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# taz.de -- Fussfessel in Berlin: Stalker an der langen Leine
> Zum ersten Mal ordnet ein Berliner Gericht das Tragen einer Fußfessel an.
> Der entlassene Straftäter hatte eine Frau schwer verletzt. Nun klagt er
> gegen die Maßnahme.
Bild: So sieht sie aus, die Fessel.
Jede Frau, die mit ihm zu tun habe, sei in höchstem Maße gefährdet. Der
Ausspruch stammt von einem psychiatrischen Sachverständigen, der Matthias
K.* in einem früheren Prozess begutachtet hatte. Wie ein roter Faden zieht
es sich durch seine Strafakte: Alle Frauen, die später seine Opfer wurden,
hatten mit K. zuvor beruflich oder privat zu tun. Eine Vikarin zum
Beispiel, die sich bei einem seiner Gefängnisaufenthalte um ihn gekümmert
hatte; eine Studentin, die ihn über eine Annonce kennengelernt hatte und
kurzzeitig mit ihm liiert war.
Das Muster war immer das gleiche: Wendeten sich die Frauen von ihm ab,
verfolgte sie der zur Cholerik neigende K. mit Psychoterror. Auch wegen
Gewalt- und Sexualdelikten ist der Mann vorbestraft. Die letzte Tat, bei
der er der Studentin, die ihn verlassen hatte, eine Schere in den Hals
gerammt hatte, liegt 15 Jahre zurück.
Seit einer guten Woche befindet sich Matthias K. wieder in Freiheit. Der
heute 62-Jährige, der früher als freier Journalist unter anderem Prozesse
im Kriminalgericht Moabit beobachtet hatte, ist auf Bewährung aus der
Sicherheitsverwahrung entlassen worden. Um seine früheren Opfer zu
schützen, hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts entschieden,
dass er eine elektronische Fußfessel tragen muss. Es ist das erste Mal,
dass ein Berliner Gericht diese Maßnahme bei einem entlassenen Straftäter
angeordnet hat.
Noch trägt K. die Fußfessel nicht. Er habe Beschwerde gegen die
Entscheidung eingelegt, teilte ein Justizsprecher mit. Wenn die Beschwerde
keine aufschiebende Wirkung hat, wird K. in den nächsten Tagen eine Ladung
zum Anlegen der Fußfessel erhalten. Das Gerät in der ungefähren Größe eines
Handys ist mit einem festen Plastikband am Knöchel befestigt. Es beinhaltet
ein Navigationsgerät, einen GPS-Empfänger und einen Sender. Die Montage
wird in Berlin im Beisein eines Polizisten von der privaten
Sicherheitsfirma Securitas vorgenommen.
Securitas hat einen Kooperationsvertrag mit der Gemeinsamen
Überwachungsstelle der Länder für die elektronische Fußfessel (GÜL), die im
hessischen Bad Vilbel ansässig ist. Die Stelle überwacht seit Anfang 2012
zentral alle Fußfesselträger in Deutschland. Derzeit handele es sich um
rund 60 Personen, sagt GÜL-Leiter Klaus-Dieter Amthor. Jeweils zwei Beamte
sitzen dort rund um die Uhr vor den Computern, in denen alle Daten der zu
überwachenden Personen eingespeist sind. „In der Regel handelt es sich um
Probanden, die nach der Verbüßung ihrer Haftstrafe unter Führungsaufsicht
stehen, weil eine Wiederholungsgefahr besteht.“
Das Tragen einer Fußfessel ist immer mit Führungsaufsicht verbunden. Neben
Meldeauflagen handelt es sich dabei vor allem um Weisungen, bestimmte
Gebiete nicht zu betreten. Die Verbotszonen sind in der Fußfessel
einprogrammiert. Eine denkbare Weisung: Der Proband darf München nicht
verlassen oder sich Kindergärten und Schulen nicht nähern. Übertritt er die
Grenze, vibriert es an seinem Knöchel, gleichzeitig wird in der Zentrale
Alarm ausgelöst. „Wir greifen sofort zum Telefon“, sagt Amthor. „Jeder
Proband ist verpflichtet, ständig über Handy erreichbar zu sein.“
Matthias K. habe vom Gericht mehrere Weisungen bekommen, sagt
Justizsprecherin Lisa Jani. Es handele sich um Meldeauflagen und
Abstandsgebote, auch auf frühere Opfer bezogen. Dass es sich dabei um die
Studentin handelt, bestätigt Jani nicht. Gerichtssprecher Tobias Kaehne
zufolge ist die Fußfessel vor allem angeordnet worden, „weil eine gewisse
Gefahr besteht“, dass K. eine Therapeutin angreifen könne. Die Frau habe
mit K. während des Vollzugs bei einer Therapie zusammengearbeitet, bis
Konflikte aufgetreten seien. Drei Kilometer Abstandsgebot zur Wohnung der
Therapeutin und einen Kilometer zu ihrer Arbeitsstelle laute für K. die
Vorgabe.
„Zähnefletschend und in rasender Wut“ habe sich K. auf sie gestürzt, hatte
die Studentin die Attacke 1998 vor Gericht beschrieben. „Ich bin
ausgerastet“, sagte K. seinerzeit. Die Intensität und der Hass, mit denen
er Frauen verfolge, die sich seinen Totalitätsansprüchen entzögen, trügen
psychopathologische Züge, urteilten frühere Gutachter.
Das Wissen um die Fußfessel nehme früheren Opfern bis zu einem gewissen
Grad die Angst, „deshalb ist sie gut“, sagt GÜL-Leiter Amthor. Verhindern
könne man Straftaten dadurch aber nicht. Lediglich das „Entdeckungsrisiko
ist 100 Prozent“.
* Name geändert
2 Dec 2013
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Justiz
Berlin
Beschwerde
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Kneipe
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