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# taz.de -- Bilder von Gescheiterten: Die Säulen des Systems
> Die Hamburger Künstlerin Katharina Kohl porträtiert die Ermittler der
> NSU-Morde: Verfassungsschützer, Kriminal- und Polizeibeamte.
Bild: Menschen, die nicht richtig hingesehen haben - im schnellen Aquarell geba…
HAMBURG taz | Als sie Helmut Roewer im Fernsehen sah, wusste sie, dass da
etwas faul ist. Dass es etwas gibt, was man nicht versteht am
Ex-Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, der bei den NSU-Morden
eine so unrühmliche Rolle spielte.
„Ich wollte wissen, was das für ein Mensch ist“, erzählt die Hamburger
Künstlerin Katharina Kohl. Denn Roewer saß ja zwischen allen Stühlen: Er
war kein Täter, aber auch kein Verhinderer der Morde des NSU-Trios. Roewer
war vielmehr Beamter wie viele in dem Apparat, der diese zehn Morde und 13
Raubüberfälle nicht verhinderte. Der Teil dieses Systems war, das
irritierend durchlässig war für „das Böse“.
## Unspektakuläre Typen
Dabei wirken diese Leute aus Kriminalämtern, Verfassungsschutz und Polizei
zunächst gar nicht spektakulär. Aber sie sind Rädchen im Getriebe, sie
machen das Getriebe letztlich aus, formen auch dessen ethischen Corpus, und
deshalb hat sich Katharina Kohl für sie interessiert. Sie wollte wissen:
Wie kam diese Durchlässigkeit, warum fahnden diese Menschen unzureichend
oder in die falsche Richtung, wie ticken diese Leute?
Und da die Künstlerin da kognitiv nicht herankam, tat sie, was sie in
solchen Fällen immer tut: Sie malte Roewer, um zu verstehen. Dann hatte sie
sein Porträt und verstand das Ganze immer noch nicht, also machte sie
weiter: den BKA-Präsidenten Jörg Ziercke, den Staatssekretär Klaus-Dieter
Fritsche und einen Hamburger Polizeibeamten hat sie ins Aquarell gebannt.
Sie ist zum NSU-Untersuchungsausschuss nach Thüringen gefahren, hat
Hunderte Wortprotokolle gelesen, hat sich all diesen Untiefen ausgesetzt,
und irgendwann stand fest: 40 Porträts sollen es werden von
Schlüsselfiguren dieser Ebene unterhalb der Ministerialen.
Und natürlich musste sie die Menschen kennen lernen, um zu malen, „ich kann
ja nicht nur nach einem Foto malen“. Deshalb hat sie versucht, einige live
zu sehen und bei anderen nach Videos gefahndet. Die hat Katharina Kohl dann
angeguckt, immer wieder. In Normaltempo und in Zeitlupe. Hat darauf
geachtet, wie viel Raum sich derjenige nimmt, wie nah er andere an sich
heranlässt, ob er sich quasi „über“ ihnen platziert.
## Das eigene Urteil überwinden
„Irgendwann kommt dann der Moment, in dem ich wirklich neugierig bin auf
diese Person. Diesen Augenblick muss ich abpassen und malen. Denn es geht
ja darum, sich in einem vorurteilsfreien Zustand zu versetzen“, sagt die
Künstlerin. Einmal zum Beispiel habe sie die ganze Zeit gedacht, was für
ein Idiot, und konnte nicht weitermalen.
Ihr eigenes Urteil behinderte sie, und das ist nicht Sinn der Sache. „Ich
will ja etwas herausfinden, das ich noch nicht wusste.“ Deshalb hat sie
auch die Aquarelltechnik gewählt: weil sie schnell ist, kaum nachbesserbar.
Weil durch sie der kreative Prozesses quasi in Echtzeit festzuhalten ist.
Was Kohl auf diese Art herausgefunden hat? „Staatssekretär Klaus-Dieter
Fritsche zum Beispiel war mir anfangs harmlos erschienen. Als ich ihn
malte, guckte mir plötzlich jemand entgegen, der so gehorsam war, dass ich
es gar nicht fassen konnte. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Bei
einem Kasseler Verfassungsschützer dagegen hatte ich nach dem Malen den
Eindruck: Der sieht zwar, was passiert, ist da aber zufällig
hineingeraten.“
Das sind zwar keine kriminalistisch verwertbaren Erkenntnisse, aber
Katharina Kohls Bilder sagen etwas über Ausstrahlung. „Als erstes gucke ich
immer auf die Kopfhaltung und auf die räumliche Nähe zu anderen Menschen.“
Und da gebe es schon Unterschiede zwischen den oberen Chargen, die sich auf
einer anderen Ebene fühlten und wo Eitelkeit und Arroganz wichtig seien –
etwa bei Lutz Irrgang, dem ehemaligen hessischen Verfassungsschutzdirektor.
„Er wollte ja damals nicht mit normalen Polizisten reden, sondern nur mit
dem Polizeipräsidenten“, sagt Kohl.
Andere Ermittlungs-Lecks entstanden auf sehr schlichte Art: Da ist zum
Beispiel ein Mensch, der Karriere machen will und deshalb Informationen
unterschlägt, die seinem Vorgesetzten missfallen würden. „Es ist manchmal
so banal“, sagt Kohl.
## Ermöglicher des Bösen
Für Kohl hat das Malen der NSU-Ermittler auch einen therapeutischen Effekt.
Denn das Malen hilft der Künstlerin, eine Art von Souveränität gegenüber
den Dingen zu bekommen. Sich nicht mehr so hilflos zu fühlen.
Und wenn die 40 Porträts fertig sind? Dann sollen sie öffentlich gezeigt
werden – gern auch in den Städten, in denen die NSU-Morde passiert sind.
Und dann bitte nicht in einer adretten Rathausdiele, wo sie als Dekoration
herumhängen. Sondern in einem Raum, der als Ort der Kunst und der Reflexion
erkennbar ist.
„Denn wenn es so etwas wie das Böse gibt, dann kommt es vor allem dadurch
in die Welt, dass ein Mensch den anderen nicht sieht. Dass ein Ermittler
nicht sieht, dass die Opfer und ihre Angehörigen normale Menschen sind,
sondern dass er gleich ’türkische Mafia‘ denkt.“ Und über solche
Stereotypen – potenzielle Ermöglicher des Bösen – müsse viel mehr
gesprochen werden.
27 Nov 2013
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Künstlerin
Ermittler
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