# taz.de -- Pariser Männermodewoche: Ewiger Kreislauf | |
> Mitten in der Krise feiern die Pariser Modewochen das Schöne. Was hat es | |
> uns zur Lage zu sagen? Zu gesellschaftlichen Tendenzen jedenfalls nicht | |
> viel. | |
Bild: Das Geld muss raus: Fuchs, Nerz und Biber in oder außerhalb Blousons, Pa… | |
PARIS taz | „Wenigstens bist du drin“ heißt das Credo der Pariser | |
Männermodewoche. „At least you are in“ – was sollte wichtiger sein. In d… | |
ganzen Stadt ist diese Haltung spürbar. Sie ist Lebensgefühl, Motor und | |
Vehikel zugleich. Vor jeder Show stehen Massen von Fotografen und schießen | |
anscheinend wahllos Bilder von den Gästen. Wer eine Einladung hat, muss per | |
se bedeutsam sein. | |
Und drinnen? Mode als Spiegel des gesellschaftlichen Diskurses, als | |
künstlerischer und zugleich handwerklicher Versuch, sich den Fragen der | |
Zeit zu nähern– wird diese wichtige Fashion Week ihrer eigenen Aufladung | |
mit Bedeutung gerecht? Finanzkrise, Wirtschaftskrise, politische Krise in | |
Europa. Wie verhält sich das Schöne zum Schlimmen, ist die Krisekrise in | |
Paris angekommen? | |
Ja, ist sie. Aber man erwarte von der Mode dieser Herbst-Winter-Saison | |
2013/2014 keine Antworten, die andere auch nicht haben. Viele Designer | |
scheinen ratlos, möchten ein wenig ausruhen auf ihren Ruhm, dem einstigen | |
Rummel. Es herrscht eine gewisse Trägheit. Auf den Laufstegen sind viele | |
Pyjamahosen und Morgenröcke zu sehen. Und die Orte, an denen die | |
Modeschauen gezeigt werden, sind auch wieder die gleichen, die Garage | |
Turenne, eine alte Garage im beliebten Pariser Stadtteil Marais, ist erneut | |
der meistaufgesuchte Ort der Modewoche. | |
Die Krise. Manche versuchen, gegenzuhalten. Der britische Designer Kim | |
Jones kreiert bei Louis Vuitton einen Mann auf Reise – ganz im Sinne des | |
Hauses Vuitton, das vor allem mit Taschen Geld verdient. Die Models lässt | |
er über einen blanken Boden laufen, Blitzeisgefahr. Hinter ihnen | |
Himalaja-Fotos als Hintergrund. Was bieder, gar spießig beginnt, mit | |
simplen Anzügen und Mänteln, endet in einer visuellen Orgie an Farben, | |
Mustern und Stoffen. Seine Inspiration holte sich Jones auf einer | |
Recherchereise ins Bergkönigreich Bhutan. „Es ist der einzige Ort auf der | |
Welt, wo einem Schneeleoparden über den Weg laufen“, sagt Jones. Esoterik, | |
gepaart mit elitärem Habitus. Luxus und Erleuchtung gehen eben immer. | |
## Leder und Pelz – und das in großen Mengen | |
Das Haus Louis Vuitton, das zu dem wichtigsten französischen Modekonzern | |
LVMH gehört, kann das Geld nur so raushauen. Und es wirkt so, als lachte | |
Jones der Krise ins Gesicht. Denn außer auf Leoparden steht Jones auch auf | |
Leder und Pelz – und das in großen Mengen. Fuchs, Nerz und Biber in oder | |
außerhalb Blousons, Parkas und Mänteln. Alles Materialien, die für Luxus | |
stehen. | |
Das freut Rapper Kanye West, der auch Pelz mag und wie so oft mit grimmigem | |
Gesicht in der ersten Reihe sitzt und sich am Ende ein Lächeln nicht | |
verkneifen kann. | |
Auch die Designer bei Maison Martin Margiela arbeiten gegen die Krise an – | |
auch hier mit viel Pelz und Leder. Der belgische Designer Margiela galt | |
einst als der Innovateur der Modeszene, der sich dem Hype um den Designer | |
widersetzte. Er ließ sich nicht interviewen, nicht abblichten und zeigte | |
sich nie nach der Show. Margiela gilt als Meister der Dekonstruktion. Er | |
will das Unsichtbare sichtbar machen, zeigt zum Beispiel Nähte, die sonst | |
verborgen sind. | |
Nach dem Weggang von Margiela hat das Kollektiv – wer genau jetzt anstelle | |
des Belgiers die Kleider entwirft, ist nicht bekannt – seinen Weg gefunden. | |
Minimalismus der besten Art. Schlichter Dekonstruktivismus. Weite Hosen, | |
die an der Rückseite falsch zusammengenäht aussehen, überproportionale | |
Ledercapes mit Reisverschlüssen und perfekt sitzende und geschneiderte | |
Anzüge. Ein Spiel der Gegensätze: Perfektion versus Rohzustand. | |
## Gaultier wagt wenig Neues | |
Und dann wieder das Träge, Stagnierende bei Jean Paul Gaultier. Der | |
französische Couturier wagt bei seiner Herbst/Winter-Kollektion für das | |
Jahr 2013 wenig Neues. Gaultier lädt in die Rue Saint Martin ein, die | |
Straße, in der er sein Hauptquartier hat. Der Designer hat sich gegen eine | |
konventionelle Modenschau entschieden. In der Haupthalle stehen Kabinen, | |
umrahmt von pinkem Neonlicht. | |
Die Models kommen in die Kabinen, bleiben stehen, gehen ein Schritt vor, | |
ziehen sich aus und stehen dann in langen Unterhosen oder Einteilern da. | |
Gautlier will provozieren, wohl auch sein homosexuelles Publikum | |
befriedigen. Doch die Performance erscheint anachronistisch, alles schon | |
mal gesehen, Retro ohne neuen Dreh. | |
Das Publikum sieht ohnehin kaum etwas, weil so viele Gäste ihre Smartphones | |
hochhalten, um Fotos zu machen und sie sofort bei Twitter oder Instagram | |
hochzuladen. Die Botschaft: Wenigstens sind sie drin. | |
Jean Paul Gaultier ist nicht der Einzige, der sich auf seiner Geschichte | |
ausruht. Riccardo Tisci experimentiert bei Givenchy wieder einmal mit | |
Kirchenatmosphäre, seine Models laufen in einem Kreis aus Kerzen. Und wie | |
immer arbeitet er mit Drucken auf Sweatern. Die Models gehen in kurzen | |
Lederhosen über den Laufsteg. Seine Kollektion soll eine Hommage an all das | |
sein, was der Designer liebt: Amerika, Sport, Sexualität, griechischen | |
Neoklassizismus, die amerikanische Flagge, sowie eine starke Anlehnung an | |
Robert Mapplethropes Ikonografie. Doch Tisci will zu viel. Er kann seine | |
eigenen Obsessionen nicht überarbeiten, sich nicht auf weniger besinnen. | |
Deswegen stagniert seine Mode. | |
## Das Klerikale in der Mode – ein wenig vampiriger | |
Die belgische Modedesignerin Ann Demeulemeester bleibt sich ebenfalls treu, | |
auch hier gibt es das Klerikale in der Mode – ein wenig vampiriger | |
angehaucht – viel Schwarz, viel lang. Demeulemeester nennt das „Punk | |
Priest“, und das beschreibt das, was sie macht, auch recht perfekt. Der | |
Däne Henrik Vibskov arbeitet weiterhin mit wilden Mustern, Hochwasserhosen | |
und pyjamaartigem Beinkleid. Immer mit ironischem Unterton, immer, als | |
nähme er den Modezirkus nicht allzu ernst. Ob Demeulemeester oder Vibskov – | |
kaum Experimente, kaum Risiken selbst bei denen, von denen man sie hätte | |
erwarten können. | |
Und dann versucht doch noch ein Modehaus ein aktuelles politisches | |
Statement. Nicola Formichetti und Romain Kremer entwerfen für Mugler eine | |
Armee von Männern in Bomberjacken, in neongrünen Bodysuits und neonfarbenen | |
Anzügen. Auf schwarzen Pullovern lassen Kremer und Formichetti den rosa | |
Winkel – das Symbol der homosexuellen KZ-Häftlinge – abdrucken, mal in | |
Blau, mal in Grün, mal in Pink. | |
Das ist durchaus als Antwort auf die Proteste gegen die Einführung der | |
Homo-Ehe mit Adoptionsrecht in Frankreich zu lesen. Und gibt gleichzeitig | |
dank dem kreierten Militärlook eine klare Antwort auf alle Homophoben: | |
Fickt euch. Doch anstatt Thema und Haltung konsequent durchzuhalten, | |
mischen die Designer diverse Elemente. Ein bisschen Science-Fiction, ein | |
wenig S&M, ein wenig Techno. | |
Formichetti sagt, ihm gehe es um Hyperrealismus. Doch stattdessen schafft | |
er ein buntes Nebeneinander vieler Dinge, von denen nicht klar wird, was | |
Statement ist und was Dekoration. Genau deshalb bleibt der rosa Winkel am | |
Ende blass, instrumentalisiert und belanglos. | |
Dieses Egale, der Hang zum Passiven ist ein Problem. Hier wird nicht | |
weitergedacht, nicht weitergespielt. Gesellschaftliche Tendenzen werden | |
nicht in die Mode integriert, nicht hinterfragt, nicht ergründet. | |
Stattdessen gibt es zu viel reine Reproduktion. Die Mode in Paris bleibt | |
eindimensional, steif, spricht nur ästhetisch an. Das ist nicht unbedingt | |
falsch. Nur auch nicht so bedeutsam, wie man sich hier selbst gern | |
inszeniert. | |
20 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Enrico Ippolito | |
Enrico Ippolito | |
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