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# taz.de -- Erzwungener Umzug: „Tourist in der eigenen Stadt“
> Andreas Sidiropoulos ist einer der Bewohner, die die einsturzgefährdeten
> Esso-Häuser verlassen mussten. Weihnachten verbringt er nun im Hotel.
Bild: Wird Weihnachten bei seiner Schwester verbringen und nicht in seinem klei…
HAMBURG taz | Zehn Jahre hat Andreas Sidiropoulos in einer Einzimmerwohnung
in den Esso Häusern gewohnt. Es waren seine 30 Quadratmeter. Als er einzog,
verlegte er Teppich. Er ist fast jeden Tag mit seinem Roller zur Arbeit in
ein Restaurant am Schulterblatt gefahren und wohnte gerne in den
Esso-Häusern. Er hatte ein paar nette Nachbarn, aber auch einige weniger
angenehme. Er zieht die Nase kraus, beugt sich ein wenig vor und senkt die
Stimme, als er das sagt. Sidiropoulos hat dieses Jahr eine neue Herzklappe
bekommen, war acht Monate Zuhause und hat erst im November wieder
angefangen, fünf Stunden am Tag zu arbeiten. „Und jetzt das“, sagt er.
Er sitzt mit zwei seiner Nachbarn im Frühstücksraum eines kleinen Hotels in
St. Georg. Sie unterhalten sich auf griechisch. Sechs Griechen haben in den
Esso Häusern gewohnt, erzählt Sidiropoulus.
Das Hotel, in dem derzeit einige der ehemaligen Bewohner untergebracht
sind, liegt in einer Seitenstraße mit Kopfsteinpflaster. Zur Langen Reihe
sind es nur wenige Schritte. Ein Einzelzimmer kostet um die 100 Euro die
Nacht.
Einfach und gepflegt ist das Hotel und die Kosten trägt die Bayerische
Hausbau, die Eigentümerin der Esso Häuser. Bis zum 6. Januar wird
Sidiropoulose bleiben können, dann wird er weitersehen. „Ich muss sagen,
dass sich die Hausbau bisher korrekt verhalten hat“, sagt er.
Er war arbeiten, als die Esso Häuser in der Nacht auf den 14. Dezember
geräumt wurden. Nachbarn erzählten ihm später von wackelnden Gläsern im
Schrank. Als er nach Feierabend heim kam, durfte er nicht mehr in seine
Wohnung und ging in die Notunterkunft in Altona. Doch sein Blutdruck war
viel zu hoch und die Medikamente lagen in der Wohnung. Er wurde für eine
Nacht ins Krankenhaus eingeliefert und anschließend drei Nächte in einem
Hotel in St. Pauli untergebracht, ehe er hierher kam. „Ich glaube nicht,
dass wir so überstürzt raus gemusst hätten“, sagt er. Im Sommer wäre eh
Schluss gewesen. „Bis dahin hätten wir ruhig bleiben und in Ruhe eine
andere Wohnung suchen können.“ Aber vielleicht sei es ja doch gefährlich.
So richtig glauben mag er das nicht.
„Ich kenne mich hier gar nicht aus“, sagt der 51-jährige Kellner und deutet
vage Richtung Lange Reihe. Er ist viel in der Stadt unterwegs, ist manchmal
auf dem Steindamm. Aber das St. Georg zwischen Langer Reihe und Alster
entdeckt er nun ganz neu. Sidiropoulos läuft viel herum und versucht, nur
zum Schlafen in sein Hotelzimmer zu gehen. „Es ist schon sehr eng mit nur
zehn Quadratmetern“, sagt er. „Und, naja, es ist eben nicht meine Wohnung.�…
Im Hotel übernachtet er sonst nur, wenn er Ferien in Griechenland macht.
Vor 32 Jahren ist er aus Thessaloniki nach Hamburg gekommen. Sein Bruder
lebte schon hier und es gab Arbeit. Sidiropoulus wollte eigentlich nur ein
paar Jahre bleiben. Heute ist klar, dass er nicht zurückgehen wird.
Nun ist seine Stadt Hamburg und Sidiropoulus sagt im Frühstücksraum seines
Hotels: „Ich fühle mich gerade wie ein Tourist in der eigenen Stadt.“ Das
gefällt ihm.
Sidiropoulus ist froh, dass er Weihnachten nicht im Hotel verbringen muss.
Seine Schwester, die auch in Hamburg wohnt, hat ihn eingeladen. Es gibt
einen Baum, leckeres Essen und Geschenke. „Die Griechen feiern genauso
Weihnachten wie die Deutschen, nur die Geschenke gibt es erst Silvester“,
erzählt Sidiropoulos. „Wir zwei beschenken uns aber schon an Heiligabend.“
An Silvester müsse er sowieso arbeiten. Die Feiertage bekommt er ohne
eigene Wohnung herum.
Die Bayerische Hausbau hat Sidiropoulus ein Angebot gemacht. „Ich habe
einen unbefristeten Mietvertrag, zahle 382 Euro warm für meine 30
Quadratmeter und mir wurde zugesichert, dass ich zu ähnlichen Konditionen
zurückkommen kann“, sagt er. Er will gern zurückkommen. Als er im April
2003 in die Esso Häuser zog, hat er seine alten Möbel in einen LKW gepackt
und wegschmissen. Er kann sich gut von Dingen trennen. Am Montag durfte er
nochmal kurz in seine Wohnung, um zu markieren, was der Eigentümer
wegwerfen darf. In die neue Wohnung dürfen nur das Bett, die gerade
gekaufte Matratze, der neue Schrank und der Tisch mit den zwei Stühlen mit.
Alles andere von der Garderobe mit dem abgebrochenen Haken bis zum
Fernseher samt Komode kann weg.
Ungefähr 20 Wohnungen hat ihm die Saga bisher angeboten. Die meisten auf
St. Pauli oder in der Sternschanze. Zehn Wohnungen hat er in die engere
Auswahl genommen und am Montag hat Sidiropoulos sich seinen Favoriten
angesehen: eine Einzimmerwohnung in den Grindelhochhäusern. „Da wollte ich
immer mal wohnen“, sagt er. Im Moment fehle ihm eigentlich nur das sichere
Gefühl, das einem eine eigene Wohnung bietet. Aber „es ist alles nicht so
dramatisch“.
23 Dec 2013
## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
## TAGS
Reiseland Griechenland
Esso-Häuser
St. Pauli
Esso-Häuser
Hamburg
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