# taz.de -- Berliner Fashion Week: Die Schwere des Glitzerns | |
> Neue Ideen gibt es auf der Berliner Fashion Week kaum. Die kleinen Labels | |
> haben sie, aber ihnen fehlen die finanziellen Mittel für glamouröse | |
> Auftritte. | |
Bild: Alles hat nach Luxus und Leichtigkeit auzusehen: Vladimir Karaleevs Kreat… | |
BERLIN taz | Der Wind sprüht Regentropfen an halbblinde Scheiben; die | |
Silhouette der Stadt verwäscht im grauen Einerlei des nasskalten | |
Januartages. Auf der Leipziger Straße reißen Autos Pfützenwasser vom | |
Asphalt, dahinter zeichnen sich turmhohe Plattenbauten aus DDR-Zeiten ab. | |
Vladimir Karaleev hastet in sein schmales Atelier, er achtet nicht weiter | |
auf die trübe Aussicht. Er stellt sich an den weißen Pressholztisch, der | |
einen Teil des Raums füllt, und geht im Kopf durch, was alles noch zu | |
erledigen ist. Bis zur Fashion Week bleibt nicht mehr viel Zeit. | |
Die Kollektion steht so weit, nur die Hosen sind noch nicht fertig. Dann | |
das Casting der Models, das kann etwas schwierig werden. „Ich habe kein | |
wahnsinnig großes Budget“, sagt er, „wir können nicht die gleichen Preise | |
bieten wie andere.“ Also muss er abwarten, welche Mädchen er abkriegt. | |
So läuft das für ihn jede Saison auf der Fashion Week, wo es nicht nur | |
darauf ankommt, eine überzeugende Kollektion zu zeigen, sondern auch ein | |
schillerndes Bild zu entwerfen, ein Trugbild, wie so viele Bilder in der | |
Modebranche trügen, in der alles immer nach Luxus und Leichtigkeit aussehen | |
muss. | |
Gerade kleinere Labels tun sich schwer, solche Auftritte zu finanzieren. | |
Etwa 10.000 Euro kostet eine Präsentation auf dem Laufsteg, 5.000 in einem | |
Studio, hinzu kommen die Kosten für Models, Stylisten und PR-Agenten. „Man | |
muss Promis einladen“, sagt Karaleev, „die große Show machen, damit alles | |
glitzert.“ Er gibt ja nicht viel auf solche Dinge. Doch er weiß, dass Mode | |
ein bestimmtes Umfeld braucht, um zur Geltung zu kommen. | |
## Zwischen den Welten | |
Ab und an fällt ihm auf, wie weit beides auseinanderliegt, die Welt, in der | |
er lebt, und die, die er für andere erschafft. „Das ist schon absurd | |
manchmal“, sagt er, „diese Kluft.“ Vladimir Karaleev ist ein | |
hochgewachsener Mann, 31 Jahre alt, dunkel gekleidet, mit ernsten Augen und | |
Vollbart. Das Neonröhrenlicht lässt ihn noch blasser und jünger aussehen, | |
als er ist. Sein Atelier wirkt wie eine typische Berliner Kreativwerkstatt, | |
leere Saftflaschen in der Ecke, Stofffetzen auf dem Parkettboden. Hinten an | |
der Wand beugt sich sein Assistent über eine leise surrende Nähmaschine. | |
Karaleev, geboren und aufgewachsen in Bulgarien, hat sein Label vor sieben | |
Jahren gegründet. Er gilt als eines der vielversprechendsten Talente der | |
Berliner Modeszene; er hat Formen abstrahiert, Nähte offen stehen lassen, | |
das Futter von innen nach außen gestülpt. Inzwischen verkaufen sich seine | |
Entwürfe auch ganz gut, vor allem in Fernost, aber auch in den USA und in | |
Dubai. | |
Nur in Deutschland geht es nicht recht voran; der Designer liest oft in den | |
Modeblogs, dass seine Sachen untragbar seien. Ratlos zuckt er die | |
Schultern; er versteht nicht recht, was die Blogger damit meinen. „In Asien | |
ist der Umgang mit Mode ganz anders“, sagt er, „da entscheiden die Leute | |
mehr nach Bauchgefühl.“ | |
Nadine Möllenkamp und Silke Geib fragen sich noch, ob Berlin seine | |
Versprechen auch einlösen wird. Ihr Label Blænk ist anderthalb Jahre alt; | |
bei der Fashion Week sind sie erstmals dabei. „Es ist gut, mitzumachen und | |
zu gucken: Was passiert denn da eigentlich?“, meint Geib. „Passiert | |
überhaupt irgendwas? Vielleicht erwarten wir das ja nur.“ Auch sie haben | |
sich hinter Mauern aus Stahlbeton eingerichtet, im ehemaligen Fernmeldeamt | |
nahe dem Berliner Rathaus. | |
## Schnell ganz oben | |
Es ist bereits Abend. Die beiden kauern auf Hockern an einem Tresen. In | |
ihrem Atelier sieht alles nüchtern und aufgeräumt aus. Apple-Computer und | |
Nähmaschinen haben ihren Platz auf weißen Arbeitstischen, an den Wänden | |
hängen Modefotos und Skizzen. | |
Die Designerinnen sind Ende 30 und nicht neu im Geschäft. Sie haben lange | |
für internationale Marken gearbeitet. Möllenkamp trägt ein lockeres | |
schwarzes Kleid und hat ihre blonden Haare im Nacken zum Zopf gebunden, | |
Geib ist etwas schmaler, mit Jodhpur-Hosen und Jean-Seberg-Frisur. Die | |
beiden wirken zuversichtlich, Nervosität bricht nur manchmal durch, in | |
flüchtigen Momenten, einer hastigen Bewegung, als das Telefon klingelt. | |
Oder in dem aufgedrehten Gelächter, das sie schüttelt, wenn sie sich an ein | |
Gespräch von vor einigen Tagen erinnern: Ein Journalist rief an, der sagte: | |
„Ihr seid ja schon ein etabliertes Label.“ | |
Bislang sind ihre Entwürfe nicht einmal im Handel zu kaufen, gerade hat ein | |
erstes Geschäft die Marke ins Sortiment genommen, eine Boutique in | |
Frankfurt. So schnell es gehen kann in Berlin, so schnell kann es auch | |
wieder vorbei sein. Viele junge Marken haben in den vergangenen Jahren | |
nicht überlebt. Jetzt wird Blænk als das nächste heiße Ding in Berlin | |
gehandelt. | |
Ein paar ihrer verwunschenen Entwürfe haben die Frauen auf Schneiderpuppen | |
gezogen, die in der Mitte des Raums stehen. Spitze auf weißem | |
Kaninchenfell, edle Stoffe, liebevoll in Falten gelegt, luftig gestrickte | |
Oberteile, am Hals verziert mit Blättern, Beeren, „aus Fimo“, sagt Silke | |
Geib. „Das ist alles ein bisschen Do it yourself, so ist unsere | |
Philosophie: Wir wollen möglichst viel selbst machen.“ | |
## Berlin schafft Möglichkeiten | |
Zwischen 1.000 und 1.500 Euro kosten die Kleider. Trotzdem ist das Label | |
weit davon entfernt, sich selbst zu tragen; die beiden finanzieren ihre | |
Kollektion über Zweitjobs. Die Präsentation auf der Fashion Week können sie | |
sich nur leisten, weil sie den „Start your Fashion“-Preis des Berliner | |
Senats gewonnen haben. | |
Sie werden ihre Kollektion im Studio präsentieren. Sie haben nur zwölf | |
Entwürfe, nicht genug für eine Show auf dem Laufsteg. Doch mehr war nicht | |
drin. Große Mode braucht ein großes Budget, allein für die teuren Stoffe | |
müssen sie weit in Vorleistung gehen. „Für den Betrachter sieht es leicht | |
aus“, sagt Silke Geib, „aber was für Arbeit dahintersteckt und das | |
finanzielle Risiko, das sieht man nicht.“ | |
Die Neugier haben sie geweckt, der große Durchbruch steht noch bevor. Ihr | |
Label ist mit Standorten in Berlin und Amsterdam, wo Möllenkamp lebt, | |
international aufgestellt. In Berlin gibt es für hochwertige Mode nach wie | |
vor nur geringe Absatzchancen. Dafür sind allerdings auch die Kosten noch | |
recht niedrig; die Designerinnen sehen sich verwundert in ihrem Atelier um, | |
als könnten sie es noch gar nicht fassen. | |
70 Quadratmeter, nahe dem Alexanderplatz, für 650 Euro Miete im Monat, so | |
etwas wäre in Paris undenkbar. „Hier sind Geschäftsmodelle möglich, die | |
anderswo nicht funktionieren würden“, sagt Geib. Doch die Modemacher | |
agieren auf einem engen Markt. Rund 800 Designer und Labels gibt es in | |
Berlin; einer Studie des Berliner Senats zufolge können 45 Prozent nicht | |
von ihren Einnahmen leben. | |
## Investoren gesucht | |
Vladimir Karaleev ist diesmal nicht auf öffentliche Gelder angewiesen; ein | |
Sponsor aus Bulgarien finanziert seine Modenschau. Er tritt auf die | |
Kleiderstange zu, an der seine neuen Entwürfe hängen, zieht ein Oberteil | |
mit hauchzarten Ärmeln aus transparentem Hightechstoff hervor, lässt das | |
glatte Material durch seine Finger gleiten. „Der ist sehr leicht“, sagt er, | |
„fast wie Wasser.“ | |
Daneben hängen eine kurze Jacke aus Brokat und eine Bluse, zusammengefügt | |
aus festen und blütenzarten Stoffbahnen. Seine Entwürfe sind sanfter | |
geworden, weniger sperrig und konzeptuell als früher. Nicht damit sie sich | |
besser verkaufen, betont er, „die Zeiten ändern sich“. | |
Die Tage, an denen er mit dem Verkauf der einen Kollektion die Kosten der | |
nächsten deckte, also quasi von der Hand in den Mund lebte, sind vorbei. Um | |
sich entwickeln zu können, bräuchten die Labels Geld von außen, doch die | |
großen Investoren zieht es bisher nicht nach Berlin. Karaleev ist das recht | |
so; er kennt die Geschichten von seinen Kollegen, die Anteile verkauft | |
haben, dann entlassen wurden und darum kämpfen müssen, ihren eigenen Namen | |
noch nutzen zu dürfen. Er winkt gleichmütig ab. „Ich gelte eh als zu | |
verrückt für Investoren, die sehen in mir kein Potenzial.“ | |
Silke Geib und Nadine Möllenkamp würden es ebenfalls gern allein schaffen. | |
„Mit den Investoren kommen Bedingungen“, sagt Geib. „Wir möchten uns | |
freischwimmen.“ Ihnen ist klar, dass ihr Talent allein nicht ausreichen | |
wird, wenn das funktionieren soll. Allmählich wird es spät; die Frauen | |
wirken etwas abgespannt. Sie haben einen langen Tag hinter sich, gleich | |
wird noch eine Mitarbeiterin aus der Produktionsstätte vorbeikommen, die | |
sie beauftragt haben, und ein paar Kleider abliefern; die müssen sie prüfen | |
und abnehmen. | |
In Deutschland, sagen sie, gibt es viel Nachholbedarf: Noch suchen die | |
Einkäufer Mode nicht in Berlin, sondern in Frankreich, bei den | |
weltbekannten Marken: „Das ist es, woran viele Designer scheitern.“ | |
Am Freitag muss alles perfekt sein. Die Kollektion von Blænk wird am | |
Vormittag gezeigt, die von Vladimir Karaleev später am Abend. Wenn alles | |
läuft wie geplant, wird nichts zu spüren sein von den finanziellen | |
Engpässen und der Frage, ob die gleißende Fassade auf Dauer standhalten | |
wird. | |
15 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Gabriela M. Keller | |
## TAGS | |
Mode | |
Designer | |
Pharrell Williams | |
Unterwäsche | |
Kanye West | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Recycling-Mode auf der Fashion Week: Müll macht schick | |
US-Superstar Pharrell Williams stellt seine nachhaltige Mode vor. Auf der | |
Berliner Fashion Week geriert er sich mit einem Recyclingprodukt. | |
Mode für Ordensschwestern: „Sexy“ bei Nonnen geht gar nicht | |
Schlüpfer bis Wintermantel. Der „Hugo Boss der Nonnen“ kleidet | |
Ordensschwestern ordentlich ein. Das dafür nötige Vertrauen musste er sich | |
hart erarbeiten. | |
Pariser Männermodewoche: Ewiger Kreislauf | |
Mitten in der Krise feiern die Pariser Modewochen das Schöne. Was hat es | |
uns zur Lage zu sagen? Zu gesellschaftlichen Tendenzen jedenfalls nicht | |
viel. | |
Karaleev auf der Fashion Week: „Mode ist Evolution“ | |
Am Mittwoch beginnen die Schauen auf der Berliner Fashion Week. Der | |
experimentierfreudige Vladimir Karaleev über die tollsten Partys, Mode als | |
Industrie und mehr Ruhe. | |
Kolumne Fashionweek: Willkommen im Club – Stößchen! | |
Diese Unterzeile ist suchmaschinenoptimiert: Homosexualität, Fashion, | |
Champagner, Berlin. | |
Genderforscherin über die Modestadt Berlin: "Weiblichkeit ist wieder in" | |
In Berlin tobte mal wieder die Fashion Week. Ein Gespräch mit der | |
Kulturwissenschaftlerin Gertrud Lehnert über Gendervorstellungen und die | |
Rückkehr zu konservativen Werten. |