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# taz.de -- Autorin Siri Hustvest: Eine Frau zeigt Nerven
> Die nordamerikanische Vorzeigeschriftstellerin erkundet in ihrem neuen,
> sehr privaten Buch "Die zitternde Frau" ein eigenartiges Leiden - und
> schreibt zugleich ihren Mythos weiter.
Bild: Siri Hustvedt bei einer Lesung. In solchen Momenten erfährt sie immer ma…
Stilvoll und gebildet, dazu noch attraktiv. Wenn jemand die
Idealvorstellung einer Schriftstellerin verkörpert, dann war dies in den
letzten Jahren ganz sicher Siri Hustvedt. In ihren Romanen beleuchtet sie
Künstlerproblematiken genauso wie die psychischen Dispositionen des
bürgerlichen Nordamerika, in ihren Essays geht es um
literaturwissenschaftliche Fragen, aber auch um Politisches. Und dann ist
sie ja auch noch mit Paul Auster verheiratet. Kaum ein Text über Hustvedt,
in dem also nicht bewundernd das elegante Ambiente des gemeinsamen Hauses
erwähnt wird, Hustvedts geschmackvolle Garderobe und der fast schon
symbolische Kontrast der feingliedrigen blonden Autorin, die norwegische
Vorfahren hat, zum dunkleren Auster.
Was Hustvedt mit ihrem jüngsten Buch "Die zitternde Frau" macht, mag nun
zunächst als eine Demontage dieses Bildes überraschen. "Eine Geschichte
meiner Nerven" heißt der Untertitel des Bandes, dessen Übersetzung der
Rowohlt Verlag bereits vier Monate vor der US-amerikanischen
Originalausgabe in den Verkauf gebracht hat. Es ist nicht eigentlich ein
Sachbuch, sondern das tagebuchartige Protokoll einer Recherche.
Zweieinhalb Jahre nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 2004 hält Hustvedt ihm
zu Ehren eine Rede auf dem Campus des College von Minnesota, wo ihr Vater
fast vierzig Jahre Professor gewesen ist. Als sie zu sprechen beginnt,
ereignet sich etwas Eigenartiges. Die öffentlichkeitserprobte Autorin, die
nie an Lampenfieber gelitten hat, beginnt vom Hals an abwärts krampfartig
zu zittern. Ihre Stimme indes bleibt klar, sie spricht ihren Vortrag zu
Ende, das Zittern hört auf. Ihre Mutter, die der Rede beigewohnt hatte,
berichtet bestürzt von ihrem Eindruck, einer Hinrichtung auf dem
elektrischen Stuhl beigewohnt zu haben.
Immer wieder - aber eben auch nicht immer - passiert es Hustvedt in den
folgenden Monaten, dass sie bei Vorträgen oder Auftritten von diesen
Zitteranfällen heimgesucht wird. Und immer wiederholt sich dabei die
eigentümliche Trennung von Körper und Stimme. Während Hustvedt souverän
weitersprechen kann, gerät ihr Körper außer Kontrolle. "Ich fühlt' den
Spalt in meinem Geist, / als wär' mein Hirn zerteilt; / Zusammennähen
wollt' ich es, / doch blieb es ungeheilt". Wie in den Versen Emily
Dickinsons, die sie ihrem Buch voranstellt, versucht Hustvedt nun, ihren
Spalt zusammenzunähen, was zunächst einmal bedeutet: seine Ursachen zu
ergründen. Sie sucht Neurologen und Psychologen auf, liest Schriften zu
Psychoanalyse und Hirnforschung, vor allem aber denkt sie über ihr
Verhältnis zu ihrem Vater und ihre Trauer über seinen Tod nach. Weil der
erste Anfall sich bei einer Rede über sein Leben ereignete, an einem Ort,
mit dem auch ihre eigene Kindheit eng verbunden war, scheint für Hustvedt
der Vater der Schlüssel zu ihrem Leiden zu sein.
Als eine Art literarische Vorstudie zu dieser Recherche kann man bereits
Hustvedts Roman "Die Leiden eines Amerikaners" lesen. Nicht nur arbeitet
der Ich-Erzähler Erik als Psychoanalytiker, er ist in Hustvedts Geschichte
auch nicht primär damit beschäftigt, verborgene Konflikte seiner Patienten
freizulegen. Vielmehr begibt er sich auf eine Spurensuche in die eigene
Vergangenheit, als er die Tagebuchaufzeichnungen und Briefe seines vor
kurzem verstorbenen Vaters findet. Dass es sich hierbei nicht nur um einen
fiktiven, sondern einen ganz realen Brückenschlag zu ihrer Biografie
handelt, kann man in der Danksagung des Romans lesen, wo Hustvedt verrät,
dass sie die kaum redigierten Tagebuchaufzeichnungen und Briefe ihres
Vaters für den Roman verwendet hat.
Als der Roman vor zwei Jahren erschien, hatten Hustvedts Krämpfe bereits
begonnen. Zynisch wäre freilich die Bemerkung, dass diese literarische Form
der Aufarbeitung für ihr Leben also wenig von Nutze war. Denn fraglos ist
es nicht nur eine beängstigende Situation, wenn man erleben muss, wie der
eigene Körper von Krämpfen geschüttelt wird. Für eine Autorin, die sich
beständig in der Öffentlichkeit bewegt, ist es auch eine existenzielle. Und
wenn es nicht zwingend existenzgefährdend ist, so gerät doch zumindest das
Bild der gebildeten und attraktiven, der idealen Autorin plötzlich ins
Wanken. Könnte man meinen.
Mit fortschreitender Lektüre allerdings wird immer offensichtlicher, dass
Hustvedt genau das Umgekehrte tut. Eher unstrukturiert und mitunter
assoziativ zitiert sie berühmte Fallbeispiele aus der Psychoanalyse herbei,
stellt Quellen zu Hysterie und Konversion, in denen Patienten etwa einzelne
ihrer Körperteile nicht mehr anerkennen oder ihre eigene Blindheit leugnen,
neben ihre eigenen Ärztegesprächen und Untersuchungen, berichtet über ihr
langjähriges Migräneleiden und dessen Nebenwirkungen, denkt über
Erinnerungstechniken nach, erzählt über ihre Schreibkurse mit psychisch
Kranken, um schließlich eine ganze Galerie großer Autoren ins Feld zu
führen, die an Psychosen litten. Für solche Charaktere hat Hustvedt ohnehin
ein Faible. Seien es der Autor Max Blaustein und der Fotograf Lane in "Die
Leiden eines Amerikaners" oder die Künstlerfiguren in Hustvedts Bestseller
"Was ich liebte" aus dem Jahr 2003. Sie alle haben einen Hang zum
Pathologischen, der nicht unwesentlich zu ihrem erzählerischen Reiz
beiträgt.
Auch wenn sie in "Die zitternde Frau" den allzu einfachen Schluss von
psychischer oder neuronaler Versehrtheit und Genie nicht ausspricht, so
betreibt sie aber eben keine Demontage. Sondern durch das
medizingeschichtliche Material, das sie auffährt und das sie immer wieder
versuchsweise mit ihren Krankheitssymptomen zusammenfügt, gibt sie dem
Hustvedt-Bild eine wesentliche Komponente hinzu: die der leidenden und ihre
Leiden ertragenden, ungeheuer sensibel auf ihre Umwelt reagierenden
Autorin, die bereits als Kind überemphatisch die Schmerzen anderer
mitempfand, für die die intensive Farbe isländischer Bergseen kaum zu
ertragen ist - und deren Köper nun von Zitteranfällen heimgesucht wird.
Konfabulieren, so Hustvedt, nennen Neurologen die Geschichten, die
Hirngeschädigte erzählen, um zu erklären, was sich Rätselhaftes mit ihnen
ereignet. Auch Hustvedt erzählt, ausgehend von den rätselhaften
Zitteranfällen ihres Körpers, eine Geschichte, die immer auch eine
Geschichte über das Schreiben ist, über das Er-Schreiben des Vergangenen
und Verborgenen. Das Zusammennähen, das Schließen des Spalts, wird am Ende
dieser Geschichte nicht gelungen sein, weder Neurologen noch Psychiater
konnten bisher eine Erklärung für die Anfälle finden, genauso wie nicht
schlussendlich klar ist, ob der Tod ihres Vaters tatsächlich der Auslöser
hierfür war. Aber Hustvedts Autorinnen-Mythos ist durch die
Ausbuchstabierung dieses Spalts zweifelsohne um einiges flirrender und
geheimnisvoller geworden. Vor Auftritten und Lesungen nimmt Hustvedt
übrigens Betablocker ein, die das Zittern, jedenfalls äußerlich,
verhindern.
1 Feb 2010
## AUTOREN
Wiebke Porombka
## TAGS
Kunstbetrieb
Autobiografie
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