| # taz.de -- Ruine vor Räumung: Eisfabrik soll vor Kälte schützen | |
| > Das Bezirksamt Mitte will, dass die Eisfabrik an der Köpenicker Straße | |
| > geräumt wird. Die Eigentümerin sträubt sich: Illegale Bewohner sollen | |
| > nicht in die Kälte. | |
| Bild: Protest am Samstag: Gegner der Spreeufer-Bebauung setzen sich auch für d… | |
| Berlin ist nicht Mumbai. Es gibt keine Slums. Allerdings gibt es immer mehr | |
| Ecken in der Stadt, an denen Hütten stehen, die aus Fundholz gezimmert | |
| sind. | |
| Die alte Eisfabrik an der Köpenicker Straße nahe der Jannowitzbrücke ist so | |
| ein Ort. Das Fabrikgebäude aus dem Jahr 1909 stand lange leer und wurde vor | |
| gut einem Jahr von etwa 50 bulgarischen Roma bezogen, die sich hier | |
| Notbehausungen gebaut haben, die sie mit Allesbrennern beheizen. Sie hoffen | |
| vor allem eins: nämlich unbeschadet über den Winter zu kommen. | |
| Jetzt werden die Öfen vielleicht bald auf die Straße fliegen: Das | |
| Bezirksamt Mitte von Berlin hat der Gebäudeeigentümerin, der Bremer | |
| Vermögensgesellschaft Telamon, am 29. Oktober eine Verfügung zugestellt, | |
| sie solle innerhalb von vier Wochen das Gebäude „wirksam und dauerhaft | |
| gegen das Betreten Unbefugter sichern“. Im Klartext heißt das: Sie soll die | |
| Fabrik räumen und zumauern lassen. Bei einer bauaufsichtlichen Begehung | |
| habe man erhebliche Mängel festgestellt: unter anderem sei der Keller von | |
| Ratten befallen. Etliche Fenster und Türen fehlten und es herrsche | |
| Absturzgefahr. Da Gefahr für Leib und Leben bestehe, drängt der Bezirk auf | |
| sofortigen Vollzug und droht an, die Maßnahmen andernfalls selbst | |
| umzusetzen und der Eigentümerin in Rechnung zu stellen. Thomas Durchlaub, | |
| Geschäftsführer der Telamon, sagt dazu: „Ich bin bereit, das Gebäude zu | |
| sichern. Allerdings muss es für die Bewohner eine Ersatzunterkunft geben. | |
| Diese Leute sind nicht freiwillig obdachlos, sondern befinden sich in einer | |
| Notlage. Ich bin nicht bereit, Menschen um diese Jahreszeit in die Kälte | |
| hinaus zu räumen.“ | |
| Der Fall der Eisfabrik ist nicht neu: bereits im Mai dieses Jahres hatte | |
| der Bezirk eine ähnliche Verfügung verhängt. Allerdings hatte die | |
| Bauaufsicht seinerzeit befunden, dass die Gefahr „abstrakt“ und nicht | |
| „akut“ sei. Der Eilvollzug war seinerzeit aufgehoben worden. Die | |
| Eigentümerin hatte schon damals eingewandt, ihr Gebäude sei trotz | |
| Absperrungen von illegalen Bewohnern bezogen worden, die man nicht einfach | |
| „einmauern“ könne. Auch räumen lassen wollte Durchlaub schon im Frühling | |
| nur, wenn der Bezirk eine Ersatzunterkunft stelle. „In Deutschland ist die | |
| öffentliche Hand doch gehalten, Obdachlosigkeit zu vermeiden“, sagt | |
| Durchlaub dazu. „Berlin hat ein Wohnungslosenproblem“, beklagt er. Die | |
| Bewohner hielten sich legal in Deutschland auf, und sie seien EU-Bürger. | |
| „Die Notlage ist unbestritten“, sagt dazu Stephan von Dassel, | |
| stellvertretender Bezirksbürgermeister von Mitte und Bezirksstadtrat für | |
| Soziales. Allerdings seien dem Bezirk die Hände gebunden. Denn zwar sind | |
| Bulgaren EU-Bürger. „Jedoch haben sie erst einmal keinen Anspruch auf | |
| Sozialleistungen. Dieser Anspruch jedoch ist Voraussetzung für eine | |
| Unterbringung in einer bezirklichen Obdachlosenunterkunft.“ Die | |
| bulgarischen Roma fallen somit durch alle Raster. Auch wenn sie, wie | |
| Durchlaub betont, „ordentliche Leute sind, die morgens mit einem frisch | |
| gewaschenen T-Shirt auf Arbeitssuche gehen“. Auf Nachfrage, ob der Bezirk | |
| mit einer Vollstreckung nicht wenigstens bis zum Frühjahr warten könne, | |
| sagt von Dassel: „Ich finde es nicht sozialer, wenn Menschen in solchen | |
| Behausungen leben müssen, als wenn man offen sagt, dass solche Zustände | |
| nicht gehen.“ | |
| Über die Zustände in der Eisfabrik sind auch die Bewohner nicht glücklich. | |
| Sie täten nichts lieber als umzuziehen, äußerten einige von ihnen, die mit | |
| Gelegenheitsjobs ein schmales Einkommen bestreiten. Auch mieten würden sie | |
| gern. Allerdings haben sie auf dem Berliner Wohnungsmarkt kaum eine Chance. | |
| Holger Spöhr, Fachreferent für Migration des paritätischen | |
| Wohlfahrtsverbands Berlin, sieht ein Problem darin, „dass es immer noch | |
| EU-Bürger zweiter Klasse gibt, die von weiten Teilen des Arbeitsmarkts wie | |
| auch von sozialen Absicherungen abgeschnitten sind“. Solange müsse man | |
| versuchen, alternative Lösungen zu finden. In der Harzer Straße in Neukölln | |
| etwa verwirklichte die Aachener Siedlungsgesellschaft ein gelungenes | |
| Wohnprojekt für rumänische Roma, das als Musterbeispiel für Integration | |
| ausgezeichnet wurde. | |
| 11 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Tina Veihelmann | |
| ## TAGS | |
| Obdachlosigkeit | |
| Berlin | |
| Roma | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Obdachlosigkeit nimmt zu: Es wird kalt in der Stadt | |
| Am 1. November beginnt wieder die Berliner Kältehilfe. Weil die Zahl der | |
| Obdachlosen steigt, schlagen die Organisatoren Alarm. | |
| Berlins Spreeufer: Eisfabrik soll zur Factory werden | |
| Eine Initiative will Räume schaffen für Kunst, Kultur und | |
| Kreativwirtschaft. Geldgeber wären da. Doch der Eigentümer träumt von | |
| Luxuswohnungen. | |
| Bulgaren in Berlin: Die Odyssee geht weiter | |
| Die ehemaligen Bewohner der Eisfabrik finden jetzt Unterschlupf in der | |
| Linken-Zentrale. | |
| Eisfabrik Berlin: Letzte Nischen, heiß umkämpft | |
| Graffiti, Partymüll und fotografierwütige Touris: Für die einen ist die | |
| Eisfabrik-Ruine eine hippe Kulisse, für andere ein karges Zuhause auf Zeit. |