# taz.de -- Festival Club Transmediale Berlin: Freiwillige Selbstbeschränkung | |
> Ein Kind von Techno und Hamburger Schule: Die Produzentin und DJ Helena | |
> Hauff hat sich mit Mitte zwanzig europaweit in der Technoszene etabliert. | |
Bild: Helena Hauff: Resident-DJ im legendären Hamburger Pudelclub | |
Für die Generation MacBook ist es nur zu einfach, im Café um die Ecke Latte | |
macchiato schlürfend einen Technotrack zu bauen. Ob der gut wird oder | |
nicht, steht auf einem anderen Blatt, aber richtiges technisches Handwerk | |
erfordern das Produzieren von Technomusik und DJing schon lange nicht mehr. | |
Helena Hauff hätte es sich als Digital Native also einfach machen können, | |
als sie mit 18 plötzlich wusste: „Ich will unbedingt Techno-DJ werden.“ | |
Doch sie wählte lieber den Oldschool-Weg: eine Plattensammlung | |
zusammenstellen, Synthesizer kaufen, zu Hause herumexperimentieren und Jams | |
aufnehmen – auf Kassette! An ihre erste Platte erinnert sich Hauff noch | |
genau: „Das war Talk Talk ’Spirit of Eden‘, und noch heute liebe ich dies… | |
Album.“ | |
Zu Hauffs regulärem Equipment gehören heute jede Menge Vinyl von Punk bis | |
Minimal Wave, ein MPC-Sampler und der Drumcomputer Roland TB 303, dessen | |
unverkennbarer und knarziger Bass ab Mitte der achtziger Jahre den | |
Grundstein für die ersten Acid-House-Tracks aus Chicago legte. | |
„Computer überfordern mich mit ihren tausendfachen Möglichkeiten der | |
Soundproduktion“, sagt Hauff. „Ich muss ein Gerät richtig kennenlernen und | |
schauen, wie sich das anhört, wenn ich diesen oder jenen Regler betätige.“ | |
Ihre erste Veröffentlichung war dann auch konsequenterweise eine Kassette | |
mit Aufnahmen ihrer experimentierfreudigen Single-Take „Jams“. „Wenn mir | |
etwas gefällt und ich das Gefühl habe, das funktioniert, drücke ich einfach | |
den Aufnahmeknopf“, erklärt Hauff ihre Arbeitsweise. | |
## Bis zur Perfektion | |
Hauff hat ihre Instrumente und Geräte in den vergangenen Jahren nicht nur | |
bis zur Perfektion kennen- und lieben gelernt, sondern sie hat es | |
geschafft, sich mit ihnen durch die freiwillige Beschränkung eine überaus | |
charakteristische Sound-Handschrift anzueignen. Wenn man ganz genau | |
hinhört, könnte man denken, Hauff wäre Anfang der Neunziger durch die | |
Technoclubs gestreift und hätte dort ihre Liebe zu schroffer und nicht | |
unbedingt massenkompatibler elektronischer Popmusik, die ihre technische | |
Herkunft nicht verschleiert, entdeckt. Nur, dass sie damals noch ein | |
Kleinkind war. Erst mit 20 fing sie an, CDs und Platten zu kaufen. | |
„Als Jugendliche habe ich all meine Musik aus dem Radio auf Kassetten | |
aufgenommen oder aus der Bücherhalle ausgeliehen“, erzählt Hauff. | |
Bücherhalle heißen in Hamburg die öffentlichen Bibliotheken. „Meine Mutter | |
war der Meinung, es sei eine Geldverschwendung, sich CDs anzuschaffen.“ | |
Da verwundert es nicht, dass sie das erste Mal mit dem elektronischen | |
Clubsound in Kontakt kam, als sie als Kind im Wohnzimmer ihrer Großeltern | |
am Radio schraubte und einen Technosender auf der UKW-Frequenz fand. Die | |
Großeltern waren amüsiert, und Hauffs Faszination für das Genre war | |
entflammt. | |
## Vögel und andere Instrumente | |
Hauff hat ihr Herz schon früh an den Hamburger Pudel Club verloren. Seit | |
einigen Jahren betreibt sie, inzwischen Mitte zwanzig, dort die Partyreihe | |
„Birds and Other Instruments“, legt als Resident-DJ auf, ja gilt gar als | |
Grande Dame des Pudel. Und so scheinen ihrer Karriere momentan keine | |
Grenzen gesetzt. Europaweit ist sie fast jedes Wochenende als DJ im | |
Einsatz. | |
Zusammen mit dem Produzenten F#X, ebenfalls Resident im Pudel, ist sie das | |
Projekt Black Sites. Ihr 12-inch-Debüt, „Actio Reactio“, erschien im August | |
vergangenen Jahres beim Londoner Label Werkdiscs, nachdem sich der | |
britische Technoproduzent und Werkdiscs-Mitbegründer Darren Cunningham | |
alias Actress auf gemeinsamen Auftritten in Hamburg, London und Paris von | |
Hauffs Können überzeugt hatte. | |
„Actio Reactio“ beinhaltet drei Tracks, die sich weit von | |
Dancefloorkonventionen wegbewegen. Auf dem zehnminütigen titelgebenden und | |
äußerst unnachgiebigen Track „Actio Reactio“ liefern sich Drums, Claps und | |
der monotone, perkussive Sound einer Kuhglocke ein rhythmisches Gegen- und | |
Miteinander. Fast plastisch und dialogisch sind die Klänge umeinander | |
angeordnet. Irgendwann streut sich noch der metallene Sound eines Beckens | |
ein und immer mehr befreit sich der Track von Geradlinigkeit, bis er nur | |
noch ein Durcheinander zu sein scheint, das jedoch bis zur letzten Minute | |
höchst planvoll und arrangiert klingt. | |
## Im Kraftfeld der Soundelemente | |
Unverkennbar interessiert sich Hauff für energetische Rhythmen und | |
klangliches Zusammenspiel. Ihre Tracks involvieren und fordern die Zuhörer | |
mit ihren komplizierten Drumpattern und stehen damit im krassen Gegensatz | |
zu straightem Clubsound, der die Tanzenden mit kontinuierlichem | |
Vierviertelbass berieselt. Bei „Actio Reactio“ könnte man zwar anfangs ein | |
bisschen rhythmisch den Oberkörper bewegen, möchte mit fortschreitender | |
Verworrenheit aber lieber innehalten und dem Kraftfeld der Soundelemente | |
lauschen. Am Ende weiß man trotzdem nicht mehr so ganz, wo oben und wo | |
unten ist, und fühlt sich doch angenehm durchgerüttelt. | |
Hauff hat dem Mainstream und seinem seichten Feel-Good-Techno mit | |
Saxofongedudel und Heiterkeits-Klingkling entschieden etwas | |
entgegenzusetzen. „Fröhliche Musik macht mich richtig aggressiv“, sagt sie | |
und erzählt, wie sie letztens fast eine Stewardess angeschrien hätte, weil | |
sie und die übrigen wartenden Fluggäste mit besänftigender Popmusik | |
beschallt wurden. | |
## Dunkel und kraftvoll | |
Dabei ist ihr Gegenteil zu „seicht“ und „happy“ nicht etwa „traurig�… | |
„melancholisch“, sondern eher „dunkel“ und „kraftvoll“. Diese Attri… | |
erinnern an Beschreibungen von Gothic Rock, und tatsächlich gibt Hauff ohne | |
Umschweife zu: „Ich bin halt eine Romantikerin, und was gibt es bitte | |
Romantischeres als Gothic?“ | |
Kaum ein anderer Techno-DJ würde mit einer solchen Vorliebe wohl offen | |
umgehen, zu gegensätzlich werden Rock und Techno gemeinhin behandelt. Hauff | |
aber sind Genregrenzen und Szenegehabe erfrischenderweise ziemlich schnurz. | |
Und ihre Tracks hören sich auch keineswegs nach Gothic Rock an, schaffen es | |
aber dennoch, das mystisch-dunkle und alltagsentrückte Lebensgefühl in | |
elektronischen Sounds aufzugreifen und zu interpretieren. | |
In der Szene- und Männerwelt des Techno ist es trotz längst etablierter | |
Do-it-yourself-Manier nicht gerade einfach, als DJ und Produzentin die | |
Zugangsbarrieren zu überwinden. Sich dann noch einen unvergleichlichen | |
Sound anzueignen und das schnell gelangweilte Ravepublikum mit etwas | |
wirklich Einfallsreichem zu füttern, ist eine Herausforderung, die nur die | |
wenigsten jungen Menschen meistern, in deren Jobbeschreibung heute etwas | |
mit elektronischer Musik vorkommt. Hört man Helena Hauff reden, hat sie | |
sich über solche Dinge nie auch nur Gedanken gemacht. Sie hatte Bock, die | |
Leute fandens gut, und so kam eins zum anderen. | |
## Die Rolle des Pudel Clubs | |
Eine wichtige Rolle, vor allem in Hauffs Anfangszeit, hat aber der Pudel | |
Club gespielt, wo Hauff zum ersten Mal ihr DJ-Können im Clubkontext | |
beweisen konnte: „Mein Stil wäre ohne den Pudel definitiv ein anderer“, | |
sagt sie. Nur zu gut passt ihr experimenteller Sound zu dem kleinen, | |
stickigen, schäbigen Club am Hamburger Hafen, der sich wie eine Perle der | |
Subkultur in der immer mehr geglätteten Stadt hält. Einst Treffpunkt der | |
Hamburger Schule, wird er heute unter anderem von Schorsch Kamerun und | |
Rocko Schamoni liebevoll und mit einem guten Riecher für das richtige Maß | |
an Verschrobenheit geführt. | |
Den Pudel umweht eine Aura, die viele Besucher zu hingabevollen | |
Liebesbekundungen bewegt: so verranzt, aber doch schön, so international | |
und doch heimelig, so immer gleich und immer anders. Nicht wenige Hamburger | |
Künstler und Musiker nennen den Pudel als Grund dafür, warum sie es immer | |
noch in der spießigen Hansestadt aushalten, die gerade so emsig dabei ist, | |
ihr eigenes kulturelles Leben zu zerstören. | |
Auch Helena Hauff schwärmt gerne und ausgiebig. „Im Pudel bin ich nicht an | |
Konventionen oder Aufträge gebunden und kann alles ausprobieren“, erzählt | |
sie. „Wenn ich um sechs Uhr morgens plötzlich Lust auf eine Punk-Platte | |
habe, dann lege ich sie einfach auf.“ In der familiären Atmosphäre des | |
Clubs war es für Hauff, die ohnehin oft als Besucherin dort war, ein | |
Leichtes, ins DJing einzusteigen. | |
Und so weckt Hauffs Karriere und internationale Bekanntheit in ihr nicht | |
etwa den Wunsch, Hamburg den Rücken zu kehren: derzeit ist sie auf | |
Wohnungssuche auf St. Pauli. Ein Kriterium muss die neue Bleibe nämlich auf | |
jeden Fall erfüllen: sich in Laufnähe zum Pudel befinden. | |
26 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Carla Baum | |
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