# taz.de -- Biopic über Dostojewski: Resozialisierter Langweiler | |
> Arte zeigt ein russisches Biopic über den Klassikerautoren. Es startet | |
> hochdramatisch, verliert sich dann aber in Plattitüden und | |
> Endlosdialogen. | |
Bild: Dostojewski an der Volksbühne sieht etwas anders aus als auf Arte. | |
BERLIN taz | Immer wieder diese Russen. Und immer so um die Weihnachtszeit. | |
Nicht dass es in Russland keinen Sommer gäbe, aber in den Filmen herrscht | |
anscheinend ewiges Schneetreiben. Der russische Winter ist ein ebenso | |
zwingendes Motiv wie die russische Seele. Am besten geht offenbar Tolstoi, | |
dessen „Krieg und Frieden“ Anfang Januar 2008 als vierteilige Miniserie im | |
ZDF lief. | |
Anfang Januar 2014 zieht die ARD nach mit 180 Minuten „Anna Karenina“. Und | |
weil das Leben zwar nicht unbedingt bessere Geschichten schreibt als die | |
Russen, deren Lebensgeschichten aber auch spannend sind, gaben in jüngerer | |
Zeit auch Helen Mirren und Christopher Plummer die Tolstois im Biopic „The | |
Last Station“. | |
Was für Tolstoi gut ist, kann für Dostojewski nicht falsch sein. Der hat | |
mit „Schuld und Sühne“ und „Die Brüder Karamasow“ auch sehr anständi… | |
Filmvorlagen geliefert. Da sollte seine Biografie sich doch mindestens | |
genauso gut filmisch dramatisieren lassen wie die des eigenbrötlerischen | |
Kollegen. | |
So geht es heute Abend auch gleich hochdramatisch los. Eisige Temperaturen, | |
dichtes Schneetreiben. Eine größere Zahl Regimekritiker soll hingerichtet | |
werden, unter ihnen Fjodor Dostojewski. Er hat weiter nichts getan, als aus | |
Belinskis Brief an Gogol zu zitieren, in dem die zaristische Autokratie | |
beklagt wird. | |
## Die existentiellen Erfahrungen der Strafkolonie | |
Die Kapuze hat man ihm bereits übergestreift, das Exekutionskommando hat | |
schon angelegt. In scheinbar allerletzter Sekunde kommt die Begnadigung. | |
Statt in die Ewigkeit geht es nur für vier Jahre in sibirische Lagerhaft | |
und anschließend ins Militär. | |
Biopics tun grundsätzlich gut daran, sich zu beschränken und die Geschichte | |
ihres Protagonisten nicht von der Wiege bis zum Totenbett zu erzählen. Die | |
Zäsur in Dostojewskis Leben ist ein plausibler Anfang. Die siebenteilige | |
russische Miniserie (Regie: Wladimir Chotinenko; Buch: Eduard Wolodarski), | |
deren erste drei Episoden Arte heute zeigt, hätte gute Unterhaltung werden | |
können. Dass sie das nicht geworden ist, liegt nicht zuerst an den | |
hierzulande unbekannten Schauspielern. | |
Es liegt auch nicht so sehr an so verschlafenen Drehorten wie Baden-Baden | |
und Wiesbaden. Es liegt eher daran, dass die Macher sich nicht allzu sehr | |
für die gewiss existenziellen, aber umso rascher abgehandelten Erfahrungen | |
in der Strafkolonie interessieren. | |
## Die Bürgerliche Ehehölle ist bekannt | |
Stattdessen zeigen sie das, was sie für deren Ergebnis halten, in der | |
epischen Länge nicht enden wollender Dialogsequenzen: Aus dem | |
Regimekritiker Dostojewski ist ein alabastergesichtiges Sensibelchen, ein | |
resozialisierter Langeweiler geworden. Seine neue Haltung: „Die Macht des | |
Zaren ist durch die Kirche geweiht und jedwede andere Macht wäre für | |
Russland verhängnisvoll.“ | |
Bleibt ein recht bürgerliches Leben mit Geldproblemen und | |
Frauengeschichten. Wobei Hauptdarsteller Jewgeni Mironow Dostojewskis | |
offenbare Sexyness nicht eben erfahrbar macht. Und die Ehehölle mit Maria | |
Isajewa (Tschulpan Chamatova aus „Good Bye, Lenin!“) kennt der Zuschauer | |
doch von zu Hause. | |
Kleine Kostprobe, Dostojewski und seine Frau: „Heute gehen wir ins | |
Theater.“ – „Geh nur, ich komme nicht mit.“ – „Warum?“ – „War… | |
nichts anzuziehen habe.“ – „Und was ist mit dem Abendkleid, das du dir ha… | |
nähen lassen? Es hat mir sehr gut gefallen.“ – „Aber mir nicht.“ – �… | |
es selbst ausgesucht.“ – „Fedja, wir haben es zusammen ausgesucht. Ich ha… | |
bestellt, was du wolltest, weil meine Meinung wie immer nicht zählte.“ – | |
„Warum musst du mich bei allem immer als den Schuldigen hinstellen?“ | |
Maria Isajewa wird dann noch sagen: „Tut mir leid, dass ich keine deiner | |
Romanheldinnen bin.“ Dem Zuschauer tut das nicht weniger leid. | |
5 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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Russen | |
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