# taz.de -- Berlin Fashion Week: Der Style liegt auf der Straße | |
> Die Modestadt Berlin hat zum Glück mehr zu bieten als die Schauen der | |
> Fashion Week. Man muss nur mal vor die Tür gucken, um Inspiration zu | |
> finden. | |
Bild: Die Hauptbühne ist außerhalb der großen Schauen: Models bei der Rauch-… | |
BERLIN taz | Im Zelt am Brandenburger Tor versammelt sich zur Fashion Week | |
der Modezirkus. Es ist laut, Menschen laufen hektisch herum, die | |
Securitymitarbeiter bewachen den Eingangsbereich – ohne Einladung keine | |
Chance. Drinnen verschenken die Sponsoren Make-up, Schokolade und Wasser. | |
Die Fotografen warten vor der Fotowand auf die Gäste, die in einem bizarren | |
Wettstreit um das schrägste Outfit gegeneinander anzutreten scheinen. Die | |
gezeigte Kleidung wird zur Nebensache. | |
In der ersten Reihe der Schauen drängt sich die deutsche A- bis | |
D-Prominenz, lässt sich fotografieren und übt sich, auch durch | |
Outfitwechsel nach jeder Show, in der Kunst der Selbstvermarktung. Manche | |
beherrschen das Spiel, andere nicht. So ist Shermine Shahrivar, notorische | |
Schauspielerfreundin (Ralf Bauer, Thomas Kretschmann) mehr damit | |
beschäftigt, sich und ihren Freunden einen guten Platz zu sichern, als eine | |
gute Figur zu machen. | |
Die am Mittwoch eröffnete Berlin Fashion Week ist für die Branche nicht | |
wirklich wegweisend. Ein radikaler Trend lässt sich bis jetzt nicht | |
herausfiltern. Das widerspricht ein wenig der Sicht von Peter Levy, | |
Managing Director und Vice President IMG Fashion Worldwide, die | |
Modelagentur ist auch Veranstalter der Fashion Week. "Berlin ist zum Mekka | |
geworden für diejenigen, die innovativ, kreativ und avantgardistisch | |
arbeiten möchten", sagt Levy und ignoriert dabei, dass gerade die Labels, | |
die so arbeiten, sich eine Show auf dem Laufsteg im Zelt kaum leisten | |
können. | |
## Wood Wood ästhetisch ansprechend | |
Auch um im Studio, dem kleinen Raum neben dem regulären Catwalk, ihre | |
Kollektionen zu zeigen, müssen die DesignerInnen Geld zahlen. So wie es | |
etwa das Berliner Designerduo Juliaandben tat. Doch der improvisierte | |
Rahmen ohne richtigen Laufsteg wird den mutigen DesignerInnen nicht | |
gerecht. Hinter Smartphones und Kameras sind die Models, die steif die Mode | |
präsentieren, kaum zu erkennen. | |
Die dänischen Designer von Wood Wood haben einfach außerhalb des Zeltes | |
ihre Fashion-Show gezeigt und zwar im Kreativraum Made auf der | |
Alexanderstraße. Und schnell war erkennbar: Hier sitzen die entspanntesten | |
Gäste. Den Models wurde während ihres Laufs schon zugejubelt. Wood Woods | |
Streetwearkollektion ist wie immer solide. Keine große Überraschung, dafür | |
aber ästhetisch ansprechend. Das Designerduo hat sich von der englischen | |
Schuluniform inspirieren lassen. Warum aber die männlichen Models zum Teil | |
Verbindungsschärpen tragen mussten, ist unklar und ließ einige Gäste nach | |
der Show ratlos zurück. | |
Und auch Augustin Teboul zeigten ihre Kollektion außerhalb des Zeltes. | |
Annelie Augustin und Odély Teboul offenbaren eine Mischung aus Kunst und | |
Mode - also mehr Performance. In ihrer Kleidung spielen sie mit Erotik und | |
Romantik - und zeigen sich eher von einer dunklen Seite. Die Kleidung ist | |
komplett schwarz, fast gothicartig, aber gleichzeitig verträumt. Genau aus | |
diesem Zusammenstoß entwickelt sich die Dynamik ihrer Mode. | |
Die größeren Schauen im Zelt, von Escada Sport, Schumacher und Laurèl, | |
zeigen vor allem eins: Der Mainstream der Frauenmode ist immer noch sehr | |
weiblich und figurbetont - von Vielfalt kaum eine Spur. Die Kollektion mit | |
viel Leder und Pelz des italienischen Designers Dimitri ist irgendwo | |
zwischen Porno und Sex angesiedelt, also mehr Cicciolina als Sophia Loren. | |
Dass das Spiel mit expliziten Inhalten und Mode immer noch Aufsehen erregt, | |
bewies ebenfalls Modeblogger David Kurt Karl Roth von DandyDiary. Er lud in | |
einen Sexshop ein und zeigte dort seinen dreiminütigen "Fashion-Porn". In | |
dem Kurzfilm hat ein Paar Sex, es beginnt - abweichend von der gängigen | |
Konvention - mit dem Moneyshot, also mit der sichtbaren Ejakulation des | |
Mannes. Am Ende des Aktes ziehen beide Designerklamotten an. | |
## ModejournalistInnen? In Paris | |
Die internationale Presse berichtet kaum über die Modewoche in der | |
deutschen Hauptstadt und offenbart damit, welch niedrigen Stellenwert die | |
Berliner Fashion Week auf internationaler Ebene immer noch hat. Die | |
wichtigsten ModejournalistInnen und EinkäuferInnen sind derzeit alle in | |
Paris und schauen sich die Männerschauen an. Paris ist die größte | |
Konkurrenz für Berlin - und das, obwohl in der Hauptstadt überwiegend | |
Frauenmode gezeigt wird. | |
Die Veranstaltung soll Berlins Bedeutung als Modestadt weiter stärken, | |
schreibt der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit in seinem Grußwort. | |
Das kann allerdings nur funktionieren, wenn einerseits der Termin nicht mit | |
anderen wichtigen Modewochen kollidiert und anderseits der kreative Input | |
der Stadt mit allen avantgardistischen DesignerInnen, die tatsächlich in | |
Berlin zu finden sind, mehr in den Fokus gerät und finanzielle | |
Unterstützung findet. | |
Gegen Ende der Woche wird die Berliner Fashion Week wohl spannender. Am | |
Freitag zeigt Vladimir Karaleev seine neue Kollektion. Der gebürtige | |
Bulgare ist für seine Dekonstruktion bekannt. Er legt das eigentlich | |
Unsichtbare in der Mode frei. Stoffe, die sonst in der Innenseite eines | |
Kleidungsstücks sind, kehrt er zum Beispiel nach außen. Es geht ihm um das | |
"intendierte Zeigen". Seine Arbeiten wirken wunderbar roh, fast unfertig. | |
Und auch der als Enfant terrible der deutschen Modeszene verschriene | |
Designer Patrick Mohr präsentiert seine Kollektion am Freitag. Mohr liebt | |
die Provokation: So ließ er seine Kollektionen bei den letzten Berliner | |
Fashion Weeks etwa von Bodybuildern und Obdachlosen vorführen. | |
Viel interessanter war in den ersten Tagen der Fashion Week, was sich | |
außerhalb des Zeltes abspielt. Dort tobt der Kampf um das beste Foto von | |
Gästen und Modebegeisterten. Auf dem Platz hinter dem Brandenburger Tor | |
stehen vor allem Blogger und Streetstylefotografen neben den Chauffeuren | |
des Shuttle Services. Sie warten in der Kälte und suchen nach | |
ProtagonistInnen für ihre Blogs. Genau hier, im Regen, wird die provokative | |
und spannende Mode sichtbar, die man drinnen vermisst - bei den Menschen, | |
die auch außerhalb der Fashion Week Berlins Ruf als Modestadt mit Leben | |
füllen. | |
20 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Enrico Ippolito | |
Enrico Ippolito | |
## TAGS | |
Influencer | |
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