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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Antiantischwa
> Integrationskurse für Schwaben sind seit dem 1. Oktober 2013 Pflicht in
> Berlin. Ein Einblick in die Praxis.
Bild: In realistischen Rollenspielen lernen die Kursteilnehmer das richtige Ber…
Hans-Georg Reichle steht schwitzend an der improvisierten Bäckereitheke und
würgt die für seine Zunge so ungewohnten Wörter hervor: "Icke … ditt hier …
och noch n …" Er stockt und dann passiert es: "Weckle!", entfährt es ihm.
Verdammt, das war ein No-go. Hans-Georg wird bleich, denn er weiß, was
gleich passiert. Von hinten brüllt ihn sofort eine Reibeisenstimme mit der
Wucht eines Düsenflugzeugs an, so dass ihm sein schütteres Resthaar quer
über die Halbglatze fliegt. "Dit heißt Schrippe, Junge. S-C-H-R-I-P-P-E!"
Hans-Georg windet sich. "Gebat Se mir noch a Chance!", fleht er den
Kursleiter Dieter Brackmann an. Der stampft derweil wütend auf und ab und
brummt vor sich hin. "Mann, Mann, Mann, ihr seid mir vielleicht Vögel!"
Dann darf der gebeutelte Kursteilnehmer zurück in die Reihen seiner
Gleichgesinnten: Sie sind Teilnehmer eines speziellen Integrationskurses
für Schwaben, die neu nach Berlin gezogen sind.
Derartige Kurse sind seit dem 1. Oktober vorgeschrieben, wenn man seinen
Hauptwohnsitz in Bezirken wie Prenzlauer Berg, Mitte oder Friedrichshain
anmelden will. Zu viele Übergriffe der sogenannten "Antischwa" hat es schon
gegeben und der Senat macht nun kurzen Prozess. Die Schwaben sollen lernen,
möglichst unauffällig zu sein, sich anzupassen und sich am besten gleich
vollständig assimilieren lassen.
## Fit machen für das wilde Berlin
"Uffjepasst!", brüllt Brackmann, "wir jehn mal unters Volk, wa?" Die
Kursteilnehmer wirken nervös angesichts des angekündigten Exkurses. Keiner
mag so recht die geschützte Umgebung des Seminarraums verlassen. Doch
Brackmann ist unerbittlich, er will seine Schwaben fit machen für das wilde
Berlin da draußen - und er würde es schaffen, er hasste Misserfolge.
Dass ihm das gelingen würde, daran zweifelte kaum einer. Mit seinen
professionellen "Schmarotzerkursen" für Arbeitsunwillige und anderweitig
sozialleistungsaffine Personen hatte er durchschlagenden Erfolg in ganz
Ostdeutschland gehabt. Auch seine beliebten Wochenendseminare
"Standesgemäßes Biertrinken" waren der Hit der vergangenen Saison. Jetzt
wollte Brackmann aber einmal etwas zurückgeben und hilflose Süddeutsche in
die Berliner Kultur eingliedern.
Ein ähnliches Ziel, jedoch mit andern Mitteln, verfolgt derweil die
Selbsthilfeorganisation "Anonyme Maultaschen", die in den einschlägigen
Schwabenbezirken mehrere Treffen pro Woche abhält. So auch in der Backstube
einer schwäbischen Bäckerei in Prenzlberg, auf die es in der Vergangenheit
bereits mehre Anschläge gegeben hatte.
Der jüngste Vorfall ist deshalb auch heute Thema der Runde. "Des ka i net
verstanda", wirft der Gastgeber kopfschüttelnd ein und hat noch die
verkohlten Überreste der Schaufensterdekoration in der Hand. "Musst so a
Gschiss macha?", entgegnet ein anderer, dem sie offenbar letzte Nacht den
Porsche-Kinderwagen im Hausflur angezündet haben. Die Lage der Schwaben im
Kiez ist derart angespannt, dass die Diskussion zu eskalieren droht. "Des
isch Bockmischt, woisch!" - "Und du bisch dumm wie an Sack Sägmehl!" Die
Nerven liegen offenbar blank - so blank wie der frisch gefeudelte
Küchenboden einer schwäbischen Hausfrau.
## Gegenangriff der „Maultaschen“
Die Integrationsgruppe von Dieter Brackmann dreht derweil schon eine Runde
in der Ringbahn. Jeder hat ein angetrunkenes Wegbier in der Hand und sich
ein paar Essensreste auf die ausgebeulten Cargohosen drapiert. "So Freunde,
Nächste is unsere! An der Schönhauser machen wir ein druff." Die
Integrationsschwaben fühlen sich langsam wohl in ihrer Rolle und nehmen die
gewohnt proletische Ausgehhaltung des Urberliners an. Gröhlend strömen sie
aus der S-Bahn-Station, um bei "Onkel Manni" endlich echte Eckkneipenluft
zu schnuppern.
Doch so weit kommt es nicht. Bereits ein paar Meter hinter dem Bahnhof
lauert man ihnen auf. Hilfe, das muss die "Antischwa" sein, denken alle
sofort. Doch weit gefehlt. "Do sand de Drecksäu!", schreit ein gutes
Dutzend Angreifer von hinten. Die Selbsthilfegruppe der "Anonymen
Maultaschen" hatte beschlossen, zum Gegenangriff überzugehen. Es geht nun
wild durcheinander. Der schwäbische Bäcker schlägt mit steinharten Broten
auf einen der Kursteilnehmer mit Kapuzenpulli ein.
"Hudelespack!", schreit ein weiterer und wirft mit den Resten seines
Kinderwagens um sich. Mittendrin steht Dieter Brackmann mit einem
Siegerlächeln auf den Lippen. "Ihr macht dit juht, Freunde. Immer feste
druff!" Das klappt doch prima, dachte er. Und eine ordentliche Schlägerei
hatte schließlich schon immer integrative Wirkung.
2 Nov 2013
## AUTOREN
Michael Gückel
## TAGS
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