| # taz.de -- Genderforscherin über die Modestadt Berlin: "Weiblichkeit ist wied… | |
| > In Berlin tobte mal wieder die Fashion Week. Ein Gespräch mit der | |
| > Kulturwissenschaftlerin Gertrud Lehnert über Gendervorstellungen und die | |
| > Rückkehr zu konservativen Werten. | |
| Bild: Gender Bender: Andrej Pejic zeigt sein Können bei der Fashion Week in Ri… | |
| sonntaz: Frau Lehnert, können Sie einen Überblick von Berlin als Modestadt | |
| geben? | |
| Gertrud Lehnert: Berlin wird zu Recht als unglaublich vielfältig gepriesen. | |
| JedeR kann und darf so sein, wie er/sie ist. | |
| Ist das auch auf der Fashion Week sichtbar? | |
| Ich finde entgegen allen Buhrufen schon. Es haben sich viele Kreative hier | |
| angesiedelt, und daraus ist viel Spannendes entstanden. | |
| Und in der Mode? | |
| Bei den Berliner Labels wird eine große Vielfalt sichtbar, aber die | |
| Geschlechterbilder bleiben auch hier durchaus klar erkennbar. Weiblichkeit | |
| hat mittlerweile ein so breites Spektrum, dass man zwischen | |
| minimalistischer Mode oder der mit den vielen Rüschen wählen kann. | |
| Mode und das Spiel mit Geschlechtern scheinen sich zu bedingen. Wo befinden | |
| wir uns gerade? | |
| Mir scheint, die klassischen Geschlechterrollen verfestigen sich, aber sie | |
| differenzieren sich in sich aus. Weiblichkeit ist wieder "in": ganz | |
| klassisch mit Körperbetonung, langem Haar, Miniröcken; genauso gut kann sie | |
| sich auch in Jeans und T-Shirt darstellen. | |
| Gibt es dafür eine Erklärung? | |
| Es gibt verschiedene Ansätze. Man könnte sagen, die Mode hat nie eine | |
| rationale Ursache, sondern sie entwickelt einfach immer neue Ideen. Das | |
| können einfach rein ästhetische Vorstellungen sein. Aber auch | |
| gesellschaftliche Entwicklungen spielen eine Rolle. Wir machen uns ja etwas | |
| vor, wenn wir glauben, dass alles anders geworden wäre, im Vergleich zu | |
| früher. | |
| Was meinen Sie damit? | |
| Natürlich gibt es noch Geschlechter, wir wissen aber inzwischen, dass es | |
| mehr als zwei gibt – aber in der öffentlichen Meinung sind es halt immer | |
| noch zwei. Und die machen sich gerade wieder geltend. Wir sind da in einer | |
| Art von Backlash, also eine Rückkehr zu konservativen Wertvorstellungen. | |
| Propagieren uns die Designerinnen und Designer eine Aufsprengung von | |
| Geschlechterrollen? | |
| Es gibt ja nach wie vor die Schauen für Männer- und Frauenmode. Das sind | |
| natürlich rein ökonomische Gründe und institutionelle Zwänge, die da | |
| gelten. Ich habe nicht den Eindruck, dass der große Trend auf die | |
| Vermischung der Geschlechtergrenzen geht. Das ist auch nicht unbedingt | |
| wünschenswert. | |
| Wieso nicht? | |
| Interessant wäre vielmehr eine Ausdifferenzierung von Geschlechterrollen | |
| und Geschlechterbildern. Das findet im gewissen Sinne natürlich statt, weil | |
| ständig neue Spiele, neue Formen kommen. Wir haben ja auch DesignerInnen, | |
| die schlichte und reduzierte Mode machen, und andere, die das Witzige oder | |
| auch das Pathos mit viel Stoff und Rüschen bevorzugen. Aber es ist immer | |
| identifizierbar als weiblich oder männlich – nach den Kategorien, die wir | |
| frühzeitig gelernt haben und die unsere Kultur immer noch dominieren. | |
| Eine Ausdifferenzierung von Geschlechtergrenzen, was bedeutet das genau? | |
| Man muss nicht alles angleichen. Wichtiger sind Vielfalt und mehr | |
| Sichtbarkeit der Vielfalt. Wenn es immer nur Weiblichkeit und Männlichkeit | |
| als traditionell definierte Pole gibt, gilt alles andere als abweichend. | |
| Die Zeit des intensiven Spiels mit Geschlechterrollen, auch mit dem | |
| Überschreiten von Geschlechterrollen, scheint mir zumindest im Moment | |
| vorbei zu sein. | |
| Fördern auch Retroserien wie "Mad Men" eine Rückbesinnung zur Weiblichkeit? | |
| Zurück zu den Sechzigern? | |
| Ich vermute, dass dies eine große Rolle spielt. Junge Frauen glauben, dass | |
| sie alle Möglichkeiten haben und sich frei entscheiden können. In vielerlei | |
| Hinsicht können sie das auch. Es scheint eine Selbstverständlichkeit | |
| erreicht zu sein in der Frauenrolle – und das ist großartig –, aber viele | |
| machen sich nicht mehr klar, dass es auch eine Falle sein kann, wenn man | |
| sich so klar in diese Bipolarität oder Heteronormativität – stark | |
| vereinfacht: Heterosexualität als Norm – begibt. | |
| Warum herrscht dieser Wunsch zum Rückwärtsgewandten? | |
| Für die jungen Menschen ist es eher so, dass sie tun können, was sie | |
| wollen. Im Moment scheint mir das der Trend zu sein. Ein Wort wie | |
| Feminismus ist für sie total out, und auch die Sache löst Gähnen aus und | |
| ist altmodisch. Kann ja jedeR sein, wie oder was sie/er will – so könnte | |
| man argumentieren. Und dann kann man tatsächlich sagen, dass es egal ist, | |
| was die Mode macht – aber nur, wenn das tatsächlich der Bewusstseinsstand | |
| wäre. | |
| Wie sieht es denn bei der Männermode aus? | |
| Es hat sich viel gelockert in den letzten zwei Jahrzehnten. Es existiert | |
| mehr Vielfalt. Stil und Eindruck haben sich aber nicht grundsätzlich | |
| geändert. Die Zeit der Metrosexualität ist ja auch vorbei, und insofern ist | |
| das Spektrum sehr eingeschränkt. Und da wird Mode dann wieder ganz klar zum | |
| Zeichen von Gender. | |
| Und aus Modelsicht? | |
| Denken Sie da an Andrej Pejic, der letztes Jahr so gehypt worden ist? | |
| Ja, zum Beispiel. Pejic lief ja für Frauen- und Männerschauen. | |
| Von ihm hört man gerade relativ wenig. Ich unterstelle ihm jetzt einfach, | |
| dass er auch ein wenig älter geworden ist und dieses wunderbar Androgyne | |
| sich natürlich rein biologisch verändert hat. Dieses Genderspiel, das so | |
| täuschend ist und Trompe-loeil-Effekte hervorbringen kann, funktioniert | |
| nur, wenn ein Mann noch sehr jung ist. Man hat zweimal hingucken müssen: | |
| Was sehe ich hier eigentlich? Die Provokation liegt in der ganz leichten | |
| Verschiebung. | |
| Herrscht bei den Männer-Modeltypen im Vergleich zu den Frauen mehr | |
| Vielfalt? | |
| Die Männertypen werden weniger vereinheitlicht als die jungen Frauen. Es | |
| findet eine größere Ausdifferenzierung statt. | |
| Warum? | |
| Da gibt es viele Ansätze: Einmal den kritischen, also die Frauen bleiben | |
| bei einem statischen Bild und die Männer nicht. Das ist dann wieder ein | |
| Dominanzverhältnis in einer männerorientierten Kultur. Es könnte aber auch | |
| sein, dass die Vielfalt bei den Frauen in den Kleidern und Kollektionen | |
| selber viel stärker vorliegt als in den Models. Dass da so ein | |
| Riesenspektrum von modischen Ideen existiert. Die Körpernormen sind auch | |
| ausgeprägter als bei Männern – also kulturell betrachtet. Es gibt da | |
| einfach viele Erklärungen, das ist ganz schwer eindeutig deutbar. | |
| Warum hat sich der Männerrock nie in unserem Kulturkreis durchgesetzt? | |
| Ganz klar, weil sich die Geschlechterrollen nicht so weit durchgesetzt | |
| haben. Der Männerrock wird immer von avantgardistischen DesignerInnen | |
| propagiert. Der Rock ist in unserem Kulturkreis strikt als weibliches | |
| Kleidungsstück codiert. Das ist die ganz alte Geschichte. Die alten | |
| Verkleidungskomödien, in denen Männer sich als Frauen verkleiden, waren | |
| komisch. Hingegen hatten Frauen, die sich als Männer verkleiden, immer | |
| einen ganz anderen Touch – da gelten klare Machtverhältnisse. | |
| 22 Jan 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Enrico Ippolito | |
| ## TAGS | |
| Mode | |
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