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# taz.de -- Dostojewski ins Deutsche: Nase hoch beim Übersetzen
> Swetlana Geier hat Dostojewski neu übersetzt. Vadim Jendreykos Film "Die
> Frau mit den fünf Elefanten" porträtiert sie als Übersetzerin und Zeugin
> des 20. Jahrhunderts.
Bild: Die Übersetzerin Swetlana Geier mit Werken Dostojewskis, ihren "fünf El…
Sie hat keinen falschen Respekt vor der Tradition. Aus Fjodor Dostojewskis
in Deutschland längst eingebürgertem Titel "Schuld und Sühne" machte
Swetlana Geier in ihrer Übersetzung "Verbrechen und Strafe". Das war der
eine der fünf Elefanten des Filmtitels, der sichtbarste, aber nicht der
größte. Vier weitere Hauptwerke Dostojewskis, von "Der Idiot" bis "Die
Brüder Karamasow", hat sie im Lauf der vergangenen fünfzehn Jahre neu ins
Deutsche gebracht.
Sie wurde dafür von den Feuilletons gefeiert und vom Kulturbetrieb mit
Preisen bedacht. Regisseur Vadim Jendreyko porträtiert in seiner
Dokumentation Swetlana Geier als Übersetzerin, aber auch als Zeugin des 20.
Jahrhunderts.
So sieht man sie bei der Arbeit - und die ist Teamwork. Geier übersetzt
mündlich. Sie diktiert ihren Text einer Sekretärin, die ihn abtippt und
dabei auch nachfragt und korrigiert. Das Abgetippte nimmt sich dann ein
Freund der Übersetzerin vor, dem sie so etwas wie das absolute Gehör für
Fragen des Stils und der Grammatik bescheinigt. Er ringt mit ihr beinahe um
jedes einzelne Wort.
Diese Einblicke in die Werkstatt gewährt Swetlana Geier. Sie gehören zu den
spannendsten Szenen des Films; man kann sich, wenn man da zusieht, sehr
wohl einen Film vorstellen, der neunzig Minuten lang nichts anderes tut,
als zuzuschauen, wie Geier Dostojewski vom Russischen, das ihre
Muttersprache ist, ins Deutsche bringt, die Sprache, in der sie seit vielen
Jahrzehnten nun schon lebt.
Nicht weniger aber als das ganze, geradezu jahrhundertgesättigte Leben der
Übersetzerin will Vadim Jendreyko präsentieren. In Stichworten, die noch
weniger dramatisieren, als die selbst nicht gerade zur Sentimentalität
neigende Swetlana Geier es tut: Sie ist im Jahr 1923 in Kiew geboren. Ihr
Vater wird bei Stalins Säuberungen verhaftet, kommt als körperlich
gebrochener Mann frei. Geier pflegt ihn noch ein halbes Jahr, bis er
stirbt.
Im von Deutschen besetzten Kiew sieht sie den Zug der zigtausenden Juden,
die in die Schlucht von Babi Jar geführt werden, wo Wehrmacht und SS sie
dann niedermetzeln. Auf Umwegen und mit viel Glück gelangt Geier, die die
Sprache der Besatzer zu sprechen gelernt hat, nach Deutschland. Sie
heiratet einen Deutschen, sie wird Mutter, Großmutter, Urgroßmutter, sie
übersetzt und sie lehrt an deutschen Universitäten das Übersetzen. An die
großen Dostojewski-Romane macht sie sich erst mit beinahe siebzig Jahren.
Jendreykos Film folgt seiner Heldin überallhin. Sie macht auf Einladung
einer Universität eine Reise in ihre Heimat, das erste Mal, seit sie sie
vor mehr als sechzig Jahren verließ. Die Kamera ist dabei, wenn Geier den
Studierenden ihre Prinzipien erklärt: "Nase hoch beim Übersetzen!" Soll
heißen: nicht am Wort kleben, das Ganze im Blick behalten, den Geist ebenso
wie das Sprachmaterial erfassen.
Die Kamera folgt Geier an den Ort, in dem die Datscha ihrer Familie stand.
Ein paar Namen sind unter den heute dort Lebenden noch bekannt. Die Datscha
aber und der Brunnen, aus dem das Mädchen trank, finden sich nicht mehr.
"Das macht auch nichts", sagt Geier. Jendreyko begegnet dieser Nüchternheit
mit der einen oder anderen idyllischen Landschaftsaufnahme zu viel. Und er
legt Musik unter seine Bilder, die dem Film oft einen Stich ins
Geschmäcklerische gibt.
Überhaupt stimmt mit seiner Haltung insgesamt etwas nicht. Natürlich gibt
es zu Respekt vor dem Leben und der Leistung Swetlana Geiers mehr als nur
einen guten Grund. Der Film aber kommt seinem Gegenstand zugleich zu nahe
und wahrt andererseits die falsche Form von Distanz. Über den
Schicksalsschlag, der die Übersetzerin während des Drehs trifft (ihr Sohn
verletzt sich bei einem Arbeitsunfall und stirbt dann), möchte man so
genau, wie man darüber ins Bild gesetzt wird, gar nicht Bescheid wissen.
Dieses zwar sehr vorsichtige Eindringen in eine Intimzone kompensiert der
Film durch eine kulturfernsehkompatible Bewunderungsstarre, die einem als
bildungsbürgerliche Attitüde doch schnell auf den Geist geht. Man schmälert
die Leistung und das Leben Swetlana Geiers nicht, wenn man feststellt:
Etwas mehr von der ihr ja sehr eigenen Trockenheit hätte dem Film nicht
geschadet. Sehr sehenswert ist er, seiner Protagonistin wegen, freilich
auch so, wie er ist.
28 Jan 2010
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
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