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# taz.de -- Endlich eine eigene Kneipe: Mit Fußfessel hinterm Tresen
> Hamburg, Berlin, München – die Menschen zieht es in die Städte, an jeder
> Ecke macht eine Kneipe auf. Wie das geht? Unsere Autorin hat es erlebt.
Bild: Fünf für mich. Und was trinkst Du?
Das Problem daran, wenn man eine Kneipe eröffnet, ist: Jeder glaubt, sich
auszukennen. Das ist etwas anderes, als wenn man beispielsweise eine Firma
zum Vertrieb von Mikrosystemchips gründet. Wenn das abends jemand auf einer
Party erzählt, dann lächeln die Leute freundlich und sagen: „Aha,
Mikrosystemchips, interessant, ja wofür braucht man die denn?“
Sie fragen dann vielleicht noch so etwas wie: „An welche Firmen verkaufst
du denn diese Chips?“, der Befragte gibt irgendeine Antwort, und danach hat
er auch schon wieder seine Ruhe. Erwidert man hingegen auf die Frage „Was
machst du denn so?“: „Ich habe eine Kneipe“, ist das ein ganz anderer Fil…
Weil: „Kneipe? Echt? Mensch, toll! Was ist das denn für eine und wo, und
was gibt’s da so?“ Meist dauert es dann nur noch wenige Sekunden, und schon
kommen die Experten zum Vorschein.
Das klingt etwa so: „Ja, habt ihr denn auch guten Kaffee? Weil guter Kaffee
ist ja das Allerwichtigste. Ich geh in zwei Lokale schon gar nicht mehr
rein, weil der Kaffee da so schlecht ist. Ich mag ja den und den am
liebsten, den solltest du unbedingt einmal probieren.“
Kaum outet man sich als Kneipenbesitzerin, bekommt man auch schon Tipps,
Verbesserungsvorschläge und muss sich Kritik an Dingen wie Lage, Name oder
Bierauswahl anhören, ob man will oder nicht. Der Grund ist ganz einfach:
Bei einer Kneipe kann jeder mitreden. Jeder war nämlich schon einmal in
einer drin, und viele Menschen fühlen sich damit beratungsberechtigt.
## Erst Unternehmensberaterin, dann Wirtin
Bei meiner Freundin Sonja stellte sich der Zustand des
Ständig-beraten-Werdens schon vor der Eröffnung ein. Dabei hatte sie vor
allem deshalb eine Kneipe aufgemacht, weil sie diese ganze Beraterei hinter
sich lassen wollte.
Zuvor hatte Sonja nämlich einen von den Jobs, die man macht, wenn man
glaubt, dass man was Vernünftiges Arbeiten muss: Unternehmensberatung. Am
Anfang war Sonja von diesem Beruf noch ziemlich begeistert gewesen. Doch
auf die Dauer hatte sie die aufgetakelte Beraterwelt doch ziemlich
zermürbt. Und außerdem war da immer dieser Gedanke: Ich könnte doch ein
eigenes Restaurant aufmachen. Eines wie das alte Wirtshaus meiner Familie.
Dann wäre ich endlich selbst der Chef und müsste mir von niemandem mehr was
sagen lassen.
Als dann tatsächlich eines Tages die Kündigung im Briefkasten lag, ging
alles recht schnell: Sonja entschied sich, ein modernes bayerisches
Restaurant zu eröffnen, mit Biofleisch und guten Lebensmitteln, sie nannte
es „Klinglwirt“, nach dem alten Wirtshaus ihrer Familie, überzeugte einen
Banker, zusammen suchten wir in München ein geeignetes Lokal, kämpften uns
durch eine anscheinend unendliche Baustelle, bestellten Bier und Wein,
suchten einen Koch, nagelten Bilder an die Wand, Sonja sperrte die Tür auf
– und schon waren die Berater im Haus.
## Die besten Zucchini
Da gibt es zum Beispiel die Spezialitätenberater. Deren Tipps beginnen
meist so: „Ich hab da einen besonders guten Wein zu Hause, den musst du
probieren, der wär vielleicht etwas für dein Lokal.“ Oder: „Ich weiß ein…
super Honig/Schnaps/Bäcker/Metzger und kenne jemanden, der die besten
Zucchini/Tomaten/Eier/Gurken überhaupt hat.“
Das Problem dabei ist: Natürlich sollen die Lebensmittel in der eigenen
Kneipe gut schmecken, aber sie müssen auch in einer gewissen Regelmäßigkeit
verfügbar sein. Für ein Restaurant von der Größe wie Sonjas bringt es
nichts, wenn jemand einmal eine gute Marmelade gekocht oder schöne Äpfel im
Garten geerntet hat. Es braucht gewisse Mengen, die auch noch von
irgendjemandem angeliefert werden müssen.
Sonja kann schließlich nicht jede Woche erst eine Kiste von dem supertollen
Wein in Franken abholen, dann den besonderen Holunderschnaps in Österreich,
anschließend in Niederbayern bei dem noch besseren Metzger selbst das
Schwein schlachten, danach in der Oberpfalz auf einem Feld die Erdbeeren
für die Nachspeise zupfen und dann wieder in den Laden joggen, um „präsent�…
zu sein. Viele Experten sind nämlich auch der Meinung, dass die Wirtin 24
Stunden am Tag hinter dem Tresen stehen sollte. Bei manchen hat man das
Gefühl, sie würden Sonja am liebsten mit einer Fußfessel an der Bar
festschnallen.
Besonders hilfreiche Vorschläge sind auch wie: „Es ist schon wichtig, dass
der Service freundlich und das Essen gut ist.“ Zu solchen Ratschlägen sagte
Sonja nach einer Weile oft: „Echt? Meinst wirklich, dass Essen sollte gut
sein? Also, ich weiß nicht.“
## „Ihr braucht Cocktails und Happy Hour“
Interessant ist auch die Gruppe derer, die Sonja ihre eigenen Vorlieben
aufschwatzen wollen, auch wenn diese überhaupt nicht zum Klinglwirt passen:
„Ihr braucht unbedingt gute Cocktails und eine Happy Hour. Glaub mir, da
rennen dir die Leute die Tür ein.“ Oder: „Ihr braucht eine kubanische Nacht
mit Rum und kubanischer Musik. Das zieht ganz bestimmt.“ Ganz egal, dass
weder Cocktails noch kubanische Musik in Sonjas bayerischen Laden passen.
Fortgeschrittene Experten untersuchen den Klinglwirt auch vor Ort auf
Tippmöglichkeiten: „Was, ihr habt gar keinen Kaiserschmarrn? Aber ihr seid
doch ein bayerisches Wirtshaus! Nein, ihr müsst unbedingt einen
Kaiserschmarrn machen. So wie in dem und dem Lokal. Ich hätt da auch ein
super Rezept.“ Die fortgeschrittenen Experten stellen auch fest, dass das
Wasser in den Toiletten zu langsam läuft, dass es im Klinglwirt zu
dunkel/zu hell/zu laut oder die Musik zu leise ist, oder: „Ihr brauchts
unbedingt ein anderes Bier, am besten das
Tegernseer/Augustiner/Lammsbräu/Untergiesinger.“
## Kommt das Brot nicht vom biosten Biobäcker?!?
Und weil bei Sonja alles bio und nachhaltig ist, kommen bei ihr auch in
regelmäßigen Abständen die Ökoüberprüfer vorbei. Das sind solche, die sich
selbst für die noch besseren Klimaschützer/Tierschützer/Regionalverfechter
halten. Die Ökoüberprüfer fragen zum Beispiel ganz leise, ob das Brot auch
wirklich bio ist und bemäkeln anschließend, dass Sonjas Biobrot nicht vom
biosten Biobäcker stammt, den es gibt.
Vielleicht beraten all die Leute deswegen so gerne, weil sie eben ganz
heimlich selbst eine Kneipe eröffnen wollen, sich aber nicht trauen. Und so
haben sie das Gefühl, wenn sie ein bisschen helfen, stehen sie mit einem
Fuß mit drin. Vielleicht liegt Schlaumeiern aber auch einfach in der Natur
der Leute.
Gerade in den ersten Wochen jedenfalls konnte sich Sonja vor derartigen
Tipps nicht mehr retten. Und jeder einzelne Experte schien vermitteln zu
wollen: Wenn du diesen meinen Tipp nicht befolgst, kannst du eigentlich
gleich zusperren.
## Schlaumeiern kennt keine Öffnungszeiten
„Ein bisschen hab ich das Gefühl, da hängt ein Schild an meiner Tür, auf
dem steht: Berate mich“, sagte Sonja am Anfang oft. Sie hatte sich sogar
schon überlegt, ein Schild im Lokal mit „Sprechzeiten für Tipps“
aufzustellen. Sodass sie vielleicht nur Montags von 13 bis 14 Uhr beraten
wird. Aber sie hatte dann doch nicht geglaubt, dass sich die Experten daran
halten würden, darum hat sie es gelassen.
Mit der Zeit ließen diese ungewollten Beratungsgespräche allerdings nach.
Und mittlerweile hat Sonjas Lokal schon mehr als zwei Jahre geöffnet. Doch
so ein, zwei Tipps pro Woche bekommt sie auch heute noch.
Wer also darüber nachdenkt, eine Kneipe zu eröffnen, damit ihm endlich
keiner mehr dreinredet, der sollte sich das noch mal überlegen. Da würde
sich vielleicht doch eher ein Vertrieb für Mikrosystemchips eignen.
26 Nov 2013
## AUTOREN
Maria Rossbauer
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Kneipe
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