# taz.de -- Interview mit Technolegende Laarmann: „Der ganz große Kick fehlt… | |
> Unterwegs im Berliner Nachtleben: Ein Clubcheck mit Jürgen Laarmann, der | |
> vor 25 Jahren mit dem Magazin "Frontpage" half, Techno flottzumachen. | |
Bild: Wo wird heute noch geravt? | |
taz: Herr Laarmann, wie geht es Ihnen? | |
Jürgen Laarmann: Super. Im Vergleich zur wilden Zeit zu Frontpage-Tagen | |
führe ich jedoch ein vergleichsweise ruhiges Leben. | |
Dank all der Erinnerungsbücher über Techno in Berlin – müssen Sie da jetzt | |
ständig immer dieselben Geschichten von damals erzählen? | |
Ja, schon, aber das ist auch okay so. Die ganze Wahrheit wurde ja immer | |
noch nicht erzählt, da bleiben noch ein paar gute Geschichten, bis alles | |
auserzählt ist. | |
In dem 2012 herausgekommenen Zeitzeugenbuch „Der Klang der Familie“ von | |
Felix Denk und Sven von Thülen erscheinen Sie vor allem als leicht | |
größenwahnsinnige Koksnase. | |
Einen gewissen Unterhaltungswert hat das schon, auch wenn viele Storys aus | |
dem Buch nicht stimmen. Aber zugegeben: Wir bei Frontpage haben damals | |
schon viele Drogen konsumiert. | |
Und heute? | |
Drogen nimmt man halt eine Zeit lang. Hätte ich die weiter genommen, wäre | |
ich wahrscheinlich inzwischen tot. Mit den Drogen ist es wie mit dem | |
Ausgehen: Der normale Weg ist, dass die Leute irgendwann immer weniger | |
ausgehen, weil sie halt auch älter werden und andere Dinge im Vordergrund | |
stehen. Dann gibt es aber auch ein paar ganz übel Hängengebliebene, die | |
jetzt immer noch jedes Wochenende druff sind, das sind aber meist eher | |
verpfuschte Existenzen. | |
Sie gehen aber schon noch aus, oder? In Ihrer bis vor Kurzem im | |
Stadtmagazin 030 erschienenen Kolumne „Berlin Mitte Boy“ ging es immerhin | |
viel übers Berliner Nachtleben. | |
Als Mittvierziger geht man aber anders aus als Zwanzigjähriger. Ich würde | |
das, was ich heute betreibe, eher Info-Raven nennen: Man geht nur noch ganz | |
selektiert aus, zu Events, wo man denkt, da muss man jetzt unbedingt | |
hingehen. Den Anspruch, einen Überblick über das Treiben in der Stadt zu | |
behalten, den gibt es immer noch. | |
Sagen Sie mal etwas zu ein paar Clubs in Berlin. Das Berghain? | |
Das Berghain fand ich eigentlich nie so toll, war da aber auch nur ein-, | |
zweimal. Das Berghain ist ja eigentlich der Nullerjahre-Nachfolger vom | |
E-Werk, aber in unsympathisch. | |
Watergate? | |
Repräsentiert wie das Berghain einen dieser Berliner Clubs ohne Berliner. | |
So wie auch das Weekend. Eine Berliner Szene geht da sowieso nicht mehr | |
hin, höchstens ein paar Freunde der DJs, die dort auflegen, landen dort mal | |
zufällig. Da besteht das Publikum zu 90 Prozent aus Israelis, Spaniern und | |
Franzosen. | |
Und wo geht man als Berliner zum Info-Raven hin? | |
Man schaut mal vorbei bei den Orten, die gerade als „Stand der Dinge“ | |
gelten. Zum Beispiel vergangenen Sommer im Klunkerkranich – einem | |
Sommergarten auf einem Parkdeck in Neukölln. Ist ein wenig ein | |
KaterHolzig-Abklatsch, nur ohne Afterhour. Ist aber schon der Laden, der | |
anzeigt, was in Berlin im Moment passiert. Das Schöne ist ja auch, dass in | |
Berlin die Clubs immer lustige Namen haben: Klunkerkranich. Hauptsache, | |
Engländer können es nur schwer aussprechen. Gut fand ich es auch im | |
Sameheads in Neukölln, bei einem Event, das „Hut auf“-Party hieß. Da waren | |
lauter Leute, die lustige Hüte aufhatten, und die Stimmung war ziemlich | |
relaxed. Der ganz große Kick fehlt aber gerade in Berlin. Das mit den | |
ganzen Open-Air-Locations ist explodiert, es wäre aber schon gut, wenn mal | |
wieder was richtig Neues käme, fernab von dem ganzen | |
Bar-25-KaterHolzig-Wir-basteln-alles-selbst-Quatsch. Wer das hinbekäme, | |
könnte schnell König sein in Berlin. | |
Treffen Sie beim Ausgehen noch manchmal auf gute Bekannte von damals oder | |
sind da einfach nur noch die Jungen? | |
Ich habe als Mittvierziger ja keine eigene Szene mehr. Für die Menschen | |
meiner Generation gibt es dafür ein paar Mal im Jahr einige | |
Wiedersehens-Events, wie den Café-Schönbrunn-Geburtstag, in dem ja die | |
ehemalige E-Werk-Chefin Hilke Saul Regie führt. Da sind sie dann alle „von | |
früher“, das ist wie ein Vietnamveteranenrave, wo die alten Geschichten | |
ausgepackt werden. Ich vermeide diese Partys nach Möglichkeit, aber | |
manchmal landet man dann doch dort und ist dann schnell froh, dass so etwas | |
nur relativ selten stattfindet. | |
Tanzen Sie da auch? | |
Bei diesen Partys tanzt keiner mehr. Da glotzt man den Martini-Brös zu. | |
Die sind immer noch gefeierte DJs, genauso wie Ihr alter Kumpel WestBam. | |
Ist das nicht verrückt, dass die Alten immer noch so gefragt sind? | |
Ich finde das, ehrlich gesagt, nicht so erstaunlich. Als DJ hat man ja die | |
Möglichkeit – anders als Sportler –, immer besser zu werden. Und so gesehen | |
ist es okay, dass die Alten heute noch immer Respekt bekommen, gerade wenn | |
sie dann auch noch mal was Neues machen wie jüngst wieder WestBam. | |
Interessant wird es, wenn noch mal zehn Jahre ins Land ziehen und | |
körperliche Gebrechen hinzukommen. Viele legen auch fast nur noch auf | |
diesen „Classics“-Partys auf, aber es ist meist besser, dies nicht zu tun, | |
wenn man nicht für immer passé sein will. | |
Verfolgen Sie denn noch neue Dance-Trends? | |
Auf jeden Fall. Minimal war total uninteressant, genau das Gegenteil des | |
Sounds, den wir damals in der Frontpage gepusht haben, nämlich ravigen | |
Sound, der nach vorn geht. Moombathon und Trap, eher maximaler Techno, | |
kommen jetzt durch den aktuellen Electronic-Dance-Hype in den USA aber | |
glücklicherweise auch langsam in Berlin an, das führt zu Partys, wo einfach | |
wieder mehr abgeht. Minimal war meiner Ansicht sowieso nur ein | |
Gastronomiekonzept zur Steigerung des Getränkeumsatzes. Die Musik ist | |
langweilig, es passiert nichts, deswegen nehmen alle Ketamin, was durstig | |
macht und wach hält. Man hat also lauter verpeilte Leute im Laden, die | |
saufen, weil ja sonst nichts abgeht, und das stundenlang. | |
Moombathon, Trap: Kann Techno nach all den Jahren also immer noch mit neuen | |
Sounds überraschen? Kann da noch mal was wirklich Neues kommen? | |
Na ja, 1991 und 92 werden für mich wahrscheinlich immer die besten Jahre | |
dieser Musik bleiben. Mag sein, dass das auch daran liegt, dass ich zu der | |
Zeit jung war. Techno brachte damals aber das Versprechen mit sich, dass es | |
in diesem rasanten Tempo immer weitergehen würde. Was dann natürlich nicht | |
passiert ist. Gut, es gab Drum&Bass und andere Abarten von Techno, aber | |
irgendwann eben vor allem nur noch Minimal. Die Wahrheit ist: Es ist | |
einfach nichts nachgekommen. Dabei wünsche ich mir immer noch, dass es | |
endlich eine völlig neue Jugendmusik gibt – Zingi-Zongi oder so – die | |
alles, was vorher war, verdammt alt und langweilig aussehen lässt. Aber von | |
wem soll die kommen? Man dachte ja immer, dass die ganzen Kinder der Raver | |
– die erste Generation davon wird gerade erwachsen –, dass die alle so | |
werden würden wie Sigue Sigue Sputnik in durchgeknallt. Aber das Gegenteil | |
ist passiert. Sehr viele Raverkinder sind extrem konservativ und hören | |
lieber Deutschland-sucht-den-Superstar-Musik. Die Kinder verblüffen uns | |
nicht mit komischen neuen Geräuschen, sondern mit ihrer Spießigkeit. | |
Party bis zum Abwinken kann die Jugend aber immer noch machen, oder? | |
Na ja, auch da muss man sagen: Da haben wir die Standards gesetzt. | |
Vielleicht nehmen die Jungraver wegen dem Gastrokonzept Minimal mehr Drogen | |
als wir und bleiben etwas länger auf, aber beides halte ich für keine | |
herausragende kulturelle Leistung. | |
8 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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Verdrängung | |
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