# taz.de -- Blick zurück auf den Anfang der Moderne: Der Baukunst-Sammler | |
> Er stand für eine selten gewordene Art der Kunst- und Wissensvermittlung: | |
> Das Landesmuseum Oldenburg würdigt seinen Gründungsdirektor Walter | |
> Müller-Wulckow. | |
Bild: Berge von Arbeit: Walter Müller-Wulckow | |
OLDENBURG taz | Architekturvermittlung allerorten: Seit einiger Zeit ist | |
sie ein gerne gebrauchtes Wort, geht es um die Sensibilisierungen der | |
Bevölkerung für ihre gebaute Umwelt. Vielerorts sind Zentren oder Netzwerke | |
für Baukultur entstanden, es gibt sogar eine Bundesstiftung in ihrem | |
Dienste – der so mancher allerdings die intellektuelle Präsenz eines | |
Wachkoma-Patienten attestiert. Wie anders muss das während der Weimarer | |
Republik gewesen sein: Dieser Eindruck drängt sich auf, erlebt man den | |
Kosmos wieder, den der Kunsthistoriker Walter Müller-Wulckow rund um die | |
Baukunst der frühen Moderne aufspannte. | |
Diesem Müller-Wulckow, ab 1921 sein Gründungsdirektor, widmet das | |
Landesmuseum Oldenburg derzeit eine bestechende Sichtung. Müller-Wulckow, | |
neben Ausstellungen auch in einer vierteiligen Buchfolge zur neuen | |
Baukunst, wahre Publikumserfolge – und eine massenmediale | |
Geschmackserziehung, wie sie heute vergessen zu sein scheint. Was war aber | |
das Geheimnis der Blauen Bücher Müller-Wulckows, und wer war er selbst? | |
Als Walter Müller-Wulckow, geboren 1886 in Breslau, nach Oldenburg kam, war | |
er kein Unbekannter mehr. In großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, | |
hatte er nach der Promotion bei Georg Dehio in Straßburg, dem Begründer | |
einer modernen Baudenkmalpflege, seit 1912 als freier Kunst- und | |
Architekturkritiker für die Frankfurter Zeitung gearbeitet. Die unabhängige | |
und liberale Zeitung war anerkannt für ihr Feuilleton, galt als Forum | |
deutscher und europäischer Intellektueller. | |
Er engagierte sich im Deutschen Werkbund, war kurzzeitig Syndikus des | |
Bundes Deutscher Architekten (BDA) und baute dank eines ererbten Vermögens | |
eine profilierte Sammlung moderner Kunst auf, etwa von Emil Nolde und Ernst | |
Ludwig Kirchner. Und Müller-Wulckow knüpfte Kontakt zu dem Verleger Karl | |
Robert Langewiesche in Königstein und Leipzig. | |
Dessen Blaue Bücher waren damals die erfolgreichste Bildbandreihe des | |
deutschsprachigen Buchhandels, ihre Themen weit gestreut, getragen von | |
einem wertkonservativen Volksbildungsanspruch. Trotz ihrer gediegenen | |
Aufmachung waren die Bücher daher auch sehr preiswert: Das Exemplar kostete | |
1,80 Reichsmark. | |
Aber der bereits 1916 vertraglich beschlossene erste Band Müller-Wulckows | |
zur modernen Architektur – über Bauten der Arbeit und des Verkehrs – | |
verzögerte sich wegen des Weltkriegs und der weltpolitischen Lage mehrfach | |
und konnte erst 1925 erscheinen. Das erwies sich im Nachhinein als | |
Glücksfall: Mit dem Bauhaus entfaltete sich seit 1919 ja eine international | |
orientierte und rezipierte architektonische Avantgarde in Deutschland, die | |
nun ihren Niederschlag in der Publikation finden konnte. | |
Neben dem Aufbau einer Sammlung für das Oldenburger Landesmuseum, die 1923 | |
in das ehemals großherzogliche Schloss einzog, setzte er von | |
Norddeutschland aus seine Arbeit an den Baukunstbänden fort. Er folgte | |
dabei einer Methode systematischer Inventarisation, ähnlich der | |
denkmalpflegerischen Bestandserfassung seines Lehrers Dehio. | |
Dazu pflegte Müller-Wulckow Korrespondenzen mit rund 400 Architekten und | |
Baufirmen, reiste quer durch Deutschland und das benachbarte Ausland, | |
erstellte sich eine umfangreiche Bibliothek aus Fachbüchern und | |
Zeitschriften. Er erbat für die Veröffentlichung Projektunterlagen und, vor | |
allem, gutes fotografisches Bildmaterial: pro Bauwerk eine | |
charakteristische und bildmäßig wirksame Aufnahme. | |
Von den mühsamen Abstimmungen mit Architekten und ihren speziellen Wünschen | |
lässt der bis heute erhaltene Briefwechsel von über 3.500 Seiten einiges | |
erahnen: Mancher wollte sich nur mit einer kompletten Bildserie | |
veröffentlicht wissen und lehnte eine Auswahl als Zensur ab – für | |
Müller-Wulckow dann wohl ein Ausschlusskriterium. Andere wiederum, | |
beispielsweise Heinrich Tessenow, hatten schlichtweg nichts mehr zur Hand, | |
weil für Veröffentlichungen und Ausstellungen alle Fotos hergegeben worden | |
waren, aber nie zurückerhalten. | |
Beeinträchtigt wurde Müller-Wulckows Sammeltätigkeit aber auch durch | |
regionale Qualitätsunterschiede im Bauen: So bemängelte er etwa das | |
Stagnieren der künstlerischen Entwicklung in Bayern – und bat Architekten | |
um Hinweise auf besondere Kollegen. | |
In rascher Folge erschienen insgesamt vier Blaue Bücher zu Baukunst, 1928 | |
der zweite und dritte Band zu Wohnbauten und Siedlungen sowie Bauten der | |
Gemeinschaft, 1930 dann „Die Deutsche Wohnung der Gegenwart“. Die | |
Gesamtauflage betrug 135.000 Exemplare. | |
Verglichen mit zeitgenössischen Publikationen etwa des Bauhauses mit ihrer | |
experimentellen Typographie und konstruktivistischem Layout kommen die | |
Blauen Bücher mit altbackenen Titelblättern und Frakturschrift eher | |
unscheinbar daher. Kritiker bemängelten damals auch die scheinbare | |
Wahllosigkeit hinsichtlich der Baustile. Müller-Wulckow ging es aber gerade | |
nicht um die Parteinahme für eine der architektonischen Richtungen: Er | |
suchte das sich wandelnde Lebensgefühl seiner Generation zu ergründen, das | |
sich Ausdruck in der Bauform schaffe. | |
Er vertraute auf das Allgemeingültige, das den individuellen Stil | |
Überwindende, stellte alternative formale Lösungen im Buch direkt | |
nebeneinander. Über das Wahrnehmen der Differenz sollte das Grundsätzliche | |
erkannt werden, der zeitlose Wert. Diese pädagogische Begleitung des Lesers | |
ist bis heute publizistisch vorbildlich, sie macht die Qualität der | |
Architekturvermittlung Müller-Wulckows aus. Und ganz nebenbei | |
inventarisierte er so die Baudenkmäler von morgen. | |
Seine Blauen Bücher zur Architektur der Moderne standen bis nach 1938 auf | |
der Verlagsliste. Waren sie zu ihrem Erscheinen wie trojanische Pferde, die | |
auch kulturfernen Laien mit einem preiswerten Medium die Vielfalt der | |
modernen Architektur zu erschließen wussten, wurden sie später diskrete | |
Parallelwelten eines befreiten Geistes. | |
Diese undogmatische Umsicht bewährte sich auch während des | |
Nationalsozialismus. Zwar konnte Müller-Wulckow nicht verhindern, dass | |
Bestände des Landesmuseums 1937 als entartet konfisziert und er selbst | |
diffamiert wurde. Es soll ihm aber gelungen sein, einiges beiseite zu | |
schaffen. Sowohl 1933 als auch 1945 im Amt bestätigt, ging er 1951 in | |
Pension und verstarb 1964 in Oldenburg. | |
## „Neue Baukunst!“: bis 23. Februar, Landesmuseum Oldenburg, danach im | |
Bauhaus-Archiv Berlin und im Architekturmuseum Breslau | |
2 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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