| # taz.de -- Die Wahrheit: Zwölf Stationen ins Delirium | |
| > Angefangen hatte es mit dem Lied „The Twelve Days Of Christmas“. Daraus | |
| > wurde in Chicago ein „Dutzendsaufen“. Genau die richtige Tradition für | |
| > die Iren... | |
| Bild: Druckbetankung: Wer braucht schon Gläser? | |
| Am Dienstag ist endlich Weihnachten. An dem Tag sind die Wirtshäuser in | |
| Irland geschlossen, dem Himmel sei Dank. Natürlich wird die Nation nicht | |
| schlagartig ausnüchtern, aber wenigstens sind die Alkoholexzesse nicht mehr | |
| öffentlich. | |
| Die Vorweihnachtszeit auf der Grünen Insel ist eine Periode des Grauens. | |
| Jeder noch so kleine Betrieb lädt die Angestellten zur Weihnachtsfeier in | |
| irgendein Restaurant. Die Besitzer nutzen das gnadenlos aus und lassen sich | |
| für eine Tischreservierung mit dem Gegenwert einer Mittelmeerreise | |
| entlohnen. Bei Gruppen von mehr als sechs Leuten gibt es nicht etwa | |
| Mengenrabatt, sondern einen Aufschlag von zehn Prozent wegen des | |
| Stressfaktors. Nach dem Essen geht es im Pub weiter, bis die Leber | |
| quietscht. Wer – wie ich – keinem Betrieb angehört, wird aus falschem | |
| Mitleid für einen Abend zum Ehrenmitarbeiter erklärt und zu lauter | |
| Fremdfeiern mitgeschleppt. | |
| Als ob das nicht reichen würde, ist vor ein paar Jahren ein Spektakel | |
| hinzugekommen, an dem die halbe Nation teilnimmt: „The Twelve Pubs Of | |
| Christmas“. Man ahnt, worum es dabei geht, aber in Wirklichkeit ist es noch | |
| viel schlimmer. Die Teilnehmer müssen Weihnachtsmannmützen sowie | |
| geschmacklose Pullover tragen, die sie eigenhändig mit batteriebetriebenen | |
| Lämpchen, roten Rudolfnasen und Lametta verziert haben. In jedem der zwölf | |
| Wirtshäuser muss man binnen einer halben Stunde ein großes Bier trinken. | |
| Aber das ist längst nicht alles, es gibt bei der Kneipenbekriechung strenge | |
| Regeln: Im ersten Pub darf man das Getränk nicht in der rechten Hand | |
| halten, im nächsten ist Fluchen verboten, im dritten muss man einen Schuh | |
| mit jemandem tauschen, und so weiter. Und kein Toilettenbesuch vor der | |
| sechsten Kneipe! Wer gegen eine Regel verstößt oder sich gar übergibt, muss | |
| zusätzlich einen Schnaps trinken. Kein Wunder, dass die Iren mit einem | |
| Liter reinen Alkohol pro Kopf und Monat in der Statistik recht weit vorne | |
| liegen. | |
| Der Pfad ins Delirium ist lose an das Lied „The Twelve Days Of Christmas“ | |
| angelehnt, bei dem es freilich zivilisierter zugeht. Es handelt von zwölf | |
| Geschenken, die „meine wahre Liebe mir“ an jedem dieser zwölf Tage, die am | |
| ersten Weihnachtstag beginnen und am Dreikönigstag enden, gemacht hat, zum | |
| Beispiel zwei Turteltauben, drei französische Hennen, sieben schwimmende | |
| Schwäne, acht melkende Mägde, elf dudelnde Dudelsackspieler und andere | |
| nützliche Gaben. In Chicago münzte man das 1996 zum vorweihnachtlichen | |
| Dutzendsaufen um. Ein paar Jahre später importierten es die Iren und | |
| erklärten es zu einer Tradition, die bis zu den Kelten zurückreicht. | |
| Man erkennt die Teilnehmer schon von weitem. Sie rennen alles um, was ihnen | |
| im Weg steht, denn sie haben es eilig, ins nächste Wirtshaus zu gelangen. | |
| Von Stunde zu Stunde werden sie jedoch langsamer, manche müssen gestützt | |
| werden, andere kotzen oder pinkeln auf den Gehweg und müssen mit einem | |
| Strafschnaps rechnen. Morgens stinkt die ganze Innenstadt. Am Mittwoch ist | |
| es zum Glück vorbei. Fröhliche Weihnachten! | |
| 22 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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