# taz.de -- Der sonntaz-Streit: „Es braucht die Piraten“ | |
> Hier finden Sie weitere Antworten auf die sonntaz-Frage „Brauchen wir die | |
> Piraten noch?“ – unter anderem von Anke Domscheit-Berg. | |
Bild: Anke Domscheit-Berg über die Notwendigkeit ihrer Partei. | |
Anke Domscheit-Berg, Vorsitzender der Brandenburger Piraten: | |
„Seit den letzten Wahlen sehen die Altparteien noch älter aus: Mehr | |
Überwachung durch Schwarz-Rot im Bund; Grün-Schwarz regiert in Hessen. Es | |
ist deprimierend. Es fehlt eine Partei mit Visionen für die Zukunft, in der | |
man sich Revolutionen nicht nur vorstellen, sondern sie auch mitgestalten | |
will. Die Piratenpartei ist dabei, die Partei des digitalen Zeitalters, so | |
wie die Grünen einst die hellseherische Partei der Energiewende waren und | |
Bedrohungen wie Chancen gleichermaßen erkannten. | |
Piraten sehen die Demokratisierung des Zugangs zu Wissen und Kultur durch | |
das Internet und die Potenziale einer 3-D-Drucker-Revolution. Piraten | |
entwerfen ein Demokratieupgrade durch mehr Transparenz und Partizipation. | |
Piraten sehen aber auch, wie wir stattdessen ein Demokratie-Downgrade | |
erleben, wie Geheimdienste außer Kontrolle gerieten, Industrievertreter zu | |
unser aller Nachteil Gesetze schreiben, wie das Internet der Überwachung | |
statt der Ermächtigung der Menschen dient. Es braucht die Piraten, um einen | |
digitalen Totalitarismus zu verhindern. Es braucht sie auch als Vordenker | |
einer sozialeren, digitalen Gesellschaft, die auf dem Gedanken des Teilens | |
und der Teilhabe beruht.“ | |
*** | |
Gerwald Claus-Brunner, Mitglied der Piratenfraktion im Berliner | |
Abgeordnetenhaus: | |
„Wer mit sehendem Auge und wachen Verstand die politischen Vorgänge in | |
Berlin, Deutschland und Europa begleitet, wird feststellen, dass vieles in | |
festen Ritualen und bürokratischen Vorgängen erstarrt ist. Der Mensch ist | |
in diesem komplexen Geflecht eher nur Hindernis und wird, wenn er/sie mehr | |
Einfluß einfordert, als Störfaktor behandelt und in der öffentlichen | |
Berichterstattung als sogenannter Wutbürger oder Krawallmacher diffamiert. | |
Die Piratenpartei hat sich aus dieser Kernforderung, dass Menschen an den | |
politischen Prozessen beteiligt werden wollen, mitbestimmen können, erst | |
überhaupt kristallisiert und gegründet. Wir sind auch die erste Partei, die | |
außerhalb der jeweiligen Landesgrenzen eine Verbindung auf europäischer und | |
planetarer Ebene aufgestellt hat, da unsere Kernforderung eben überall | |
universell erfüllt werden muss. | |
Die Piratenpartei in Deutschland ist derzeit gut sieben Jahre alt und hat | |
in diesem Zeitraum zwei große Eintrittswellen verarbeiten müssen, die in | |
der Parteienlandschaft ohne Vergleich dastehen. Wir haben reichlich Fehler | |
gemacht und wir werden weiterhin Fehler machen.Genauso wie es nötig ist, | |
durch Fehler zu lernen, muss auch eine Kultur herrschen, die es zulässt, | |
dass Menschen Fehler machen können. Die Erwartungen, die an uns 2011/2012 | |
gerichtet wurden, haben wir nicht einmal im Ansatz erfüllen können. | |
Was dazu führte, dass die Menschen auch schnell wieder enttäuscht waren. Zu | |
den Umfrageergebnissen möchte ich anmerken, dass die zweistelligen Werte | |
anfangs 2012 auch deutlich überhöht waren. Die zeitgleich stattfindenden | |
Wahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen belegten | |
einen eher realistischeren Wert um sieben bis acht Prozent. | |
Die Sinnhaftigkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel wird ja auch in Frage | |
gestellt werden müssen, wenn mehr als 16 Prozent der Wählerstimmen nicht im | |
Deutschen Bundestag vertreten sind. Es wird von uns zu Recht gefordert, | |
Basisdemokratie und -beteiligung mit Leben und Inhalt zu füllen und dass | |
wir das bisher unzureichend erfüllen, ist ein nicht tolerierbarer Fehler | |
der abgestellt gehört.“ | |
*** | |
Robert Stein-Holzheim, ehemaliger strategischer Berater des | |
Piraten-Vorstandes und Mitglied des Strategieteams für die Bundestagswahl | |
2013: | |
„Die Piratenpartei trat einst auch an, um dass klassische Machtspiel der | |
Politik in Richtung Kooperation zu transzendieren. Marina Weisband sagte | |
sinngemäß: „Wir wollen uns überflüssig machen.“ Wir waren und sind leid… | |
noch nicht jene, die als Vorbilder für einen dem Ganzen förderlichen Umgang | |
vorrausgehen. Im Gegenteil: Der irrwitzige Kampf, das eigene Weltbild | |
durchzusetzen, tobt ungebremst. | |
Diese Politik der Schmähungen, persönlicher Angriffe, perfide Machtspiele | |
usw. gehört ganz eigentlich in das Repertoire der ewig Gestrigen, die mit | |
absolutistischem Mindset und Dominanz um jeden Preis herrschen wollen – und | |
sei es nur über die Deutungshoheit einer kleinen Partei. Nur eine steigende | |
Bewusstheit und der ernst gemeinte Ansatz, Würdigung, Demokratie und | |
Kooperation als Basis des Handelns anzunehmen, kann die Piratenpartei vor | |
Selbstzerfleischung und Irrelevanz retten. Das würde eine wirklich | |
„moderne“, postmaterialistische Partei ermöglichen. Denn: das Systemupdate | |
brauchen wir und die Gesellschaft mit jedem Tag dringender ...“ | |
3 Jan 2014 | |
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Anke Domscheit-Berg | |
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