# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Lausige Regression, unfruchtbare! | |
> Einmal quer durch die Woche gesurft: Groko, Gauck, Russland, | |
> Boxweltmeister und Protest, Luftbrücke, Schnee. Und Goethe. | |
Bild: Syrien, Dezember 2013. | |
Fast hätte man geholfen. Denn fast hätte es geklappt mit der Luftbrücke, | |
über die mehr als 60.000 Menschen mit etwas Nahrung, Decken und Zelten im | |
Nordosten Syriens versorgt werden sollten. Doch es schneit zu sehr, die | |
Aktion muss verschoben werden. Tausende Syrer werden also in den vom | |
Assad-Regime abgeriegelten Gebieten verhungern und erfrieren? Tja – früher | |
ging eben irgendwie nicht. | |
Letzte Woche gab eine UN-Sprecherin bekannt, dass auch die nächste | |
Friedenskonferenz Genf III verschoben werden müsse. Es gebe am 22. Januar | |
zu wenig Hotelbetten in der Stadt, und lange Anfahrtswege nähmen die | |
Teilnehmer übel. Jetzt ist der Termin wieder offen. Bei Syrien verschiebt | |
der Westen mit ganz leichter Hand. | |
Immerhin Bundesinnenminister Friedrich gibt sich angesichts der | |
Schlagzeilen zur größten humanitären Katastrophe seit Jahrzehnten generös | |
und will noch mal 5.000 Syrer ins geheizte Deutschland lassen, nächstes | |
Jahr. | |
Die Logik ist kalt: Je mehr Syrer sterben, desto billiger für Deutschland. | |
Und Deutschland hat jetzt die Schuldenbremse und überhaupt andere Probleme. | |
Am Ende haben die Islamisten und das Wetter den Genozid zu verantworten. | |
Dass Erstere vor allem Geld aus Ländern beziehen, die mit dem Westen | |
verbündet sind, nämlich aus Saudi-Arabien und Katar, ist dabei ein lästiges | |
Detail. Lasst uns über Chemiewaffen reden. | |
## Unser Erdgas | |
Denn das mit dem Blick nach draußen, also das mit der Außenpolitik, das | |
fällt den Deutschen nun einmal schwer. Überall wartet so viel Ärger. Auch | |
wenn man den Ukrainer besser findet als das Gegreine der Araber nach Würde | |
und Menschenrechten, ach Gott. Der Ruf nach Europa in Kiew interessiert die | |
meisten auch nicht weiter, aber der deutschen Politik gefällt er ganz gut, | |
denn das europäische Riesenland Ukraine hat Erdgas, also auch unseres. | |
Dieses Terrain überlässt man nicht den Russen. Weshalb der scheu gewordene | |
Guido Westerwelle sich Mühe gibt, neben dem Boxweltmeister aus der Ukraine, | |
also eigentlich aus Hamburg, wie ein ordentlicher Staatsmann dazustehen. So | |
will er in die Annalen eingehen, nächste Woche, wenn die Große Koalition | |
endlich bestallt ist und sich direkt in die Weihnachtsferien verabschieden | |
kann. | |
Ein kleines Problem gibt es allerdings noch. Der Vorstoß von | |
Bundespräsident Gauck, nicht zu den Winterspielen nach Sotschi zu fahren, | |
sorgt unter seinen Freunden in der Berliner Republik für Grummeln. Seit | |
wann sorgt sich der Pfarrer aus Bellevue um Homosexuelle? Tut er nicht, | |
keine Sorge, es geht um seinen Vater. | |
Der wurde nach dem Krieg in ein sowjetisches Arbeitslager verschleppt, | |
deshalb stößt dem Sohn das Großmachtgehabe Putins bis heute bitter auf. Der | |
hat, indessen nicht faul, die Rede an die Nation gehalten und die | |
„geschlechtslose und unfruchtbare Toleranz“ Europas belächelt, um | |
stattdessen die russische Erfahrung im „organischen Zusammenleben | |
verschiedener Völker“ zu preisen. Kurz: „Wir wollen Leader sein.“ Putins | |
Wertegerüst braucht keine Diplomatie. Und doch täuscht der Mann sich. | |
## Bieder bis zum Erbrechen | |
Denn von geschlechtsloser und unfruchtbarer Toleranz kann keine Rede sein. | |
Dafür stehen die Kirchenvertreter, allen voran der Vorsitzende der | |
Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch. Entschlossen kippte man | |
die Empfehlung der portugiesischen Sozialistin Edite Estrela, | |
Sexualkundeunterricht und auch das Recht auf Abtreibung EU-weit zu | |
garantieren. | |
Die Vorherrschaft des heterosexuellen Mannes will garantiert sein, da | |
passen sie nach all den kleinen Rückschlägen in den Nationalstaaten jetzt | |
auf. Den weiblichen Körper zur Mutterschaft zu zwingen, ist ein bewährtes | |
Mittel. Das zum Thema geschlechtslos und unfruchtbar. | |
Und während die Rechten emsig auf die Europawahlen im März 2014 zuarbeiten, | |
was tut das aufgeklärte Bürgertum? Es geht ins Kino. In fünf Wochen sahen | |
knapp vier Millionen Deutsche die Teeniekomödie „Fack Ju Göhte“. Bieder b… | |
zum Erbrechen wird über deutsche Tugenden total lustig gelacht, die | |
Brillenträger, hö, die Streber, hihi, der rülpst ja, boah. Natürlich dreht | |
sich am Ende und am Anfang alles um Sex, Nutte hier, Nutte da, bloß hat ihn | |
keiner. Ausgezogen werden nämlich nur die netten Ausländerprolls von | |
nebenan (Elyas M’Barek). Die deutschen Mädels bleiben indessen schön | |
sauber, bringen den Straßenausländer aber am Ende auf den richtigen Weg: | |
Schluss mit dem Bankräuberquatsch, werd Lehrer! Muttidiktatur vom Feinsten. | |
Wer den Geisteszustand eines Landes begreifen will, das Merkel wählt und | |
wählt, obwohl sie nichts tut, außer festzustellen, dass niemand über | |
irgendetwas nachdenken müsse, der hat nach dem Sichten dieses lausigen | |
Regressionsstreifens keine Fragen mehr. | |
14 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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