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# taz.de -- Ärztin über Gewalt an Frauen: „Wir haben die Tür geöffnet“
> In den 90er Jahren half Monika Hauser vergewaltigten Bosnierinnen.
> Unterstützung findet sie dabei vor allem von Frauen aus Deutschland.
Bild: Pionierarbeit im Bosnienkrieg: Monika Hausers Organisation versuchte, ver…
taz: Frau Hauser, Sie haben mit [1][Medica Zenica], später [2][Medica
Mondiale], eine Organisation aufgebaut, die Frauen in Kriegsgebieten hilft
und sich nicht scheut, politisch zu intervenieren. Aber die
Vergewaltigungen in den Kriegsgebieten gehen weiter. Sind sie manchmal
verzweifelt?
Monika Hauser: Natürlich. Aber aus der Wut über die Ungerechtigkeit, die
Frauen jeden Tag überall auf der Welt erleiden müssen, schöpfe ich Kraft.
Als ich im Januar 1993 als 33-jährige Frau nach Zenica kam, wusste ich kaum
etwas über Bosnien und den Krieg, ich wusste nicht, wie man eine
Organisation aufbaut, ich war nur beseelt von dem Gedanken, etwas auf die
Beine stellen zu müssen, um den vergewaltigten Frauen zu helfen. Diesen
Antrieb habe ich bis heute. Wenn ich sehe, wie Waffenstillstände im Kongo
gebrochen werden und Milizen über die Frauen herfallen, habe ich eine Wut.
Ich bin aber auch wütend, wenn ich frage, was macht eigentlich die
internationale Gemeinschaft, oder besser gesagt, was macht sie nicht.
Was war das Konzept von Medica Mondiale im bosnischen Zenica?
In patriarchalen Gesellschaften werden vergewaltigte Frauen in der Regel
stigmatisiert und ausgegrenzt. Das Medica-Programm kämpft genau dagegen an.
Wir wollen die Frauen nicht nur gynäkologisch und psychologisch betreuen,
sondern auch ins Leben zurückbringen, sie aus der Isolation herausholen und
sie unterstützen, dass sie ihre Traumata bewältigen können. Dazu haben wir
eine soziale Betreuung entwickelt. Auch politischen Konflikten gehen wir
nicht aus dem Weg. Das Projekt in Zenica lag übrigens in der Ulica
Pionirska, also in der Pionierstraße (lacht). Wir haben in der Tat
Pionierarbeit geleistet.
In welcher Situation begannen Sie das Projekt?
Es gab es nicht nur die serbische Aggression in Bosnien mit all den
Verbrechen der ethnischen Säuberungen und den damit verbundenen
Vergewaltigungen.
Im Frühjahr 1993 fingen auch die Kroaten mit ihrem Krieg gegen Bosnien an.
Bosnisch-kroatische Milizionäre und Soldaten begannen nun ebenfalls
Musliminnen zu vergewaltigen. Und als wir zur kroatischen Küste fahren
wollten, um Hilfslieferungen entgegenzunehmen, wurde uns der Weg durch
diese bosnischen Kroaten verstellt.
Was haben Sie unternommen?
Zu unserem Team gehörte auch ein Fahrer, der gerade aus einem Lager in
Zentralbosnien gekommen war und nur noch aus Haut und Knochen bestand. Der
kam wohlgemerkt aus einem kroatischen Lager, hatte also kroatische Gewalt
erlebt und uns deshalb unterstützt. Mit ihm bin ich von Zenica nach Split
durch die kroatischen Straßensperren gefahren. Dieser Mann ist trotz
unserer UN-Ausweise jedes Mal ein hohes Risiko eingegangen. Wenn uns etwas
passiert wäre, hätte das niemand interessiert. Wir haben also auch
verrückte und gefährliche Dinge getan, um unser Projekt in Zenica zu
stützen.
Was betrachten Sie rückblickend als den größten Erfolg?
Dass es Medica überhaupt noch gibt. Dass es unser Haus in Zenica noch gibt.
Dass wir jetzt ein Projekt in Afghanistan mit 70 afghanischen
Mitarbeiterinnen haben, in Kabul, Herat und Masar-i-Scharif, die wirklich
revolutionäre Arbeit tun, unter Bedingungen, die unsäglich sind. Erfolg
bedeutet, dass wir Fachbücher geschrieben haben, die in der ganzen Welt
zugänglich sind. Wir haben unser Modell erfolgreich weiterentwickelt, es
gibt langfristige Strukturen, es hat sich ein internationales Netzwerk von
Frauen gebildet, die sich gegenseitig stärken.
Gibt es mittlerweile andere, die sich Ihrer Arbeit angeschlossen haben?
Der ganzheitliche Ansatz, den wir vertreten, ist wohl nicht kopiert worden.
Aber es gibt andere Organisationen, so wie Amica und Viva Zene in Tuzla,
die sich ebenfalls um Vergewaltigungsopfer kümmern. Amica wird von Freiburg
aus unterstützt, Viva Zene aus Dortmund. Es sind also damals auch andere
Frauen nach Bosnien gekommen und haben Projekte gegründet. Inzwischen
stehen diese Projekte auf eigenen Beinen. Alle bosnischen Projekte, auch
Medica Zenica, sind mittlerweile in bosnische Hände übergegangen. Das ist
doch ein großer Erfolg.
Warum engagieren sich ausgerechnet so viele deutsche Organisationen für
Vergewaltigungsopfer im Krieg?
Ich kann nicht für die anderen sprechen. Für mich ist es wichtig,
Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zu übernehmen. Meine Familie, die
ursprünglich aus Südtirol stammt, ist ebenfalls geprägt von Gewalt gegen
Familienmitglieder. Ein Teil der Familie meiner Mutter ist nach Bayern
ausgewandert. Nach dem Willen Hitlers und Mussolinis sollten die Südtiroler
ihre Heimat verlassen.
Welche Erfahrungen hat Ihre Familie gemacht?
Meine Mutter hat auch Tiefflieger und Bomben erlebt. Als ich noch ein Kind
war, hat sie mir immer wieder von ihrer Traumatisierung erzählt. Ich war
also schon als Kind indirekt mit Krieg und sexueller Gewalt konfrontiert
worden. Das hat mich geprägt. Bis hin zu dem Bewusstsein, ich müsse
Verantwortung übernehmen und die Welt verändern.
Vor fünf Jahren wurden sie mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt. Welche
Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie?
Das wirkte damals sehr ermutigend auf mich und auf uns alle. Dass die Jury
dieses weltweit sehr hoch angesiedelten Preises entschied, mich und Medica
Mondiale auszeichnen, war ein Signal, das Problem der
Kriegsvergewaltigungen ganz nach vorn zu stellen. Danach gingen die
politischen Türen etwas einfacher auf. Trotzdem ist es immer noch schwer
genug, politisches Gehör zu finden.
Wo ist die Unterstützung für Ihr Projekt am größten?
Vor allem in Deutschland gibt es ältere Frauen, die mich seit 20 Jahren
unterstützen, Frauen, die mir Briefe schreiben, in denen steht: Frau
Hauser, ich habe das alles 1945 erlebt, ich habe damals keinerlei
Unterstützung bekommen, ich bin sehr krank und medikamentenabhängig, ich
konnte mein Leben lang nie darüber sprechen, was passiert ist. Solche
Briefe bekomme ich. Ich war auf einer internationalen UN-Konferenz, und da
kam eine hochrangige UN-Frau in der Pause zu mir, sie sagte, ich habe das
auch erlebt und konnte das niemandem erzählen. Das heißt, von der einfachen
alten Frau bis zur hochrangigen politischen Person, unabhängig vom Status,
können viele Frauen immer noch nicht über ihre schrecklichen Erfahrungen
sprechen. Ich denke, wir haben für viele ein Stück weit die Tür geöffnet.
25 Nov 2013
## LINKS
[1] http://www.medicazenica.org/
[2] http://www.medicamondiale.org/?L=1
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Vergewaltigung
Gewalt
Frauen
Alternativer Nobelpreis
Bosnien und Herzegowina
Schwerpunkt Afghanistan
Gewalt gegen Frauen
Frauen
häusliche Gewalt
Tahrir-Platz
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