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# taz.de -- Kolumne Vollbart: So ironisch, so cool
> Die Menschen auf der Straße kommen nicht auf Glitzerpullover klar und die
> Heterosexuellen im Kino nicht auf lesbische Sexszenen.
Bild: Ironische Symbolbild.
„Lord Voldemort“ steht auf ihrer Tasche – darüber dann das berühmte Zei…
„LV“ in der klassischen Schrift des französischen Modehauses Louis Vuitton.
Ich verdreh die Augen. Es muss wohl bald Fashion Week in Berlin sein, denke
ich. Und diese junge Frau in der Bahn bereitet sich offensichtlich sehr
bemüht schon mal darauf vor – ganz klar ironisch.
Das ist doch _das_ Markenzeichen der Hauptstadt – immer alles ironisch und
cool zugleich. Zu Britney Spears wird getanzt – aber nur so als ironische
Reminiszenz. T-Shirts mit Sprüchen werden getragen – aber nur so als
Gesellschaftskritik. Und die Frisur sieht aus, als ob Stauffenberg sich
einen Topf auf den Kopf gesetzt und drumherum sich die Haare geschnitten
hätte – natürlich ein Haarschnitt gegen das Vergessen.
Wenn L. und ich durch Neukölln laufen, verdrehen die Menschen auf den
Straßen auch ihre Augen. Beide Vollbärte, er Glitzerpullover, ich schwarzer
Walle-Walle-Zwiebellook. Und oft kommen dann die Fragen von Fremden oder
aus dem Bekanntenkreis, die ich nicht mehr hören kann: „Du meinst deinen
Look ironisch, oder?“ – „Ehm, nein.“ – „Wenigstens den Bart?“ –…
nicht.“ – „Echt nicht?“ – „Halt’s Maul!“
Wobei der Bart das eigentliche Problem ist. Ganz deutlich wurde das im
Kinosaal spürbar. L. und ich haben „Blau ist eine warme Farbe“ gesehen.
Genervt bin ich schon vor Filmbeginn, als ich die Schlange vor dem Off in
der Hermannstraße sehe – heterosexuelle Menschen, die mal so einen
„Lesbenfilm“ mit Anspruch sehen wollen. Schließlich gibt es dort auch eine
siebenminütige Sexszene. Welch Überraschung – Heterosexuelle sind doch
nicht so aufgeschlossen.
Nach zwei Minuten (ich weiß es so genau, weil ich auf die Uhr schaute)
fingen die ersten an zu kichern. Und das im so offenen Berlin. Für viele
Heterosexuelle wahrscheinlich unvorstellbar, wie so Frauen ficken oder dass
sie überhaupt ficken. Schließlich fehlt beim Sex zwischen Frauen doch
etwas.
Der Schwanz fehlt dabei aber vor allem diesen idiotischen Heterosexuellen,
die in solche Filme gehen, um sich selbst zu beweisen, wie modern und
aufgeschlossen sie doch seien. Sie holen sich selbst auf ihre Offenheit
einen runter. Sie fühlen sich progressiv. Diese Heuchelei kotzt mich
allerdings an.
Nach dem Film in dieser so wahnsinnig verrückt-offenen Runde nahm L. seine
Sachen vom Sessel neben ihm. Ein Typ, der seinen Mantel auf dem selben
Sessel hatte, schaute uns komisch hinterher. Dann fragte er empört seine
Freundin: „Hat der da meinen Schal mitgenommen?“ Ich drehte mich noch mal
zu ihm um und antwortete: „Was bist du denn für ein Arsch? Frag ihn doch
einfach.“
Von der anderen Seite – Schweigen. Der blonde Jüngling, Modell Student der
Geisteswissenschaft mit Weltverbesserungsdrang, hat sich ertappt gefühlt –
und hielt den Mund. Zwei bärtige Männer? Das muss doch Gefahr bedeuten. Man
weiß ja nie. Ich meine, wir trugen beide doch total coole und witzige
Pullover.
10 Jan 2014
## AUTOREN
Enrico Ippolito
## TAGS
Fashion Week
Lesben
Sex
Hetero
Hass
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