# taz.de -- Kolumne Vollbart: Aggression ist durchaus angebracht | |
> Die Kampfszenen im Möbel Olfe sind unerbittlich. Es geht zu wie bei der | |
> Reise nach Jerusalem. Dann vielleicht doch lieber auf den | |
> Weihnachtsmarkt? | |
Bild: Heute kein Gedrängel: Wegen des Sturms Xaver hat der Weihnachtsmarkt am … | |
„Gehen wir auf den Weihnachtsmarkt?“, fragt B. mich. F. schaut sie seltsam | |
an, ich entsetzt. Weihnachtsmarkt? „Auf gar keinen Fall“, antworte ich. Für | |
mich gehen nur Menschen auf den Weihnachtsmarkt, die zu viel Langeweile | |
haben. Allein der Gedanke, auf dem Alexanderplatz Glühwein zu trinken, ruft | |
bei mir Ekel hervor. Außerdem ist es ein Zeichen der vollständigen | |
Integration, und da hört es auf. Stattdessen hänge ich immer an den | |
gleichen Orten rum. | |
Auf dem Weg zu Möbel Olfe. L. und ich sitzen in der U-Bahn einer Frau | |
gegenüber. Sie spricht uns an. Wir kommen ins Gespräch. Sie fragt: „Wo | |
kommt ihr her?“ L. sagt: „Aus Italien.“ Sie: „Ich liebe Italien. So sch… | |
dort. Meine Freundin lebt in Madrid.“ Ich verdrehe die Augen. | |
Endlich im Möbel Olfe. Am Dienstag ist es entspannter als sonst. Die | |
Bartdichte ist trotzdem relativ hoch. Und Flanellhemd ist auch noch en | |
vogue –fehlt nur noch die Axt in der Hand. Beim zweiten Bier dann die | |
Überraschung: Hinten in der Ecke steht ein Mann und trägt seine Cappy | |
schräg auf dem Kopf – nicht verkehrt herum, sondern so lose im | |
45-Grad-Winkel. Dass er albern damit aussieht, ist stark untertrieben. Ich | |
sollte aber nicht werten, mit meinem Taliban-Penner-Chic. Schließlich | |
bekomme ich es selbst von allen Seiten ab. Also applaudiere ich ihm | |
innerlich. | |
Das eigentliche Problem im Möbel Olfe sind auch nicht die modischen Codes, | |
sondern das Spiel „Die Reise nach Jerusalem“. Der Kampf um die wenigen | |
Plätze ist unerbittlich. Ich sitze an der Ecke. Ein Platz neben mir wird | |
frei und sofort gibt eine Frau einen seltsamen Ur-Laut von sich, um dann zu | |
sagen: „Wir haben schon sehr lange auf diesen Platz geschaut.“ Antwort: | |
„Ehm, ja, aber ich saß doch schon auf der Ecke, und wir sind vier Leute. | |
Entschuldige.“ Sie: „Musst ja nicht gleich ausrasten.“ Ich: „Du hast mi… | |
noch nicht ausrasten sehen.“ | |
Das Gerangel um Sitzplätze ist hier ein universales Problem. Immer Erster | |
sein wollen – überall. Letztens stand ein älterer Herr vor mir an einer | |
Ampel. Ich wollte über Rot gehen und versuchte, mich an ihm vorbeizumogeln. | |
Er veränderte seine Position jedes Mal so, dass ich nicht vorbeikonnte. | |
„Vielleicht macht man das in deinem Land, aber hier gelten noch Regeln“, | |
sagte er schließlich. Ich antwortete: „Jetzt ist es besser, du würdest die | |
Fresse halten.“ Das entsetzte ihn. | |
Schließlich hat er ja von diesen bösen Ausländern gelesen, die Menschen | |
einfach so verprügeln. Mit meinem Look könnte ich in seiner Wahrnehmung | |
auch zu so was fähig sein. Vielleicht trage ich ja eine Bombe unter meiner | |
Bomberjacke? | |
Das Täter-Opfer-Profil ist immer gleich. Es tauscht sich nur aus, wenn die | |
marginalisierte Gruppe jammert. Damit kann der gemeine Deutsche nicht mehr | |
so gut. Das setzt ihn unter Druck. Immer sagen: Das verletzt mich, das tut | |
mir weh, immer Opfer sein, das hilft dem Deutschen. Mir hilft das aber | |
nicht. Und deswegen halte ich Aggression durchaus für angebracht. Wenn du | |
dich wie ein Arschloch verhältst, sag ich es dir. Wirkungsvoll. Für mich. | |
(Vielleicht gehe ich doch mit auf den Weihnachtsmarkt. Leute anrempeln oder | |
so. Viel lieber würde ich allerdings Schlittschuhlaufen.) | |
8 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Enrico Ippolito | |
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