrzeugen und 441 Soldaten | |
aus Kundus heraus. Am Samstagmorgen trafen sie unbeschadet in | |
Masar-i-Scharif ein, der nun letzten deutschen Basis in Afghanistan. | |
Kundus war längst kein Feldlager mehr. Statt in Zelten übernachteten die | |
Soldaten in schmucken Gebäuden mit begrünten Atrien. Die Straßen waren mit | |
Schotter und betonierten Abwasserkanälen für jedes Wetter präpariert. | |
Offiziell hieß das Camp „Regionales Wiederaufbauteam“. Bis zu 2.000 | |
Soldaten lebten zeitweise in dieser kleinen Stadt. | |
Noch vor einem Jahr wurde die Fläche des Lagers verdoppelt. Dann fiel in | |
Berlin die Entscheidung, das Lager Kundus zum Ende diese Jahres aufzugeben | |
– obwohl der Einsatz der Bundeswehr unter dem Mandat der Internationalen | |
Sicherheitsunterstützungstruppe (Isaf) noch bis 2014 läuft. Nach Plan | |
sollen danach noch bis zu 800 deutsche Soldaten im Land bleiben. | |
Aufgegeben wurde jetzt nicht irgendein Außenposten: Kundus steht für die | |
ersten Bodengefechte deutscher Soldaten seit 1945. Insgesamt 35 deutsche | |
Soldaten kamen in Afghanistan bei Anschlägen und durch Beschuss ums Leben, | |
18 weitere durch Unfälle oder Suizid. | |
## 140 Zivilisten bombardiert | |
Kundus steht aber auch für das von dem deutschen Oberst Georg Klein | |
befohlene Bombardement zweier auf einer Sandbank im Kundusfluss | |
festgefahrener Tanklastwagen, bei dem schätzungsweise 140 Zivilisten | |
getötet wurden. Das frühzeitige Aufgeben des symbolträchtigen Camps soll | |
zeigen: Für uns Deutsche ist der Krieg hier beendet. „Wir wollen auf jeden | |
Fall auf Nummer sicher gehen, dass es nicht am Plan gelegen hat, wenn es | |
denn Zwischenfälle gibt“, sagte Oberst Jochen Schneider Anfang September in | |
Kundus. | |
Schneider war der letzte Befehlshaber der Bundeswehr in Kundus und | |
zuständig dafür, den Abzug zu organisieren. Stolz präsentierter er in | |
seinem Büro bunte Grafiken von den überlappenden Phasen des Abzugs. | |
Bei aller zur Schau gestellten Gelassenheit: In ihren letzten Wochen in | |
Kundus wurde die Bundeswehrführung vor Ort sichtlich nervös. Nicht nur | |
afghanische Armee und Polizei, auch die gut gepanzerten Bundeswehrfahrzeuge | |
wurden nun wieder mit Sprengfallen angegriffen. Bei geringsten Anzeichen | |
eines erhöhten Risikos strich die Bundeswehr deshalb Patrouillen oder | |
Transportfahrten. | |
Drohnen, Kampfjets und Hubschrauber suchten die gut 300 Kilometer lange | |
Abzugsroute nach Spuren von verdächtigen Veränderungen ab. „Die große | |
Gefahr ist, dass die Insurgents noch einmal versuchen, eine medienwirksame | |
Aktion zu starten“, so Oberst Schneider wenige Wochen vor dem Abzug. | |
## „Wenn die auf 50 Meter genau treffen, ist das gut“ | |
Der Tag, an dem der letzte Konvoi tatsächlich Kundus verlässt, war deshalb | |
nur einem engen Kreis bekannt. Im Beisein von Außenminister Guido | |
Westerwelle und Verteidigungsminister Thomas de Maizière wurde das Camp | |
schon am 6. Oktober offiziell der afghanischen Armee und der Polizei | |
übergeben. | |
Wie stark die Aufständischen rund um Kundus wieder sind, hatten sie aber | |
schon einen Monat vor der offiziellen Übergabe gezeigt. „CAS bei Isa Khel“ | |
tönte es am Abend des 7. September über die im ganzen Camp für | |
Gefahrenwarnungen installierten Lautsprecher. Wenige Minuten vorher hatte | |
es eine heftige Detonation gegeben. CAS steht für close air support, für | |
Luftnahunterstützung durch Kampfflugzeuge, Hubschrauber oder bewaffnete | |
Drohnen. | |
Diesmal galt die Unterstützung der afghanischen Armee, die nur etwa drei | |
Kilometer vom deutschen Camp entfernt vergeblich versuchte, einen | |
Kontrollpunkt gegen die Angriffe Aufständischer zu verteidigen. Kurz vor | |
der Übergabe an die angeblich doch von den Deutschen so gut vorbereiteten | |
afghanischen Truppen, war dies nicht gerade ein hoffnungsvolles Zeichen für | |
die Zeit nach dem Abzug der Deutschen aus Kundus. | |
Isa Khel ist für die deutschen Soldaten nicht irgendein Dorf: Hier fand am | |
Karfreitag 2010 eines der schlimmsten Gefechte der Bundeswehr in | |
Afghanistan statt; es gab drei Tote und viele Verletzte. Lange wagte sich | |
die Bundeswehr danach nicht mehr in den Ort. Als Isa Khel Ende 2010 dann | |
unter Kontrolle der Deutschen kam, wurde das als großer Fortschritt | |
gefeiert. Und nun können sich die Aufständischen ausgerechnet dort wieder | |
frei bewegen. Was soll erst sein, wenn der letzte deutsche Soldat Kundus | |
verlassen hat? | |
## Museumsreife Lowtechwaffe | |
Die Haubitze vom Typ D-30 ist so etwas wie die Kalaschnikow unter den | |
Geschützen: in der damaligen Sowjetunion in den 50er Jahren entwickelt, | |
robust, und rund um die Welt im Einsatz. Jetzt sollen die Afghanen mit | |
dieser museumsreifen Lowtechwaffe den Krieg führen, den die Bundeswehr | |
selbst mithilfe der Hightechflugzeuge der US Air Force nicht gewinnen | |
konnte. | |
Noch bis Mitte September waren Bundeswehrsoldaten dazu in einer | |
afghanischen Kaserne bei Kundus im Einsatz: Engagiert zeigten die Deutschen | |
den afghanischen Soldaten, wie die eigene Position ermittelt wird, wie | |
Flugbahnen berechnet und die Haubitzen so eingerichtet werden können, dass | |
sie ihre Ziele einigermaßen genau erreichen. „Wenn die auf 50 Meter genau | |
treffen, ist das ein Erfolg“, sagt einer der deutschen Ausbilder. | |
Artillerie sei halt „eine Flächenwaffe“. Mit anderen Worten: für den | |
Einsatz in den dicht besiedelten Gebieten rund um Kundus denkbar | |
ungeeignet. | |
Für den Fall der Fälle wurde innerhalb des seit diesem Wochenende | |
afghanischen Lagers ein abgeschotteter Bereich, der gut 300 | |
Bundeswehrsoldaten Platz bietet, eingerichtet: So ganz hinter sich gelassen | |
haben die Deutschen Kundus dann doch noch nicht. | |
21 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Eric Chauvistré | |
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