# taz.de -- Bauhaus-Neubau in Dessau: Das Meisterhaus zerstört | |
> Dessau hat ein Stück Baukunst bekommen, aber einen authentischen Ort | |
> verloren. Am Freitag wurden die „neuen Meisterhäuser“ feierlich eröffne… | |
Bild: Das neue Meisterhaus Gropius, Bruno Fioretti Marquez Architekten 2010-201… | |
„Gropius kehrt zurück nach Dessau“, so eine Formulierung hat man in der | |
anhaltinischen Metropole anlässlich der feierlichen Eröffnung der „neuen | |
Meisterhäuser“ am vergangenen Wochenende tunlichst vermieden. Die | |
Sprachregelung lautet stattdessen „städtebauliche Reparatur“, um das | |
belastete Wort Rekonstruktion zu vermeiden. | |
Über ein Jahrzehnt hatten sich Experten und politisch Verantwortliche | |
gestritten, ob und wie das kriegszerstörte Meisterhaus von Bauhaus-Direktor | |
Walter Gropius und die ebenso verloren gegangene Doppelhaushälfte von | |
Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy wieder aufgebaut werden sollten. Die | |
Stiftung Bauhaus war anfangs dagegen, stimmte dann aber unter dem 2009 | |
berufenen Direktor Philipp Oswalt einer Art von Kompromiss zu. | |
Was jetzt durch das Berliner Archititektenbüro Bruno Fioretti Marquez | |
realisiert wurde, reproduziert das ehemalige Volumen der beiden Häuser, die | |
prominent die Spitze der Meisterhaussiedlung besetzen. | |
Gropius hatte die Doppelhäuser zusammen mit dem Bauhausgebäude 1925/26 für | |
die sogenannten Meister der Schule zu Wohn- und Arbeitszwecken errichtet. | |
Für sich selbst baute er ein Einzelhaus mit separater, straßenseitig | |
gelegener Garage. Die Garage und der Kellersockel sind heute die einzigen | |
original erhaltenen Teile des Gebäudes. | |
## Replik der alten Hülle | |
1956 wurde auf dem Sockel ein Wohnhaus für die DDR-Intelligenzija | |
errichtet. Dieses nach seinen Bewohnern mit Haus Emmer bezeichnete Gebäude | |
stand bis 2011 und musste danach der Replik der alten Hülle weichen. Ein | |
herber Verlust. Nicht weil das Haus der Familie Emmer architektonisch | |
sonderlich wertvoll gewesen wäre, sondern weil es eine Menge zu erzählen | |
hatte. | |
Der Internationale Rat für Denkmalpflege (Icomos) bescheinigte dem Haus | |
eine „Irritation auslösende Zeugnishaftigkeit“. Jetzt fehlt bei der | |
Darstellung der Geschichte des Bauhauses und seiner Rezeption, zu der die | |
Stiftung Bauhaus sich ihrer Satzung gemäß verpflichtet, die Zeitgeschichte | |
der DDR. Haus Emmer zeigte bis zu seiner mutwilligen Zerstörung, dass die | |
DDR in den fünfziger Jahren ein strikter Feind der Bauhaus-Tradition war. | |
Eben deswegen bekam der verbliebene Rest des Gropius-Hauses ein biederes | |
Einfamilienhaus mit Satteldach aufgesetzt. | |
Beim Grundriss unterschied sich das Haus Emmer aber nicht sonderlich von | |
seinem Vorgänger. Denn so meisterlich und so modern waren die | |
Gropius-Meisterhäuser durchaus nicht. Das Image der nackten und weiß | |
verputzten Fassaden verdeckte die traditionell-bürgerliche Vorstellung des | |
Wohnens, die Gropius hier mit kleinteiligen Zimmerchen und der | |
Hausmeisterwohnung im Keller bei seinem eigenen Haus verwirklicht hat. | |
## Abstraktion und Subtraktion | |
All das wird sich demnächst im Inneren des Neubaus nur noch in einer | |
Dokumentationsausstellung über die Meisterhäuser finden lassen. Denn hinter | |
der deutlich als Neubau erkennbaren Fassade aus Leichtbeton und | |
Mattglasfenstern haben die Architekten ein Konzept verwirklicht, das auf | |
Abstraktion und Subtraktion fußt. Das heißt, es fehlen ganz einfach viele | |
der zum Original gehörigen Innenwände. | |
So entstanden etagenübergreifende Räume mit Galerien, die wie ein Rohbau | |
anmuten. Einzige Zutat sind zarte, kaum erkennbare Putzflächen in | |
unterschiedlicher Texturen, die vom Künstler Olaf Nicolai auf hölzerne | |
Artefakte aufgetragen wurden, die Teile der ehemaligen Binnenstruktur | |
aufgreifen. | |
Kurzum: Es ist tatsächlich keine echte Rekonstruktion entstanden, sondern | |
etwas Neues, sehr Artifizielles, das gleichwohl den neuen Nutzungen als | |
Besucherzentrum beim Gropius-Haus und der Erweiterung des | |
Kurt-Weill-Zentrums beim Moholy-Nagy-Haus besser Platz bietet, als das die | |
alten Wohngrundrisse ermöglicht hätten. Dessau hat ein Stück Baukunst | |
bekommen, zugleich aber mit dem Abriss von Haus Emmer eine Portion | |
Authentizität verloren. | |
## Um die Gunst der Touristen buhle | |
Zu verantworten haben das die politischen Vertreter von Stadt und Land, die | |
sich damit brüsten, dass Dessau die „authentischste“ Bauhausstadt sei, und | |
damit schon auf das 2019 bevorstehende hundertjährige Jubiläum des | |
Bauhauses vorausblicken. Dessau wird dann zusätzlich mit einem neuen | |
Bauhausmuseum im Stadtpark um die Gunst der Touristen buhlen und in | |
Konkurrenz zu den beiden anderen Bauhaus-Stätten in Weimar und Berlin | |
treten, die zum Jubiläum ihrerseits Museumsneubauten präsentieren werden. | |
Das Bauhaus wird in Dessau immer mehr zum Faktor des Tourismusmarketings. | |
Das neue Meisterhaus von Gropius ist dabei als Besucherzentrum vorgesehen | |
und wird auf die in Dessau verteilten Bauhaus-Bauten hinweisen – vom | |
Bauhausgebäude bis zur Siedlung Törten, vom Restaurant Kornhaus an der Elbe | |
bis zum ehemaligen Arbeitsamt von Gropius in der Innenstadt. | |
Hatte man sich am Bauhaus seit der Gründung der Stiftung 1994 noch in die | |
Stadt- und Regionalplanung in der Region Anhalt eingemischt (etwa mit | |
Projekten zum „Industriellen Gartenreich“), so scheint der Politik solche | |
Mitarbeit in letzter Zeit zunehmend entbehrlich. Das war wohl auch einer | |
der Gründe, warum der Kultusminister von Sachsen-Anhalt, Stephan Dorgerloh | |
(SPD), den im Februar ausgelaufenen Vertrag von Bauhaus-Direktor Philipp | |
Oswalt nicht verlängern wollte. | |
## Kompromiss bei den neuen Meisterhäusern | |
Oswalt, der maßgeblich zum gefundenen Kompromiss bei den neuen | |
Meisterhäusern beigetragen hat, gibt nun als Kurator dem Bauhaus noch ein | |
Abschiedsgeschenk mit auf den Weg. Das Ministerium von Dorgerloh drang zwar | |
darauf, dass die Schlüsselübergabe der neuen Meisterhäuser im Beisein von | |
Bundespräsident Gauck mit der Eröffnung der Oswalt’schen Ausstellung nicht | |
zusammenfiel, aber die zwei Tage zuvor eröffnete Schau „Moderne zerstört“ | |
liefert einen wichtigen Kontext zur Bauhaus-Rezeption nach. | |
In dieser im Bauhausgebäude gezeigten Ausstellung geht es nämlich um die | |
Frage, warum das Gropius’sche Meisterhaus überhaupt zerstört wurde. Die | |
Antwort findet sich in den Jahren nach 1932, als die Nazis die | |
Bauhaus-Schule aus Dessau bereits vertrieben hatten. | |
Dessau wurde zur Boomtown der Rüstungsindustrie, seine Bevölkerung wuchs | |
von 80.000 auf 130.000 Einwohner. Vor allem die Junkers-Werke wurden zur | |
Waffenschmiede der Luftwaffe. Hier wurden nicht nur die | |
berühmt-berüchtigten Stuka entwickelt, sondern auch die „Tante Ju“ | |
produziert, die meist als Militärmaschine eingesetzt wurde. | |
## „Erhöhung“ zur Gauhauptstadt und Rüstungsmetropole | |
Dessaus Boom, seine „Erhöhung“ zur Gauhauptstadt und Rüstungsmetropole, | |
hatte seinen Preis. Der von hier munitionierte Luftkrieg der Nazis kehrte | |
in den letzten Kriegsjahren nach Dessau zurück. 80 Prozent der Stadt waren | |
bei Kriegsende zerstört. Zufällig hatte eine Bombe auch das Meisterhaus von | |
Gropius getroffen. | |
Die Geschichte des Gropius-Hauses ist also auch eine der Verwicklung der | |
Stadt Dessau in den Nationalsozialismus und in die Rüstungsindustrie. In | |
Dessau wurde auch das Zyklon B für die Vernichtungslager hergestellt. | |
Solche fatalen Zusammenhänge zeigt die Ausstellung von Oswalt und liefert | |
damit erstmals eine größere Aufarbeitung der nationalsozialistischen | |
Vergangenheit jener Stadt, die sich einst mehrheitlich für die Nazis | |
entschied und damit gegen das Fortbestehen des Bauhauses am Ort. Ob man es | |
Oswalt danken wird? | |
18 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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