# taz.de -- Haitianer in Dominikanischer Republik: Angst vor dem Lynchmob | |
> Erst beraubte ein Gesetz „Haitianos“ in der Dominikanischen Republik | |
> ihrer Rechte. Jetzt erreicht die Hetze neue Höhepunkte. | |
Bild: Mutter mit Zwillingen: drei von Hunderten in den letzten Wochen deportier… | |
SANTO DOMINGO taz | Andres Pierre starb am 25. November in Neyba. Eine | |
wütende Menschenmenge verfolgte den aus einer haitianischen Familie | |
stammenden jungen Mann in der Kleinstadt im Südwesten der dominikanischen | |
Republik und schlug in tot. Zuvor war dort ein Rentnerpaar von zwei | |
angeblich aus Haiti stammenden Männern ermordet worden. Seit dem herrscht | |
in der dominikanischen Grenzregion ein Klima von Lynchjustiz gegen die | |
Migranten aus dem nahen Nachbarland. | |
Vor dem Mob retteten sich aus Angst bisher mehrere Hundert meist illegal | |
Eingewanderte in die Arme der Polizei. Aber anstatt sie zu schützen, wurden | |
sie nach Haiti abgeschoben – bisher spricht die haitianische | |
Migrationsbehörde von 357 Abgeschobenen. Die reale Zahl dürfte höher sein. | |
„Die Menschen haben Angst, umgebracht zu werden“, sagt Tobias Metzner, der | |
in Haiti für die Internationale Organisation für Migration arbeitet. | |
Jean-Baptiste Azolin von der Gruppe der Repatriierten und Flüchtlingen | |
bestätigt, dass mehrere Personen, einige mit ihren Kindern, einfach auf der | |
Straße festgenommen und „völlig mittellos“ nach Haiti abtransportiert | |
worden seien. | |
Der Antihaitianismus hat in der Dominikanischen Republik lange Tradition. | |
Der hispanisch geprägte Osten erkämpfte seine staatliche Unabhängigkeit am | |
27. Februar 1844 gegen den heute armen haitianischen Nachbarn. Trotzdem | |
sorgten die haitianischen Migranten in den Jahrzehnten danach dafür, dass | |
die dominikanische Wirtschaft boomte – ohne „Haitianos“ geht nichts mehr … | |
Bausektor, in der Landwirtschaft oder im hauswirtschaftlichen Bereich. | |
## „Verdächtige Fälle“ bis 1929 | |
Seit dem 23. September dieses Jahres steigen die Spannungen. Da beschloss | |
der Oberste Verfassungsgerichtshof, den sogenannten Dominico-Haitianern die | |
dominikanische Staatsbürgerschaft rückwirkend abzuerkennen. Zuvor hatte | |
einen Anspruch auf dominikanische Staatsbürgerschaft, wer auf | |
dominikanischem Territorium geboren wurde. | |
Ausgenommen waren lediglich Kinder von Diplomaten oder Personen „im | |
Transit“. Dieses Gesetz wurde jedoch im Jahr 2010 – mit Blick auf die | |
„Haitianos“ – gezielt so modifiziert, dass die haitianischen | |
Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung als „Illegale“ gelten und | |
deshalb der Verfassungsgrundsatz nicht mehr auf sie angewandt werden kann. | |
Inzwischen prüft die Oberste Wahlbehörde, die das standesamtliche Register | |
des Landes führt, sämtliche Personenstands- und Wahlregister „rückwirkend�… | |
bis zum 21. Juni 1929 „minutiös“, um „verdächtige Fälle“ aufzudecken. | |
## 200.000 „Haitianos“ könnten betroffen sein | |
Das Urteil „rückwirkend anzuwenden“ stelle eine „Verletzung der | |
internationalen Verpflichtungen“ des Landes dar, kritisierte die | |
Interamerikanische Kommission für Menschenrechte. „Dadurch würden | |
Zehntausende in der Dominikanischen Republik geborene Personen ihre | |
dominikanische Staatsbürgerschaft verlieren.“ 200.000 „Haitianos“ könnt… | |
davon betroffen sein, fürchten Menschenrechtsorganisationen. | |
Aus Protest gegen das Urteil hat das karibische Staatenbündnis Caricom das | |
dominikanische Beitrittsverfahren suspendiert. Genardo Rincón, Anwalt der | |
in der Domenikanischen Republik geborenen Tochter haitianischer Einwanderer | |
Juliana Dequis Pierre, die den Fall vor das Oberste Gericht gebracht hatte, | |
will den Fall jetzt vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof | |
bringen. | |
Derweil bejubelt die dominikanische, nationalistische Rechte das Urteil und | |
macht mit Parolen wie „Tod den Vaterlandsverrätern“ gegen Kritiker mobil. | |
Hunderttausende von Flugblättern mit den Namen und den Fotos von | |
Parlamentsabgeordneten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten wurden | |
verteilt, die sich für die von der Justiz illegalisierten „Haitianos“ | |
einsetzen. „Ihr habt das Vaterland verraten, schädigt unseren Ruf, | |
beeinträchtigt Investitionen, den Tourismus, die Wirtschaft und den guten | |
Ruf der Dominikaner“, heißt es in der „Fahndungsliste“. | |
28 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Hans-Ulrich Dillmann | |
## TAGS | |
Haiti | |
Dominikanische Republik | |
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