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# taz.de -- Ticketloser Nahverkehr: Piraten gegen Fahrscheine
> Bremen wäre der ideale Standort, um die Tickets einfach abzuschaffen,
> selbst der Chef der Nahverkehrsbetriebe wäre dabei. 20 Euro pro Monat
> müsste jeder Bremer bezahlen.
Bild: Weg frei auch fürs ticketlose Fahren? Dafür braucht es Verbündete im R…
BREMEN taz | Fahren ohne Fahrschein? Dafür wäre Bremen ideal: keine teure
U-Bahn, ein gut ausgebautes Straßenbahnnetz, viele Busse. Marvin Pollock
hat alles durchgerechnet: Für einen ticketlosen Nahverkehr kommt er auf 20
Euro pro Monat für jeden Bremer. Pollock ist Kreisvorsitzende der Bremer
Piraten und will das Thema voranbringen – das sei nicht einfach, ohne Sitz
im Parlament, „aber machbar“, sagt er. Und: Die Forderung fällt in Bremen
nicht zum ersten Mal.
Mit den Schülerprotesten von 1968 fing es an. Und erst 2009 riefen
Aktivisten des Bremer „Klimaplenums“ zwei „Umsonstfahrtage“ aus. Plakat…
die täuschend echt wie offizielle Werbung aussahen, forderten die Kunden
auf, ihr Bargeld in der Tasche zu lassen. Infostände wurden aufgebaut, eine
Straßenbahn komplett beklebt, Ticketautomaten verhängt. Die Bremer
Straßenbahn AG (BSAG) war aufgescheucht, kündigte härtere Kontrollen an.
Durchsagen in Bahnen und Bussen warnten: Nichts sei umsonst.
Den Aktivisten ging es allerdings um mehr, es ging um soziale Gerechtigkeit
und die Philosophie der Mobilität. „CO2-intensiven Fortbewegungsmittel
abzuschaffen heißt im Zweifel, langsamer ans Ziel zu kommen“, erzählt einer
von ihnen. Der Umstieg auf den öffentlichen Verkehr stelle somit die
Verfügbarkeit von Arbeitskräften in Frage. Stärkere Flexibilisierung der
Subjekte stand gegen die Vision einer andere Stadt, einer anderen
Produktion, letztendlich: des guten Lebens. Woran sich das festmacht? „An
der Zeitsouveränität“, sagt der Aktivist.
Piraten-Vorstand Pollock denkt da bodenständiger: „Eine gut vernetzte Stadt
ist ein attraktiver Standort“, sagt er. Fahrscheinloser Nahverkehr ziehe
Unternehmen an, mehr Einwohner, bringe mehr Lebensqualität.
Schon heute ist der Ticketpreis politische Verhandlungssache und deckt
nicht die realen Kosten: Mit 54 Millionen Euro glich Bremen 2012 Verluste
der BSAG aus. Den Fuhrpark von 220 Bussen und 110 Straßenbahnen zu bewegen,
kostete im gleichen Jahr 161 Millionen Euro. Das ist die Summe, um die es
Pollock geht: Auf alle 660.000 Bremer umgelegt, macht das 20 Euro pro Monat
– fünf Euro weniger, als Bremer Hartz-IV-Empfänger heute für ihr
Sozialticket zahlen.
Bei den „Umsonstfahrtagen“ war das Medienecho enorm, die Resonanz in der
linken Szene allerdings gering. Die radikale Linke sei akademisch,
mittelschichtsgeprägt, sagt der Aktivist. „Die haben ohnehin ein
Semesterticket.“ Für das kleine Klimaplenum wurde die Sache schließlich zu
groß. Es gab Partei-Anfragen, Treffen mit Greenpeace und Robin Wood. „Wir
hätten dicke Bretter bohren müssen“, sagt der Aktivist. Das stand in keinem
Verhältnis, die Sache schlief ein.
Für Pirat Pollock sind die Bretter heute dünner: Der aktuelle BSAG-Chef
Wilfried Eisenberg zeigt Sympathien. Woher die BSAG ihr Geld bekommt, sei
schließlich nicht entscheidend. „Nur den weiteren Streckenausbau muss man
einplanen“, sagt BSAG-Sprecher Jens-Christian Meyer und gibt die Pendler
aus Niedersachsen zu Bedenken, die Bremer Bahnen nutzten und dann
mitfinanziert würden. Auch das aber hat Pollock bereits durchdacht: mit
einer Abgabe über den Firmensitz.
Pollock ist es ernst. Mit der Linkspartei gab es Gespräche, die ist nicht
abgeneigt. Bei den Grünen gibt es Einzelne, die nicht nur in Fahrrädern
denken. Er will mit Vereinen sprechen, dem Verkehrsclub Deutschland, dem
Allgemeinen Deutschen Fahrradclub, dem Verein „Mehr Demokratie“: „mit
allen, die nicht zwangsläufig auf Individualverkehr setzen“. Der Weg wird
ein Volksbegehren. Der klare Zeitplan: „Bis Sommer wollen wir vernetzt
sein“, sagt Pollock.
28 Jan 2014
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Bremen
Öffentlicher Nahverkehr
Piraten
Deutsche Bahn
Tallinn
Bremen
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