Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bomberjacken von „New Balance“: Kein Bock auf Nazi-Chic
> Bomberjacke, Lonsdale-Shirt und Springerstiefel oder Turnschuhe von „New
> Balance“: So sah der Nazi der 90er-Jahre aus. Jetzt kommt die Marke
> zurück.
Bild: 1958 wurde die Fliegerjacke MA-1 erstmals an US-Kampfflugzeugpiloten ausg…
Für Sven Friedrich ist der neue Trend ein gutes Geschäft. „An wen ich in
letzter Zeit eine Bomberjacke verkauft habe, ist ein Witz“, sagt der hoch
aufgeschossene, schlanke Mann. „Früher hätten mich diese Leute auf der
Straße gefragt: Was bist du denn für einer?“ Seit die neunziger Jahre aber
Einzug halten in der Modewelt, sind Bomberjacke und New-Balance-Turnschuhe
wieder völlig okay.
Aus den Lautsprechern seines kleinen Ladens in Berlin-Prenzlauer Berg klagt
eine Mundharmonika die Filmmusik von „Spiel mir ein Lied vom Tod“. Und in
der lässigen Breitbeinigkeit, mit der Friedrich hinter dem Tresen steht,
sieht er selbst wie ein Cowboy aus, einer, der in Ostberlin jede Häuserecke
kennt.
„Hoolywood“ heißt das Geschäft, in dem Friedrich verkauft, was er
„Gegenwear“ nennt. Hoodies von Lonsdale und Everlast sind darunter,
kleinkarierte Hemden von Fred Perry und ebenjene aufgeplusterten
Nylonjacken von Alpha Industries in den Farben „sage green“, „navi“,
Schwarz und „burgundi“, die man seit geraumer Zeit auch in modischen
Variationen bei Massenausstattern wie Urban Outfitters, Asos oder Top Shop
bekommt.
Friedrich dagegen verkauft schon seit Jahren die Bomberjacken im Original.
Mal gingen sie schlechter, mal besser, wie er sagt, nur die Zielgruppe
ändere sich. „Jetzt tragen sie die Typen aus Prenzlauer Berg, die vor ein
paar Jahren niemals auf die Idee gekommen wären.“
## Vorzeige-Rechte
Zu eng war die Fliegerjacke MA-1, die 1958 erstmals an die
US-amerikanischen Kampfflugzeugpiloten ausgegeben wurde, mit dem
Erscheinungsbild von Nazis verknüpft. Glatze, Bomberjacke, darunter ein
Sweatshirt von Lonsdale, von dem nur die Buchstaben „nsda“ zu sehen sind,
und Springerstiefel oder Turnschuhe von New Balance, der Marke mit dem
seitlich aufgedruckten „N“: So sah der Vorzeige-Rechte der 1990er Jahre aus
– wenngleich sich geschulte Kader schon immer hinter einer eher biederen
Fassade versteckt haben, statt ihre Gesinnung modisch zur Schau zu stellen.
Dennoch: Die Marken, die die Neonazis trugen, schienen in der öffentlichen
Wahrnehmung unwiderruflich mit rechtem Gedankengut verknüpft. Bis auf ein
paar versprengte Skinheads wollte lange niemand so aussehen. „Mit den
Klamotten kamst du eine Zeit lang nirgends mehr rein“, erinnert sich
Friedrich. „Weder ins Fußballstadion noch in den Club.“
Lediglich in Nischen der schwulen Szene habe sich der Hang zur extrem
maskulinen Uniform, zu der die breitschultrige Bomberjacke optisch und
historisch gehört, erhalten. Für den Mainstream aber galt: Die Gefahr, mit
einem Nazi verwechselt zu werden, war zu groß.
Nun ist das Neunziger-Jahre-Outfit wieder da. Sowohl die Bomberjacke als
auch die Turnschuhe mit dem großen „N“, getragen zu Röhrenjeans oder
Leggings – ganz selbstverständlich, als gäbe es die Nazivergangenheit
dieser Kleidungsstücke nicht. Wer heute Bomberjacke trägt, hört weder
Lunikoff noch Stahlgewitter, sondern klatscht im Club erfreut in die Hände,
wenn der DJ „The Power“ von Snap unter die zeitgenössischen Beats mischt.
## Ein unpolitischer Prozess
Eine Gegenbewegung sozusagen, seit Neonazis mehr und mehr auch linke
Kleidungscodes für sich beanspruchen. Dieser Prozess ist gänzlich
unpolitisch. Denn Bomberjacke und New-Balance-Turnschuhe gehören einfach zu
den Insignien der 1990er Jahre, die im Zuge des unaufhaltsamen
Revival-Zyklus ganz automatisch wieder auf Laufstegen und Straßen landen.
Vermutlich werden ihnen im kommenden Sommer bauchfreie Leibchen,
Stachelrucksäcke und seltsame Plateausneaker folgen. Damit kehren
Bomberjacke und New-Balance-Turnschuhe, wenn man so will, zu ihrem Ursprung
zurück. Denn anders als einschlägige Label wie „Thor Steinar“, „Erik and
Sons“ und „Consdaple“ – unter der Jacke wird „nsdap“ daraus –, wa…
von den Produzenten nie für die braune Nische gedacht.
Friedrichs Laden in Prenzlauer Berg wird trotzdem immer wieder für einen
Nazi-Ausstatter gehalten. „Bekleidung für erlebnisorientierte Jugendliche –
unpolitisch, antirassistisch“, steht deshalb gut sichtbar auf Friedrichs
Internetseite. „Mehr können wir echt nicht machen“, sagt er. „Wir wollen
nicht H&M werden, sondern Marken vertreiben, die provokant, jedoch nicht
politisch besetzt sind.“ Dass „Thor Steinar“ – paradoxerweise mittlerwe…
von einem Konsortium mit Sitz in Dubai aufgekauft – 2002 erstmals aufkam,
war für Friedrich ein Grund zur Freude.
Seit es Marken gibt, die von der rechten Szene explizit für
Gesinnungsgenossen konzipiert sind, haben dort andere wie Lonsdale oder
Fred Perry an Bedeutung verloren. Deshalb ist es auch folgerichtig, dass
sich der Trend zur Bomberjacke von der rechten Zuschreibung wieder
emanzipiert.
## Ästhetik des Proletarischen
Ihren Ursprung hat diese Mode bei den frühen Skindheads, die sich aus der
britischen Mod-Szene der 1960er Jahre heraus entwickelten. Während den Mods
daran gelegen war, ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse durch
maßgeschneiderte Anzüge und teure Markenkleidung zu verstecken, wollten die
Skinheads der frühen Stunde das genaue Gegenteil erreichen. Also
kultivierten sie die Ästhetik des Proletarischen: Sie trugen Doc Martens,
Arbeiterstiefel mit Stahlkappe, Levi’s Jeans, Hemden, oft Hosenträger,
gewöhnliche englische Arbeitsjacken aus schwarzem Wollfilz und Lederüberzug
auf den Schultern, die so genannten Donkeyjackets, oder aber – die besagten
MA-1-Bomberblousons der US-Flieger.
Hier tauchen die Nylonjacken erstmals als modische Identitätszuschreibung
auf. „Vermutlich kamen die Jacken während des Vietnamkriegs als
Secondhand-Ware nach England“, sagt Friedrich. „Sie waren gebraucht und
billig – für die Skins also ideal.“ Ganz eindeutig ist die zeitliche
Einordnung nicht. Möglicherweise gewann die Bomberjacke auch erst im Laufe
der siebziger Jahre über den Umweg der Punks an Bedeutung, als diese
begannen, Militärkleidung als Provokation im Alltag zu tragen.
Fest steht aber: Die ersten Skinheads waren alles andere als rechts. Die
weißen Arbeiterkinder aus East London, einem Arbeiterviertel, wuchsen dort
mit den Kindern schwarzer Einwanderer aus Jamaika und anderen Teilen der
Westindischen Inseln auf. Sie teilten das Interesse an schwarzer Musik, wie
Early Reggae, auch Skinhead-Reggae genannt, Ska und Northern Soul. Erst
Mitte der 1970er Jahre kam – bei Teilen der Skinhead-Szene, bei weitem
jedoch nicht bei allen – die rechte Gesinnung hinzu.
Die Leiterin des in Berlin ansässigen Archiv für Jugendkulturen, Gabriele
Rohmann, macht dafür einen generellen Rechtsruck in der britischen
Gesellschaft verantwortlich. „Anfang der siebziger Jahre war die
Jugendarbeitslosigkeit in England ähnlich hoch wie jetzt in Spanien oder
Griechenland“, sagt Rohmann. Die Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit
gipfelte in der Gründung der rechtsnationalistischen Partei National Front,
die in den 1970er und 1980er Jahren starken Zulauf erhielt.
## Die Skins kamen Ende der 80er
„Zunächst wurden die Skinheads auf rechten Veranstaltungen als Türsteher
instrumentalisiert“, sagt Rohmann. Dann gab es auch mit den
Fußball-Hooligans dieser Zeit immer mehr Überschneidungen, sodass sich die
Szene schließlich in rechte und unpolitische Skins zu spalten begann. Ende
der achtziger Jahre fand die Skinhead-Idee ihren Weg schließlich als rechte
Gesinnung nach Deutschland.
Die meisten Marken, allen voran Lonsdale, haben sich immer gegen diese
Gleichsetzung gewehrt – mit mäßigem Erfolg. Die Marke New Balance indes,
die 1905 als Hersteller von Gesundheitsschuhen begann, hat Sven Friedrich
seit fünf Jahren aus dem Sortiment des „Hoolyworld“ genommen. In der
rechten Szene der 1990er Jahre waren sie nicht nur wegen des großen „N“
beliebt, sondern auch deshalb, weil sie im Gegensatz zu anderen Firmen in
den USA und Großbritannien produziert. Deshalb wurden sie auch stets in
einschlägigen Läden der rechten Szene verkauft.
„Ich habe das Management mehrfach deshalb angeschrieben“, sagt Friedrich.
Eine Antwort bekam er nie. Das kann man kritisieren. Doch kommt man damit
vermutlich gegen den Trend nicht an: Mit dem Neunziger-Jahre-Revival nun,
das wie auch schon bei den achtziger Jahren niemand wahrhaben wollte, sind
Bomberjacke und New Balance modisch rehabilitiert.
Der Fliegerjackenhersteller Alpha Industries hat die Gunst der Stunde
längst erkannt. Ab Frühjahr 2014 soll es die Bomberjacke in Damengrößen
geben. „Die sind dann ein bisschen kleiner und enger geschnitten“, sagt
Sven Friedrich. Damit hat sich die Bomberjacke von der Betonung
proletarisch-männlich breiter Schultern losgelöst und ist nun auch
endgültig im modischen Gendermainstreaming angelangt.
7 Dec 2013
## AUTOREN
Marlene Halser
## TAGS
Skinheads
Schwerpunkt Neonazis
USA
Nazis
Fußball
Kanye West
## ARTIKEL ZUM THEMA
Skinheads in New Yorker Club: Oi!-Fest löst Shitstorm aus
Ein kleiner Club in New York musste ordentlich einstecken: Weil die
Betreiber nicht genau wussten, wen sie sich ins Haus holen, stehen sie nun
in der Kritik.
Nazi-Codes auf Autokennzeichen verboten: „HH“ ist nicht nur eine Hansestadt
Die „88“ wird für Nummernschilder in Sachsen-Anhalt nicht mehr vergeben,
gleiches gilt für „SA, „„KZ“ und „HJ“. Auch anderswo sind solche C…
nicht erlaubt.
Imagewandel bei Sportartikelfirma: Lonsdale lockt die Linken
Den Ruf als Naziklamotten-Hersteller will Lonsdale endlich loswerden. Dafür
unterstützt die Firma antifaschistische Fußballvereine in Deutschland.
Pariser Männermodewoche: Ewiger Kreislauf
Mitten in der Krise feiern die Pariser Modewochen das Schöne. Was hat es
uns zur Lage zu sagen? Zu gesellschaftlichen Tendenzen jedenfalls nicht
viel.
Springerstiefel und Bomberjacken: Kleiderordnung für Neonazis
Wenn die Rechtsextremen am 2. Juni in Hamburg aufmarschieren, müssen sie
sich gut überlegen, was sie anziehen: Die Polizei hat Auflagen zur
Bekleidung gemacht.
Fashion von Faschos: "Das Klischee gilt nicht mehr"
In der rechtsextremen Szene sind gerade Modelabels mit
nordisch-germanischer Symbolik angesagt. Doch der Kleidungsstil ist
heterogener geworden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.