# taz.de -- Regisseur Steve McQueen über Sklaverei: „Es gibt wenig Selbstref… | |
> Der „12-Years-a-Slave“-Regisseur Steve McQueen darüber, warum die | |
> Geschichte der Sklaverei in den USA kein Thema des amerikanischen Kinos | |
> ist. | |
Bild: „Menschen werden als Andere erachtet und in der Folge unmenschlich beha… | |
taz: Herr McQueen, will das US-amerikanische Kino vom Thema Sklaverei | |
nichts wissen? Es gibt darüber kaum Filme. | |
Steve McQueen: Wenn es um historische Dramen geht, dann gibt es in den USA | |
weit mehr Filme über den Zweiten Weltkrieg als über irgendein anderes | |
Sujet. Und Western, natürlich. Aber die Sklaverei wird übergangen. Weniger | |
als 20 Filme zum Thema wurden in den USA gedreht. Ich denke, die Menschen | |
verspüren tiefe Scham. Es ist ihnen unangenehm. Ich kann das sogar | |
nachvollziehen | |
Dabei ließe sich so vieles erzählen – etwa die Geschichte der Underground | |
Railroad, eines klandestinen Netzes von Unterstützern, die entflohenen | |
Sklaven halfen, in die Nordstaaten zu flüchten … | |
Großartige Geschichten! Heute kann man sich diese Narrationen eher im Kino | |
vorstellen. Aber bisher war es für die Leute leichter, den Bösewicht im | |
deutschen Nazi zu sehen statt in sich selber. Deshalb gibt es so viele | |
Holocaust- und Weltkriegsfilme. Sogar im Western ist der Gute meistens der | |
Cowboy. Es gibt wenig Selbstreflexion, bis heute. Dass es einen schwarzen | |
Präsidenten gibt, hilft den Filmemachern, die sich mit der Idee tragen, | |
etwas zum Thema zu drehen. Denn es mangelt nicht an interessierten | |
Regisseuren – eher an interessierten Studios und Geldgebern. | |
Das Thema berührt etwas, was zu den Grundfesten der USA gehört, die Idee | |
der Freiheit: dass jeder Mensch frei und seines Glückes Schmied sei. | |
Sicher. Es ist seltsam, ich glaube, die Sklaverei ist der Teil der | |
Geschichte, den jeder gerne aus der Geschichte herausschneiden würde. Aber | |
man kann Amerika nicht verstehen, ohne die Sklaverei zu verstehen. | |
Plantagenbesitzer nahmen Sklaven eher als Teil ihres Viehbestands denn als | |
Menschen wahr. Ist das nicht eine merkwürdige, anstößige Perspektive? | |
Diese Perspektive ist doch gar nicht so merkwürdig. In keiner Kultur. | |
Gerade hier in Deutschland, aus naheliegenden Gründen, aber auch sonst: | |
Menschen werden als Andere erachtet und in der Folge unmenschlich | |
behandelt. Das gibt es überall. | |
Und wie machen Sie das im Film anschaulich? | |
Indem ich es abbilde, ganz einfach. Meine Frau hat mir das Buch [von | |
Solomon Northup] empfohlen, und als ich es las, hatte ich den Eindruck, | |
dass darin die Details makellos wiedergegeben werden. Man sieht förmlich | |
vor sich, wie die Menschen behandelt wurden. Menschen werden auch heute so | |
behandelt, genau in diesem Augenblick, während wir uns unterhalten. Deshalb | |
war es für mich gar nicht schwierig, es für das Kino zu übersetzen. | |
Interessant ist Ihre Darstellung von Grausamkeit. Etwa in der Szene, in der | |
Solomon Northup zum ersten Mal geschlagen wird. Warum schaut die Kamera vom | |
Boden aus nach oben? | |
Der Raum war sehr eng, es war ja eine Zelle, und es ging mir darum, eine | |
Perspektive zu finden, aus der heraus alles zu sehen war: Solomon Northup, | |
sein Gesicht, seine Reaktion auf die Schläge, aber auch der Mann mit der | |
Peitsche. Und das ging in diesem engen Raum nur, indem die Kamera auf dem | |
Boden postiert war und von dort schräg nach oben filmte. | |
Die Kamera hätte auch von oben auf den Rücken Solomons blicken können. | |
Ja, aber das wollte ich für später aufbewahren, wenn Patsey ausgepeitscht | |
wird. Ich wollte etwas zurückhalten. | |
Warum nimmt Patseys Figur so großen Raum ein? | |
Weil ihre Geschichte auch im Buch eine wichtige Rolle spielt. Sie ist das | |
Licht. Sie müssen dieses wunderschöne Stelle nachschlagen: „Neither lash | |
nor scolding … can wither her …“ | |
„In ihren Bewegungen war eine Erhabenheit, die weder Arbeit noch | |
Erschöpfung noch Bestrafung zerstören konnten.“ | |
Ich sehe meinen Film auch als feministischen Film, auch wenn man an Eliza | |
oder selbst an Mistress Epps denkt: Das sind alles besondere Frauenfiguren. | |
Die Zeitstruktur Ihres Filmes ist nichtlinear, Sie arbeiten stark mit | |
Kontrasten von Ruhe und Beschleunigung? | |
Ruhe und Beschleunigung – das gefällt mir! Ja, auf dem Dampfer geht alles | |
sehr rasch, hopphopp, aber sobald sie in New Orleans ankommen, wird es | |
ruhiger. Die Landschaft ist sehr schön. | |
Besonders deutlich ist der Kontrast in der Sequenz, in der Solomon Northup | |
fast erhängt wird. Es gibt eine Schlägerei zwischen ihm und dem Vorarbeiter | |
Tibeats, er wird schließlich überwältigt, ihm wird die Schlinge um den Hals | |
gelegt, und dann hängt er einen ganzen Tag zwischen Baum und Boden. Sie | |
filmen es so, dass man merkt, wie die Zeit vergeht. | |
Das hat etwas Perverses: Die Grillen zirpen, die Vögel singen, Kinder | |
spielen, und zugleich geschieht etwas Schreckliches. Gestern etwa – ich | |
brachte meinen Sohn zur Schule, ich hörte Sirenen und Polizeiautos, und | |
später, als ich in meinem Lieblingscafé saß, erfuhr ich, dass ein Mädchen | |
von einem Wagen der Müllabfuhr überfahren worden war. Es war ein schöner | |
Wintertag! | |
Zu den kontrastierenden Rhythmen passt, dass Sie in den ersten 30 Minuten | |
sehr viel Musik von Hans Zimmer einsetzen, danach kaum noch, oder täusche | |
ich mich? | |
Nein, Sie liegen richtig. Aber was es gibt, sind die Lieder, die die | |
Sklaven singen. Nach denen haben wir lange recherchiert und sie dann im | |
Schlafzimmer von diesem Typ aufgenommen, dessen Name mir jetzt nicht | |
einfällt. Sie sind sehr schön, vor allem, wenn Solomon „Roll, Jordan, Roll�… | |
singt. | |
16 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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