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# taz.de -- Arbeitskampf für Tarifvertrag: Wiedersehen an der Amazonstraße
> Amazon-Mitarbeiter streiken für einen Tarifvertrag. Erneut. Und sie
> wollen durchhalten. Der Konzern gibt sich unbeeindruckt und bietet
> Geldgeschenke.
Bild: Sie wollen notfalls auch im nächsten Jahr weitermachen mit den Aktionen:…
LEIPZIG taz | Die Polizei hat für die Streikenden eine Fahrspur vor dem
Leipziger Amazon-Versandzentrum abgesperrt. Nun schon zum neunten Mal in
diesem Jahr. Ungemütlicher ist es auf dem schmalen Streifen an der
Amazonstraße geworden, trotz klarem Himmel.
Im Juni lud noch eine symbolische Urlaubsgeldinsel ein, wurde Sonnencreme
verteilt. Jetzt halten sich vor allem die Männer in ihren leuchtend
gelb-grünen Ver.di-Streikwesten mit dem Aufbau des „Streiklokals“ warm.
Unter lauten „Zugleich!“-Rufen bauen sie ein Zelt auf, in das alle der etwa
200 Streikenden passen würden.
Kaffee und heißer Tee werden an diesem Montagmorgen ausgeschenkt, die
Gulaschkanone für den Kartoffel-Erbsen-Eintopf ist angeheizt. Noch liegt
der Wagen für die Beschallung voller Kisten und Gepäck, aber bald soll hier
aufmunternde Musik ertönen. Die Bilder haben etwas vom Aufbau eines
Feldlagers, und tatsächlich richten sich die Streikenden diesmal auf eine
ganze Woche bis zum Sonnabend ein.
Länger als drei Tage haben sie es noch nie versucht, aber in dieser
umsatzstärksten Vorweihnachtswoche wollen die Kartonpacker in Leipzig, Bad
Hersfeld und in Graben bei Augsburg den Weltkonzern endlich zum Einlenken
zwingen.
## Nicht vom Gutdünken des Arbeitgebers abhängig sein
Seit der Urabstimmung im April dieses Jahres geht es unverändert um die
Aufnahme von Tarifverhandlungen. „Es ist nicht hinnehmbar, dass der
weltgrößte Onlineversandhändler jeden Tarifvertrag ablehnt“, sagt
Ver.di-Verhandlungsführer Jörg Lauenroth-Mago. „Wir wollen nicht vom
Gutdünken des Arbeitgebers abhängig sein“, drücken es Streikende aus. Und
dann soll es bitte ein Einzel- und Versandhandelstarif sein und nicht der
der Logistikbranche, an dem sich der Internethändler derzeit orientiert.
Aber man weiß an der Leipziger Amazonstraße auch, dass man es mit
US-amerikanischer Konzernkultur zu tun hat. Und da gelten Tarifverträge als
Teufelszeug.
Es geht den Streikenden nicht nur um eine bessere Bezahlung. Amazon
verweist seit Langem darauf, dass es mit den derzeit gezahlten Löhnen am
oberen Ende des in der deutschen Logistikbranche Üblichen liege. In Leipzig
beispielsweise beträgt der Einstiegslohn je Stunde 9,55 Euro, im dritten
Jahr dann 10,99 Euro für die Festangestellten. In Bad Hersfeld gibt es
zwischen 50 Cent und 1 Euro mehr. Etwa in dieser Größenordnung könnten die
Mitarbeiter mehr verdienen, wenn sich das Unternehmen am Handelstarif
orientieren würde. „Aber ein Tarif ist mehr“, erklärt der sächsische
Ver.di-Fachbereichsleiter Thomas Schneider. Neben einer verlässlichen
Entlohnung geht es um Arbeitsbedingungen und Zuschläge.
„Tarifverträge müssen normal und allgemein verbindlich werden“, ruft
deshalb der sächsische SPD-Landesvorsitzende Martin Dulig den Streikenden
zu. Der 39-Jährige ist von Dresden extra für eine halbe Stunde nach Leipzig
gekommen. Arbeitgeber sollten nicht so tun, als befänden wir uns noch im
19. Jahrhundert, findet er. Streikleitung und Streikende wollen sich
deshalb auch nicht von den „Trosthäppchen“ und Gnadengeschenken der
Betriebsleitung ködern lassen.
## Strategie der „direkten Beziehung“
Seit 2009 gibt es immerhin einen Betriebsrat für die 1.200 Festangestellten
in Leipzig. Die Vergütung ist allmählich angehoben worden. Dass die
Steigerung in diesem Jahr mit 4 Prozent deutlich ausfiel, schieben die
Mitarbeiter dem Streikdruck zu. Gleiches gilt für das Weihnachtsgeld von
400 Euro.
Ein poppiges Weihnachtskonzert, das sich die Mitarbeiter auch während der
Arbeitszeit geradezu anhören mussten, gab es schon im Vorjahr. Der Konzern
verfolgt eine Strategie der „direkten Beziehung mit unseren Leuten“
anstelle eines verbindlichen Tarifs, wie sich der deutsche Logistik-Chef
Dave Clark ausdrückt. Ver.di zählt er ausdrücklich nicht zu diesen
Beziehungspartnern.
Diese Arroganz und Unbeweglichkeit der Amazon-Leitungsebenen ziehen sich
schon durch das gesamte Jahr 2013. Von den möglichen Auswirkungen des
aktuellen Streiks zeigt sich etwa der Leipziger Regionalgeschäftsführer
Armin Cossmann so demonstrativ unbeeindruckt wie zuvor. Man sei gut
vorbereitet, außerdem streike nur „der kleinste Teil der Kollegen“, sagte
er dem Sender MDR info.
## Die armen Kinder!
Am Straßenrand vor den Hallen sieht man das anders. Die Streikenden gehören
zur Stammbelegschaft, zum „Core-Team“. Und nur mit angelernten
Saisonkräften klemme es im produktivsten aller deutschen Versandzentren
schon etwas, sagen Mitarbeiter. Ganz abgesehen vom Imageschaden. SPD-Mann
Martin Dulig findet es bezeichnend, dass Amazon jetzt „auf die Tränendrüse
drückt“ und die armen Kinder vorschiebt, die nun kein Weihnachtsgeschenk
erhalten würden.
Streikende räumen freilich auch einen gewissen Verschleiß ein. Die
anhaltende Ergebnislosigkeit zermürbt einerseits, steigert aber auch den
Trotz. Die Welle der Eintritte in die Gewerkschaft vom späteren Frühjahr
ist abgeebbt. Für die kommenden Tage erwarten sie aber noch einige Kollegen
mehr vor dem Betriebszaun. Denn viele wurden am Morgen von der
Streiknachricht überrascht und waren schlichtweg nicht winterfest
ausgerüstet.
Bestärkt werden die draußen Ausharrenden durch ihre rund 700 ebenfalls
streikenden Kollegen in Bad Hersfeld und durch eine Solidaritätskundgebung
vor der amerikanischen Firmenzentrale in Seattle. Für Mittwoch wird eine
Abordnung der polnischen Gewerkschaft Solidarność erwartet. Bei einer
Onlineabstimmung des MDR lehnten nur 28 Prozent der teilnehmenden Bürger
den Streik ab.
Ein Tannenbaum soll von den Streikenden auch noch aufgestellt werden.
Schmuck für ihn kann im Laufe der Woche mitgebracht werden.
Verhandlungsführer Lauenroth-Mago ist dennoch Realist genug, um nicht an
eine Bescherung nach dieser Streikwoche zu glauben. „Notfalls werden wir
die Aktionen im kommenden Jahr fortsetzen“, sagt er entschlossen.
16 Dec 2013
## AUTOREN
Michael Bartsch
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