# taz.de -- Sondertribunal zu Mord an Hariri: Anklage ohne Täter | |
> Eine Autobombe riss Libanons Ex-Premier Rafik Hariri 2005 in den Tod. In | |
> Den Haag beginnt nun der Prozess – mit einer leeren Anklagebank. | |
Bild: Es sei „Zeit für Gerechtigkeit“, meinen Anhänger des ermordeten Raf… | |
BEIRUT taz | Langsam rollte die Wagenkolonne des ehemaligen | |
Premierministers Rafik Hariri am 14. Februar 2005 vom Place dÉtoile in | |
Libanons Hauptstadt Beirut. Rundum ragten die Gebäude auf, die Hariri | |
seinen Spitznamen einbrachten: Mister Lebanon. Der Politiker und | |
Geschäftsmann hatte dem Land sein Selbstbewusstsein zurückgegeben, als er | |
den Wiederaufbau organisierte, nachdem das Stadtzentrum im libanesischen | |
Bürgerkrieg (1975-1990) zerstört worden war. | |
Um kurz vor ein Uhr nahm seine Wagenkolonne die Straße Richtung Jachthafen, | |
bog links ein zum kürzlich wieder aufgebauten St.-George-Hotel. Nur Minuten | |
vorher hatte dort ein Mitsubishi Van gestoppt. Als Hariris Wagen | |
vorbeifuhr, zündete ein Selbstmordattentäter die Bombe. Mit der Sprengkraft | |
von schätzungsweise 1.400 Kilogramm riss die Bombe Hariris gepanzerten | |
Wagen auseinander. Das St.-George-Hotel wurde zerstört. Außer Hariri | |
starben noch 22 Menschen, 231 weitere wurden verletzt. | |
## Neun Jahre bis zum Prozess | |
Neun Jahre später hat jetzt am 16. Januar der Prozess gegen vier | |
Verdächtige vor dem Sondertribunal für den Libanon (STL) im | |
niederländischen Leidschendam bei Den Haag begonnen. Angeklagt sind Mustafa | |
Badreddine, Salim Ayyash, Assad Sabra und Hussein Oneissi. Alle vier gelten | |
als Mitglieder der schiitischen, prosyrischen Hisbollah. Badreddine wird | |
vorgeworfen, die gesamte Aktion koordiniert zu haben; er soll ein | |
Militärkommandant der Hisbollah sein. Ayyash soll das Mordkommando geleitet | |
haben, während es die Aufgabe von Sabra und Oneissi gewesen sei, ein | |
falsches Bekennerschreiben herauszugeben. | |
Die Hisbollah hat jede Beteiligung abgestritten und wirft Israel vor, für | |
die Tat verantwortlich zu sein. | |
## Großer Bruder Syrien | |
Syrien spielte zur Zeit des Attentats noch immer eine beherrschende Rolle | |
in dem Nachbarland: Es kontrollierte seit dem Ende des Bürgerkriegs weite | |
Teile des libanesischen Sicherheitsapparats. Libanesische Politiker | |
agierten nur unter Gnaden des Assad-Regimes. | |
1976 war die syrische Armee in den Libanon einmarschiert - offiziell, um | |
die Kämpfe zu beenden. Doch dann übernahmen Syriens Militärs die Kontrolle | |
über das Land, das in der syrischen Führung bis heute als verlorene Provinz | |
gilt. Rafik Hariri gehörte zu jenen Libanesen, die der Heimat die | |
Unabhängigkeit zurückgeben wollten. Seine Anhänger glauben, dass er deshalb | |
umgebracht wurde. | |
Nach dem Attentat auf Hariri beschloss der UN-Sicherheitsrat in Rekordzeit | |
am 7. April 2005, eine internationale Untersuchungskommission einzusetzen. | |
Daraus ging der Sondergerichtshof hervor. Erstmals in der Geschichte der | |
internationalen Justiz verhandelt dieses Tribunal über einen politischen | |
Mord. | |
Allerdings: Die Anklagebank bleibt leer. Erstmals seit den Nürnberger | |
Prozessen wird ein internationaler Strafgerichtshof in Abwesenheit der | |
Beschuldigten verhandeln. Chefankläger Norman Farell ist zuversichtlich, | |
dass er die Schuld der vier Männer beweisen kann, die von Interpol und der | |
libanesischen Regierung - bislang erfolglos - zur Fahndung ausgeschrieben | |
sind. | |
Das libanesische Volk habe „ein Recht auf diesen Prozess, die Beweise zu | |
hören und die Wahrheit zu finden“, sagte Farell. Die Anklage stützt sich | |
vor allem auf die Auswertung von Handyverbindungen. Die Verdächtigen sind | |
als Individuen und nicht als Mitglieder einer Organisation angeklagt. Eine | |
Mitgliedschaft bei Hisbollah konnte nicht nachgewiesen werden, weswegen die | |
vier Männer vom Gericht als "Unterstützer" der Organisation bezeichnet | |
werden. Sie haben Verteidiger, die nicht mit ihnen in Kontakt stehen. | |
## Zedernrevolution | |
In Beirut führte die Ermordung Hariris zu Massendemonstrationen, die unter | |
dem Namen „Zedernrevolution“ bekannt wurden. „Freiheit, Souveränität, | |
Unabhängigkeit“, unter diesem Slogan gingen in den Wochen nach dem Attentat | |
Zehntausende auf die Straße. Viele machten Syrien für die Tat | |
verantwortlich. Sie forderten den Rückzug der syrischen Armee und eine | |
neue, unabhängigere Führung. Die prosyrische Regierung trat zurück. | |
Die Reaktion der prosyrischen Hisbollah und ihrer Verbündeten ließ jedoch | |
nicht lange auf sich warten: Drei Wochen nach dem Attentat, am 8. März, | |
versammelten sich mehrere Hunderttausend Anhänger im Stadtzentrum. Die | |
Proteste führten dazu, dass die Regierung wieder eingesetzt wurde. Am 14. | |
März kam es zu einer gewaltigen Gegendemonstration. Der internationale | |
Druck auf die syrische Regierung wuchs. Nach knapp 30 Jahren verließen am | |
26. April 2005 schließlich die letzten syrischen Truppen das Land. | |
## Hoffnung auf eine neue Ära | |
Die Tatsache, dass die internationalen Ermittlungen so schnell aufgenommen | |
wurden, löste hohe Erwartungen aus: Viele Libanesen hofften, dass die Ära | |
der Einschüchterung und politischen Morde zu Ende sei. Das Tribunal würde | |
zu anhaltender Gerechtigkeit führen, zumal nach dem Bürgerkrieg eine | |
allgemeine Amnestie ausgesprochen wurde. Eine öffentliche Debatte über | |
Auslöser, Schuldige und Opfer des Konflikts gab es bis zum Beginn des | |
Prozesses nicht. Doch das Land blieb gespalten. Bis heute dominieren zwei | |
feindliche Parteienbündnisse, der prosyrische „8. März“ und der | |
antisyrische „14. März“ - benannt nach den Großdemonstration jenes Monats | |
-, die politische Landschaft. | |
Auch das Sondertribunal war von Anfang an ein Politikum. Die Hisbollah und | |
ihre Verbündeten werfen ihm vor, ein verlängerter Arm des Westens und | |
Israels zu sein. Diese Haltung erhielt neue Nahrung, als der damalige | |
deutsche UN-Sonderermittler Detlev Mehlis vier prosyrische | |
Geheimdienstchefs verhaftet ließ. Später mussten sie aus Mangel an Beweisen | |
wieder freigelassen werden. 2010 rief Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah die | |
Libanesen zum Boykott des Prozesses auf. | |
Das Tribunal wird zur Hälfte vom libanesischen Staat, zur Hälfte aus | |
internationalen Mitteln finanziert. Doch die Auszahlung des libanesischen | |
Anteils wird immer wieder verschleppt. Auch juristisch ist das SLT ein | |
Hybrid aus internationalem und libanesischem Recht, wobei die Todesstrafe | |
von Letzterem ausgenommen ist. | |
Die Hoffnungen, dass die Zeit der politischen Morde und des syrischen | |
Einflusses vorbei seien, waren verfrüht. In den Monaten nach Hariris Tod | |
fielen zahlreiche bekannte antisyrische Persönlichkeiten Autobomben zum | |
Opfer. Der UN-Sicherheitsrat beschloss, dass 14 dieser Fälle ebenfalls | |
international verhandelt werden sollen, da sie mit dem Hariri-Fall | |
"zusammenhingen". Ende 2010 rief Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah alle | |
Libanesen dazu auf, die Verhandlungen zu boykottieren. | |
## Neue Sorgen | |
Heute fürchten viele angesichts des Bürgerkriegs in Syrien, der immer | |
stärker auf den Libanon übergreift, dass der Beginn des Sondertribunals die | |
inneren Spannungen noch verschärfen wird. Eine Reihe von Bombenattentaten | |
in Beirut sowie Raketenangriffe und Schießereien in anderen Landesteilen | |
haben bestehende Gräben vertieft. Erneut verlaufen sie entlang der Linie | |
des Verhältnisses zur Regierung in Damaskus. | |
Die Hisbollah hat Tausende Kämpfer nach Syrien geschickt, die auf der Seite | |
der Regierung stehen. Die Anhänger des „14. März“ wiederum unterstützen … | |
syrische Opposition. Schon jetzt bekämpfen sich die beiden Gruppen immer | |
öfter auf libanesischem Boden. | |
Kritiker werfen der Hisbollah vor, jedes Mal die Gewalt eskalieren zu | |
lassen, wenn das Sondertribunal wichtige Schritte unternimmt. Auch die | |
Ermordung des wichtigen syrienkritischen Politikers Mohammed Chatah Ende | |
Dezember wird von vielen in diesem Zusammenhang gesehen. | |
Auch wenn die Angehörigen des Tribunals unentwegt betonen, dass es ihnen | |
nur um die Schuldfrage von Individuen - und nicht von Regierungen, Staaten | |
oder Gruppierungen - geht, erschwert das politische Klima im Libanon die | |
Arbeit des Tribunals zusätzlich. | |
16 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Raphael Thelen | |
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