| # taz.de -- 1. Weltkrieg in der Kunst: Nichts ist kubistischer | |
| > Wie sieht es vor dem Krieg, wie danach im Atelier aus? Danach fragt die | |
| > Ausstellung „1914. Die Avantgarden im Kampf“ in Bonn. | |
| Bild: In seinem Werk „Die Nacht“ von 1918 verarbeitete Max Beckmann seine E… | |
| Die Gegenüberstellung ist kein moralischer Fingerzeig. Während das | |
| „Selbstbildnis im Harnisch“ vom März 1914 einen stolzen Krieger zeigt, | |
| berichten die „Rüstungsteile im Atelier“ aus dem Jahr 1918 davon, wie | |
| dieses Selbstbild nun in Trümmern am Boden liegt. Die beiden Gemälde von | |
| Lovis Corinth inszenieren einfach die Fragestellung der Schau „1914. Die | |
| Avantgarden im Kampf“. Uwe Schneede, ehemaliger Direktor der Kunsthalle | |
| Hamburg, hat sie für die Bundeskunsthalle in Bonn ausgerichtet. | |
| Wie sieht es vor dem Krieg, wie danach im Atelier aus? Sind es dieselben | |
| Künstler wie 1914, die 1918 vor der Staffelei stehen – wenn sie es denn | |
| noch tun? Das will die Ausstellung wissen. Oder wie Uwe Schneede im Katalog | |
| die Ausgangsfrage formuliert: „Wie wirkte sich erst der Kriegsgedanke und | |
| dann der Krieg selbst auf das Werk der Avantgardekünstler aus?“ | |
| Zunächst fällt aber auf, wie stark der Fokus auf die Avantgarden im Kampf | |
| das Bild des Krieges verändert. Nur Frankreich, Italien, Russland und | |
| Deutschland meint man, seien in den Ersten Weltkrieg verwickelt gewesen. | |
| Was umso mehr irritiert, ist man im Vorfeld der Ausstellung der | |
| lohnenswerten Einladung von Tourismus Flandern gefolgt, dem | |
| Kooperationspartner der Bundeskunsthalle bei diesem Projekt, und hat mit | |
| dem belgischen Ypern einen der Schauplätze besucht. | |
| Hier drängt sich umgekehrt der Eindruck auf, die Engländer ganz allein | |
| hätten den Krieg ausgefochten. Zum Zapfenstreich, der seit 1928 | |
| allabendlich um 20 Uhr unter den gewaltigen Gewölben des Menentors geblasen | |
| wird, drängen sich die vornehmlich jugendlichen Besucher von der Insel | |
| dicht an dicht. Das Denkmal in Form eines römischen Triumphbogens | |
| verzeichnet die Namen von 54.896 vermissten Soldaten des damaligen | |
| britischen Imperiums. | |
| ## Kriegerisch wirkende Camouflagen | |
| Aber Großbritanniens Beitrag zur künstlerischen Moderne war bescheiden. Den | |
| vom italienischen Futurismus beeinflussten englischen Vortizismus lernt man | |
| im Blau, Gelb und Schwarz der hinreißenden, heute eher modisch als | |
| kriegerisch wirkenden Camouflagen kennen, die ein anonymer Künstler für das | |
| Schlachtschiff „HMS Ramilies“ entwarf. Da aber stecken wir schon tief im | |
| Krieg, in dem selbst Bäume getarnte Beobachtungsposten sind, wie es Leon | |
| Underwood 1916 in seinem Notizbuch festhält. | |
| Auf deutscher Seite bemalt Franz Marc riesige Zeltplanen, die vom Flugzeug | |
| aus auf ihre Schutzwirkung hin fotografiert werden, weshalb er sich | |
| wundert, „wie die Kandinskys auf 2000 mt wirken“. Und er sieht in den neun | |
| Zeltplanen eine Entwicklung von „Monet bis Kandinsky“. | |
| Im Kampfeinsatz der Kunst also endete der kämpferische Einsatz für den | |
| künstlerischen Aufbruch, der seine maßgeblichen Protagonisten noch vor dem | |
| Krieg geeint hatte. In Manifesten, Publikationen und vor allem | |
| Ausstellungen hatten sie ihn vorgestellt und waren darüber international | |
| vernetzte Freunde geworden. Bis 1913 organisierte etwa allein die Brücke 25 | |
| Ausstellungen, die auf 75 Stationen im In- und Ausland gezeigt wurden. | |
| In der Sonderbund-Ausstellung 1912 in Köln mit unglaublichen 634 Gemälden, | |
| im Zentrum van Gogh, Cézanne und Gauguin, wurde sich die Moderne schon | |
| ihrer selbst und der Internationalität ihrer Geschichte bewusst. Der | |
| Nachfolger in New York 1913, die Armory Show, überblickte analog dem | |
| Marc’schen Kunstgeschichteluftbild eine Entwicklung von Manet bis Marcel | |
| Duchamp und seinem „Akt eine Treppe herabsteigend“. | |
| ## Das kranke Blut vergießen | |
| Duchamp wich dem Krieg klugerweise nach New York aus. Zürich war ein | |
| weiterer wichtiger Zufluchtsort für Kriegsgegner wie Hugo Ball, und die | |
| Mitbegründer des Cabaret Voltaire Hans Arp, Emmy Hennings, Richard | |
| Huelsenbeck oder Tristan Tzara. 1917 stieß Alexej von Jawlensky dazu, der | |
| wie Wassily Kandinsky als unerwünschter Ausländer Deutschland zu | |
| Kriegsbeginn hatte verlassen müssen. Sein Kollege vom Blauen Reiter, Franz | |
| Marc, erblickte im Krieg die Chance, mit einer alten, eitlen und verlogenen | |
| Welt aufzuräumen: „Um Reinigung wird der Krieg geführt und das kranke Blut | |
| vergossen.“ Worauf ihm Kandinsky aus Zürich beschied: „Der Preis dieser Art | |
| Säuberung ist entsetzlich.“ | |
| Ähnlich fremd standen sich der kriegsbegeisterte August Macke und sein | |
| Freund Max Ernst gegenüber. (Macke fiel im September 1914, Marc im März | |
| 1916). Aufräumen wollte auch F. T. Marinetti und sah schon im | |
| Futuristischen Manifest 1909 den Krieg als „einzige Hygiene der Welt“. | |
| Lovis Corinth, anders als das Eingangsbild andeuten mag, blieb auch nach | |
| Kriegsende und Novemberrevolution, wie er sagte, „Preuße und kaiserlicher | |
| Deutscher“. Andere revidierten ihre Haltung, die sich in Beiträgen für | |
| patriotisch-kriegsunterstützende Publikationen niedergeschlagen hatte, | |
| recht bald, wie etwa Ernst Barlach. | |
| Bei Raoul Dufys gallischem Hahn, der sich siegreich auf dem zerrupften | |
| deutschen Adler aufplustert, oder bei Kasimir Malewitschs lustigem | |
| russischen Bäuerchen, das mit dem Dreschflegel ganze Abteilungen deutscher | |
| Pickelhauben zerlegt, wirkt die neue Volkstümlichkeit nicht wegen ihres | |
| nationalistischen Furors befremdlich, sondern wegen ihrer Realitätsferne zu | |
| den wahren Grausamkeiten des Kriegsgeschehens. Das findet sich in den | |
| Notiz- und Skizzenbüchern der Künstler, die ein zentraler Bestandteil der | |
| Ausstellung sind, die deshalb gerade in ihren kleinteiligen Passagen den | |
| größten Erkenntnisgewinn bietet. | |
| ## Veränderung der Form | |
| Der malerische oder zeichnerische Gestus, die Farben und Formen verändern | |
| sich im Laufe des Krieges. Max Beckmanns Strich etwa wird immer fahriger. | |
| Und während es den einen erschüttert, dass die Welt explodiert und in | |
| Stücke zerfällt, sieht der andere darin seine Sicht der Dinge bestätigt. | |
| „Etwas Kubistischeres als einen Krieg wie diesen“, schreibt Fernand Léger | |
| an seine spätere Frau, „gibt es nicht.“ | |
| Egon Schiele – auch die Österreicher waren im Krieg dabei – hofft zu Beginn | |
| des Krieges noch, als offizieller Kriegs- und Schlachtenmaler „Kunstwerke | |
| von höchster Wichtigkeit über unseren Krieg hervorbringen“ zu können, | |
| bescheidet sich dann aber, als Schlachtenmaler nicht angenommen, mit | |
| unaufdringlichen Porträtskizzen der russischen Kriegsgefangenen, die er | |
| bewacht. Oft ist eine neue Genauigkeit, ja geradezu Versessenheit aufs | |
| Detail zu beobachten. Die Abstraktion besorgten gewissermaßen die Schlacht | |
| und der Krieg selbst, betrachtet man die leere Landschaft in Félix | |
| Vallottons „Beschuss der deutschen Drahtverhaue, Gegend von Bolante“ | |
| (1917). | |
| ## Kein Baum älter als 95 | |
| In der Gegend von Ypern ist kein Haus und kein Baum älter als 95 Jahre. Nur | |
| der zufällig verschonte Teich im Schlosspark von Zonnebeke, wo ein | |
| Kriegsmuseum an die Schlacht von Passendale 1917 erinnert, zählt mehr als | |
| 100 Jahre. Der Traum der Avantgarden von der Tabula rasa, bei Kriegsende | |
| war er auf eine von ihnen nicht vorhergesehene, entsetzliche Weise wahr | |
| geworden. | |
| Die Wahrnehmung und Erinnerung des Krieges selbst war davon betroffen. „Die | |
| Leute kamen verstummt aus dem Felde“, beobachtete Walter Benjamin. „Nicht | |
| reicher, ärmer an mitteilbarer Erfahrung.“ Und er stellte fest, dass eine | |
| „ganz neue Armseligkeit mit dieser ungeheuren Entfaltung der Technik über | |
| die Menschen gekommen ist“. | |
| Aus der ästhetisch neuen Erfahrung eines erstmals in | |
| technisch-industriellen Dimensionen geführten Krieges, der 17 Millionen | |
| Menschen das Leben kostete, muss Dada und die spezifische Radikalität von | |
| Dada verstanden werden. So eindrucks- weil einsichtsvoll die Bonner Schau | |
| ist, so konzentriert und dabei mit überraschenden Ausstellungstücken | |
| gespickt: in ihrem Schlusskapitel scheitert sie. Denn sie behandelt die | |
| Nachkriegsbewegungen wie Konstruktivismus, Neue Sachlichkeit, Dada und | |
| Surrealismus als kunstinterne Auseinandersetzungen. | |
| Doch legte es die auffällige Rolle, die Fotografie und Film etwa im | |
| Surrealismus spielen, nicht nahe, die Kunstgeschichte des Ersten Weltkriegs | |
| in seiner Mediengeschichte fortzuschreiben? | |
| Die „1914“ angegliederte, stark fotografisch argumentierende Ausstellung | |
| „Missing Sons“, ist diese Mediengeschichte nicht. Unverändert wie im 19. | |
| Jahrhundert steht Fotografie hier für Erinnerung, für das Porträt der | |
| Vermissten, nicht nur zwischenstaatlicher Kriege, sondern auch der | |
| Diktaturen, Bürgerkriege oder des Terroranschlags vom 11. September 2001. | |
| Immerhin: Hier sind sämtliche kriegsführenden Nationen vertreten. | |
| 15 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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