| # taz.de -- Paul Austers „Winterjournal“: Sich selbst atmen hören | |
| > Paul Auster ist ein Phasenschriftsteller: Eine Zeit lang liest man ihn | |
| > wie von Sinnen und lässt ihn dann fallen. Jetzt hat er selbst eine neue | |
| > Phase eingeläutet. | |
| Bild: Paul Auster ist alt geworden. | |
| Mal ein persönlicher Einstieg: Wie so viele Leser hatte auch ich meine | |
| Paul-Auster-Phase. Das war vor zwanzig Jahren. | |
| In meinem Zimmer in der heruntergekommenen Wohngemeinschaft in | |
| Köln-Lindenthal, in dem vom Sperrmüll und aus meinem Kinderzimmer | |
| herübergerettete Möbel ein karges Dasein fristeten und ich einen | |
| Parkhauswächterjob machte, um mein lustlos verfolgtes Studium zu bezahlen, | |
| habe ich sie alle gelesen, ja, nachgerade verschlungen, die Romane dieses | |
| Autors, der – wie sonst vielleicht nur Henry Miller oder, Gott bewahre, | |
| T.C. Boyle oder Milan Kundera – eben ein Phasenschriftsteller ist, einer, | |
| den man eine Zeit lang wie von Sinnen liest, als ob sich in seinen Büchern | |
| Gottes Botschaft befindet, bevor man einen Schritt macht in die nächste | |
| Lebensphase und diesen Autor und seine Bücher hinter sich lässt wie eine | |
| alte Haut. | |
| Vielleicht tut man Paul Auster damit Unrecht. Noch immer verkaufen sich | |
| seine Romane sehr gut, und sein Name wird immer wieder mit dem Nobelpreis | |
| in Zusammenhang gebracht. Jetzt hat Auster, inzwischen 64 Jahre alt, von | |
| sich aus mit seinem „Winterjournal“ eine neue Phase eingeläutet. Die | |
| autobiografische Phase. Eine Erforschung seines Hirns. | |
| Das ist kein Tagebuch im eigentlichen Sinne, sondern eine Selbstbefragung | |
| hinsichtlich der eigenen Lebensstationen anhand des eigenen Körpers. Auster | |
| redet sich konsequent mit „Du“ an und verhandelt alles, was ihm körperlich | |
| untergekommen ist: von den ersten Genüssen, Wunden, Knochen- und | |
| Herzensbrüchen seiner Kindheit und Jugend über die Erfahrungen des | |
| Schreibens und des Alterns bis hin zu Herzattacken und die Erfahrungen des | |
| Todes aus zweiter Hand. „Ein Katalog von Sinnesdaten“, nennt er dies auf | |
| der ersten Seite selbst. „Was man eine Phänomenologie des Atmens nennen | |
| könnte.“ | |
| ## Liebesgeschichte mit Siri Hustvedt | |
| Man erfährt, in welchen Wohnungen Paul Auster unter welchen Umständen | |
| gelebt hat, man erfährt, dass er Gedichte geschrieben hat, schon einmal | |
| verheiratet war, bevor er in der Autorin Siri Hustvedt die Liebe seines | |
| Lebens gefunden hat (eine wirklich so schöne wie unglaubliche | |
| Liebesgeschichte, muss man sagen, die hier wirklich so schön wie | |
| unglaublich aufgeschrieben ist). Man erfährt von den Auseinandersetzungen | |
| und Konflikten mit französischen Nachbarn in Paris oder mit unseligen | |
| Verwandten am Telefon. Man erfährt auch, wie Auster selbst einen Herzanfall | |
| hatte, nachdem er vom Tod seiner Mutter erfahren musste. Und wie er einen | |
| Verkehrsunfall als Autofahrer in Manhattan hatte. | |
| Man erfährt von den engen Freunden, von seiner (jüdischen) Religion, von | |
| der amerikanischen Gesellschaft und den (wohl vielen) Frauen, die er hatte. | |
| Interessanterweise erfährt man auch Dinge, die dem Autor scheinbar selbst | |
| entgehen: Wie besagter Unfall auch ein unbewusster Mordversuch an seiner | |
| Frau war; oder wie sich Auster in Hybris, in Griesgram in Bezug auf | |
| politische Fragen und in Todesängste aufgrund des schleichenden | |
| körperlichen Verfalls hineinsteigert. | |
| Kurzum: Paul Auster ist alt geworden. Was natürlich einen komischen Effekt | |
| hat, wenn man sich als Leser an einen zwanzig Jahre jüngeren Autor | |
| erinnert, selbst aber auch zwanzig Jahre älter geworden ist. Wie man so | |
| eine alte Liebe wieder trifft und sie neu zu schätzen lernt, ohne dass man | |
| die Lust gewinnt, die ignorierten Romane der Zwischenzeit nachzuholen. | |
| Dieses Buch hier reicht. Es ist ein verdammt persönliches Buch. Es ist, | |
| falls es nicht deutlich geworden sein sollte, grandios. | |
| 30 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Rene Hamann | |
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