# taz.de -- Schiedsrichter Rafati über den DFB: „Ich bin ein neuer Mensch“ | |
> Schiedsrichter Babak Rafati erklärt, warum er nach seinem Suizidversuch | |
> den DFB so offensiv angriff. Und wie der Verband versucht, Probleme | |
> auszusitzen. | |
Bild: „Arsch-Karte“: Babak Rafati fühlt sich vom DFB schlecht behandelt | |
taz: Herr Rafati, haben Sie mit dem DFB Frieden geschlossen? | |
Babak Rafati: Der DFB schweigt zu meiner Geschichte. Der DFB will keinen | |
Fall aufdecken, in dem er seine Finger im Spiel hatte. Wenn zwei Partner | |
ein Problem haben, sollten sie sich entgegenkommen. Aber der DFB geht immer | |
ein Schritt zurück. Das ist eine Institution, an die man nicht rankommt. | |
Die haben keine Lust, als Angeklagter in der Öffentlichkeit dazustehen. | |
Sehen Sie sich als Ankläger? | |
Ich möchte aufrütteln. Etwas bewegen. Aber viel ist nicht passiert. Nicht | |
beim DFB und nicht in der Gesellschaft. Angeblich sind die Themen Burn-out | |
und Depression in der Gesellschaft angekommen. Da kann ich nur lachen. Wenn | |
das Thema angekommen wäre, dann hätte es meinen Fall nicht gegeben und auch | |
nicht so viele andere. Es kotzt mich an, wenn sich die Herren beim DFB | |
hinstellen, einen auf Betroffenheit machen und tolle Reden halten. Aber | |
wenn es ans Handeln geht, dann bleiben die Hände in den Hosentaschen. Mir | |
geht darum, zu zeigen, wie weit man getrieben werden kann. | |
Sie nennen Namen. Die Schiedsrichter Herbert Fandel und Hellmut Krug machen | |
Sie als die Schuldigen aus. Warum so direkt? | |
Soll ich über deren Verfehlungen schweigen? Ich wollte Ross und Reiter | |
nennen. Ich habe monatelang mit mir gekämpft, ob ich alles auspacke. Dann | |
habe ich es getan. | |
Kein Wunder, dass der DFB schmollt. | |
Irgendwann war es mir egal, ob mich der DFB verstoßen wird. Mir ging es | |
darum, die Wahrheit zu sagen. Ich erwarte keine Entschuldigung vom DFB, | |
absolut nicht. Schön wäre es aber gewesen, wenn ich mich mit denen an einen | |
Tisch hätte setzen können. Ich möchte nur dazu beitragen, Betroffenen zu | |
helfen. Es geht nicht um das Was in der Vergangenheit, sondern um das Wie | |
in der Zukunft. | |
Sie hätten einen Kompromiss schließen können, angeblich wollte Sie der DFB | |
als Schiedsrichterbeobachter anstellen. Warum wollten Sie das nicht? | |
Das ist eine Schutzbehauptung. Es gab nie den Kontakt zwischen dem DFB und | |
mir. Alles lief nur über Anwälte. Und da sind viele schmutzige Dinge | |
gelaufen, auf die ich gar nicht eingehen möchte, weil ich keine | |
Medienschlacht vom Zaun brechen möchte. | |
Der DFB offenbar auch nicht. | |
Komischerweise wurde in meinem Buch nie etwas geschwärzt. Somit ist die | |
Wahrheit geklärt. Fandel hat nur gesagt: „Ich bin sprachlos.“ Das ist mir | |
zu wenig. Ich muss mich immer rechtfertigen für meine angebliche | |
Anklageschrift, aber der DFB lehnt sich schön zurück und lässt die | |
Geschichte im Sande verlaufen. Die Medien trauen sich auch nicht so richtig | |
ran an den mächtigen DFB, weil man sich den Zugang zu Interviews und | |
Informationen nicht verbauen will. Alles, was der DFB tut, ist die | |
Inszenierung einer Scheinwelt. | |
Wie reagierte der DFB nach Ihrem Suizidversuch? | |
Ein Jahr war vergangen und noch immer hatte sich keiner vom DFB bei mir | |
gemeldet. Keine Hilfe. Keine Unterstützung. Dann hat der DFB Wind bekommen | |
von meinem Buchprojekt. Und plötzlich gab es sehr viele Kontakte. Über den | |
Anwalt des DFB. Ich hatte das Gefühl, sie wollen mit mir sprechen, um zu | |
verhindern, dass es diese Veröffentlichung gibt. Da sind Dinge gelaufen, | |
die nicht sauber waren. | |
Hat man Sie unter Druck gesetzt? | |
Ja, ich fühlte mich unter Druck gesetzt. Aber ich habe gelernt, dass ich | |
mich vor der Wahrheit nicht verstecken muss. Wir leben doch in einem | |
Rechtsstaat und nicht in der Dritten Welt, wo ich für eine Aussage um die | |
Ecke gebracht werde. | |
Haben Ihre ehemaligen Schiedsrichterkollegen Mitgefühl gezeigt und den | |
Kontakt zu Ihnen gesucht? | |
Pro Saison bekommt ein Schiedsrichter bis zu 150.000 Euro. Da wird keiner | |
aufstehen für die Gerechtigkeit und seinen Job aufs Spiel setzen. Ich kann | |
keine Rebellion von ihnen erwarten. | |
Nach Ihrem Suizidversuch hat der DFB immerhin einen Psychologen für die | |
Schiris bereitgestellt. | |
Der wird doch nie in Anspruch genommen. Das bestätigt mir auch ein | |
Vertrauter. Das vermeintlich vertrauliche Gespräch hätte Folgen, nämlich | |
die, dass der betroffene Schiri sofort aus dem Verkehr gezogen wird und | |
wahrscheinlich nie wieder hochklassig pfeifen darf. | |
Sie waren ein ziemlich leidenschaftlicher Schiedsrichter. Fehlt Ihnen | |
dieser Rausch, vor 50.000 Leuten aufzutreten und ein entscheidender Mann | |
auf dem Platz zu sein? | |
Natürlich. Diese Leidenschaft werde ich nicht los. Ich war 25 Jahre | |
Schiedsrichter, und nur die letzten eineinhalb Jahre liefen nicht so gut. | |
Ich wäre gern wieder Schiedsrichter. Das ist in der Tat ein Rausch. Es ist | |
aber nicht mehr wie früher, dass ich jeden Sonnabend dem Spiel | |
entgegenfiebere. Wenn ich die Chance hätte, im Ausland zu pfeifen, dann | |
wäre das eine Option. In Deutschland ist das für mich undenkbar. | |
Weil Sie immer Fandel und Krug vor Augen hätten? | |
Mit der Schiedsrichterei an sich hatte ich nie ein Problem. Das Trauma sind | |
ja wirklich diese zwei Personen. Ich weiß, dass ich ein Schiedsrichter war, | |
der durch seine Körpersprache und durch Fehlentscheidungen polarisiert hat. | |
Aber das gehört dazu. Man wird kritisiert. Hart kritisiert von den Medien | |
und in Internetforen. Das hat mich nicht sonderlich glücklich gemacht, aber | |
es hat mich auch nicht umgehauen. Das war nicht der Grund für meinen | |
Suizidversuch. Das konnte ich ab. | |
Wirklich? | |
Die Anti-Babak-Rafati-Seiten hatten nichts mit dem Selbstmord zu tun. Auch | |
die Spieler haben mich ja dreimal zum schlechtesten Schiedsrichter gewählt. | |
Da hab ich mir dann schon gesagt: Babak, nimm dich mal ein bisschen zurück. | |
Aber ein großes Problem war all das nie. Bundesliga-Schiedsrichter werden | |
ja auf diesen Druck vorbereitet. Sie gehen Schritt für Schritt, steigen | |
langsam auf. Man gewöhnt sich daran. Wer diesen Druck nicht aushalten kann, | |
hat in der ersten Liga nichts zu suchen. Ich habe nicht viel gegeben auf | |
diese Pöbeleien im Netz. | |
Umso mehr hat Ihnen die Kritik des Schiedsrichterobmanns zugesetzt. | |
Ich war vor der Ära von Fandel und Krug kein schlechter Schiedsrichter und | |
danach auch nicht. Schlimm wurde es, als mir Kollegen steckten: „Du, Babak, | |
die wollen dich loswerden.“ Irgendwann hieß es auch von Fandel: „Alle | |
dürfen Fehler machen, nur du nicht.“ Mit so einem Satz ins nächste Spiel zu | |
gehen, ist verdammt schwierig. Ich hatte irgendwann das Gefühl, die freuen | |
sich bei jeder Fehlentscheidung von mir und mobilisieren alles, um mich zu | |
schwächen. Dabei hätten sie mit mir nur offen reden müssen. Ich bin jemand, | |
mit dem man über alles sprechen kann. Sie können mir direkt ins Gesicht | |
sagen: Du bist ein Blödmann, wir brauchen dich hier nicht mehr. Es ist mir | |
lieber, als wenn man hintenherum redet. | |
Das deutsche Schiedsrichterwesen stand schon zuvor in der Kritik. Im | |
Zusammenhang mit dem Fall Amerell wurde es mit einem Geheimorden | |
verglichen. Gibt es Berührungspunkte zwischen dem Fall Amerell und Ihrem? | |
Zum Fall Amerell sollte jetzt ja auch ein Buch erscheinen. Es ist nicht | |
herausgekommen. Ich vermute, dass derselbe Druck aufgebaut wurde wie bei | |
mir. Es gibt da gewiss viele Parallelen. Ich selbst habe Herrn Fandel und | |
Herrn Krug über Amerell reden hören: „Den wollen wir los werden. Den werden | |
wir abschießen.“ Und vieles mehr. Den Amerell haben sie auch übelst | |
gemobbt. Auch das ist ein Fall, den man beim DFB schön unter den Teppich | |
gekehrt hat. Wir reden hier auch über das Tabuthema Homosexualität im | |
Fußball. Dabei hat der DFB immer propagiert: Lasst uns die Randgruppe der | |
Homosexuellen erreichen. | |
Ist der DFB in der Ära Zwanziger nicht gesellschaftspolitisch gereift? | |
Gesagt wurde viel. Aber was ist gemacht worden? Wenig. Das ist alles | |
scheinheilig. Hat sich jemals ein Fußballer beim DFB geoutet? Hat sich im | |
Schiedsrichterwesen jemals etwas im Umgang miteinander geändert? | |
Sie müssen ja heilfroh sein, aus diesem Laden rausgekommen zu sein. | |
Ich bin ein neuer Mensch. Ich bin glücklich. So wie ich früher getickt habe | |
– das ist nicht gut gewesen. Ich habe damals viel falsch gemacht. | |
Belastet es Sie nicht, wenn Sie jetzt immer als derjenige wahrgenommen | |
werden, der sich einmal das Leben nehmen wollte? | |
Früher war das total belastend. Als ich in der Therapie war, habe ich mich | |
noch nicht einmal in den Park des Klinikums gewagt, weil ich Angst hatte, | |
darauf reduziert zu werden. Ich wollte auswandern und mir gar wieder das | |
Leben nehmen, weil ich dachte, jetzt nehmen dich alle auch noch als | |
Feigling wahr. Das war wirklich brutal. Heute sage ich mir: Die | |
Gesellschaft ist nur stark, wenn sie die Schwachen schützt. | |
Es ist ja ein weiter Weg, den sie da in kürzester Zeit beschritten haben. | |
Von den erneuten Selbstmordgedanken hin zum öffentlich gefragten | |
Vortragsredner zum Thema Depression und Burn-out. | |
Mein Therapeut hat mir einmal gesagt, man würde für die Heilung in etwa die | |
gleiche Zeit veranschlagen, die man auch krank gewesen sei. Ich hatte den | |
großen Vorteil, dass meine Depression nur innerhalb von 18 Monate | |
entstanden ist. Geholfen hat mir meine Frau – und die schnelle | |
Entscheidung, niemals zum DFB zurückzukehren. Andere müssen in ihr | |
Berufsleben und zu ihren Peinigern zurück. | |
14 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
Markus Völker | |
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