# taz.de -- Land unter in Irland: Die Nacht des großen Windes | |
> Fünf Orkane haben jüngst die Grafschaft Clare heimgesucht – neue sind | |
> angekündigt. „Für uns Bauern sind die Schäden immens“, sagt Pat McNama… | |
Bild: Die Küste bei Doolin, wo der letzte Orkan einen ganzen Parkplatz unter S… | |
LAHINCH taz | Kein Stein liegt mehr an seinem Platz. Die Stürme der | |
vergangenen Wochen haben die Küste der westirischen Grafschaft Clare völlig | |
durcheinandergebracht. „Steine, so groß wie ein Tisch, sind einfach in die | |
Luft gewirbelt worden“, sagt Pat McNamara. Der 55-Jährige ist Bauer in | |
Fanore, einem Ort, der für seinen Sandstrand berühmt war. Den Strand gibt | |
es nicht mehr, das Meer hat sich den Sand geholt und die Felsen darunter | |
freigelegt. | |
Felsen gibt es genug in dieser Gegend, sie heißt Burren. Das stammt vom | |
gälischen boireann ab, was felsiger Ort bedeutet. Es ist ein | |
Naturschutzgebiet. Das heißt in der Regel, dass die Natur vor den Menschen | |
geschützt wird, nicht umgekehrt. „Aber so wild wie vorige Woche war es hier | |
noch nie“, erzählt Pat McNamara. Die Windgeschwindigkeit habe 160 | |
Stundenkilometer betragen. | |
Der internationale Flughafen Shannon am südlichen Ende der Grafschaft | |
musste geschlossen werden, Hunderte von Dächern wurden komplett abgedeckt | |
und Bahnlinien gesperrt, weil Felsbrocken auf den Gleisen lagen. 100.000 | |
Häuser entlang der irischen Westküste blieben tagelang ohne Strom oder | |
Telefon. | |
„Kaum hatte man die Schäden ausgebessert, machte der nächste Sturm alles | |
wieder zunichte“, berichtet Bauer McNamara. „Und dann in einem Moment, als | |
es vollkommen windstill war, hob sich der Atlantik binnen Sekunden um zwei | |
Meter. Es war gespenstisch.“ | |
## Die Strandpromenade weggespült | |
Fünf Orkane sind seit dem zweiten Weihnachtstag auf die Küste geprallt und | |
über die Grafschaft Clare hinweggefegt, und jede Nacht musste Pat McNamara | |
hinaus aufs Feld, weil fünf seiner Kühe hochschwanger waren. Er hatte | |
Glück, die Kälber kamen zur Welt und überlebten, aber eine Kuh hat McNamara | |
im Sturm verloren. „Wir hier in Fanore sind noch recht glimpflich | |
davongekommen“, sagt er. „Lahinch hat es viel schlimmer erwischt.“ | |
Der Badeort, knapp 30 Kilometer südlich gelegen, war tagelang von der | |
Außenwelt abgeschnitten. Zahlreiche Familien mussten aus ihren Häusern | |
evakuiert werden. Viele der Wohnwagen, die im Sommer an Touristen vermietet | |
werden, sind zu Kleinholz geworden. Der Ort mit 700 Einwohnern lebt vom | |
Tourismus. Neben seinem berühmten Golfplatz soll Lahinch den nach Hawaii | |
besten Surfstrand der Welt haben, behaupten die Einheimischen. | |
Es gibt vier Surfschulen, deren Läden auf der Promenade lagen. Seit dem | |
Sturm im Januar gibt es die Promenade nicht mehr. „Das Meer drang 500 Meter | |
weit ins Land ein und riss alles mit sich“, sagt Anton O’Looney. „Die | |
schweren Abdecksteine auf der Kaimauer flogen fünfzig Meter weit, als wären | |
sie aus Papier. Es war wie Armageddon. Mein Restaurant auf der Promenade | |
ist abgesoffen.“ | |
Das war auf den Tag genau 175 Jahre nach „oíche na gaoithe móire“, der | |
„Nacht des großen Windes“, in der am 6. Januar 1839 ein Viertel aller | |
Häuser in Nord-Dublin zerstört, 42 Schiffe versenkt und mehrere Hundert | |
Menschen getötet wurden. | |
## Alter Müll | |
Laut Michael Vaughan, Hotelbesitzer in Lahinch und zugleich Präsident des | |
irischen Hotelier-Verbands, wird der Schaden für die Küste von Clare auf | |
23,5 Millionen Euro geschätzt. „Aber das war vor dem Sturm in der | |
vergangenen Woche“, erklärt der Hotelier. „Jetzt sind es mindestens 30 | |
Millionen. Und weitere Stürme sind für den 1. März angekündigt.“ | |
Der Orkan habe Tonnen von Müll zutage gefördert, als er die Felsen unter | |
der Promenade hochwirbelte. Besucher hatten seit Jahrzehnten | |
Picknickabfälle und schmutzige Windeln zwischen die Felsen gestopft. 50 | |
Freiwillige sammelten binnen einer Woche mehr als 600 Säcke voller Müll. | |
Die Menschen an der Westküste sind Regen und Stürme gewohnt. Doch sie | |
werden häufiger und heftiger. Vor zwei Jahren hatten die Behörden eine | |
Liste mit gefährdeten Orten herausgegeben – Lahinch war nicht darunter. Der | |
zuständige Staatssekretär im Finanzministerium, Brian Hayes, fordert nun | |
eine landesweite Debatte darüber, wie man mit Überschwemmungen umgehen | |
solle. Das Budget für die Vermeidung von Flutschäden sei trotz Rezession | |
nicht gekürzt worden, erklärte er. In den kommenden fünf Jahren würden 250 | |
Millionen Euro zur Verfügung stehen. | |
## Soll man Land aufgeben? | |
Das Geld wird nicht reichen, um alle flutgefährdeten Gegenden zu schützen. | |
Wissenschaftler vom Klima-Institut der Universität Maynooth gehen davon | |
aus, dass aufgrund des Klimawandels Sturm, Springflut, ansteigender | |
Meeresspiegel, starker Regen und Tiefdruckgebiete in Zukunft häufiger | |
zusammentreffen werden. | |
Der Geophysiker Robert Devoy von der University College Cork stellte zur | |
Diskussion, man müsse darüber nachdenken, welche Küstenstreifen gerettet | |
werden sollen und welche man aufgeben müsse. „Eine schwere Entscheidung“, | |
sagt er. „Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Küste seit rund 2.000 | |
Jahren an Ort und Stelle geblieben ist. Wir wollen an den | |
Küstenlandstrichen festhalten, obwohl es manchmal weiser wäre, sie gehen zu | |
lassen.“ | |
Auch die irische Umweltschutzbehörde stellt ähnliche Überlegungen an. In | |
manchen Fällen könnte sich ein „geplanter Rückzug“ von der Küste als | |
wirtschaftlichste Lösung erweisen, heißt es in einer Studie. Für Städte ist | |
das natürlich keine Option. Die Behörde hat festgelegt, dass Häuser künftig | |
mit mindestens 100 Meter Abstand vom Meer gebaut werden müssen, und im | |
Mündungsgebiet von Flüssen darf kein Land neu gewonnen werden. | |
„Klar ist der Klimawandel schuld“, sagt Farmer Pat McNamara in Fanore, | |
„solche Orkane gab es so noch nie.“ Er ist 57 und kann sich nicht | |
vorstellen, neu anzufangen. Sein ganzes Leben hat er an der irischen | |
Westküste zugebracht. „Er wird krank, wenn er das Meer nicht sehen kann“, | |
sagt seine Frau Gill über ihn. „Bei uns ist es ja Gott sei dank nicht so | |
schlimm wie in Großbritannien.“ | |
## Cameron in Gummistiefeln | |
Dort haben die Stürme weite Teile Südenglands verwüstet. Die Themse ist | |
über die Ufer getreten, zeitweilig waren sogar Windsor Castle und die | |
umliegenden Wohnviertel der Reichen vom Wasser bedroht. Die Bevölkerung in | |
Cornwall und Wales fühlt sich von der Regierung im Stich gelassen, und | |
Premierminister David Cameron wird vorgeworfen, seine Haushaltskürzungen | |
hätten dazu geführt, dass die Umweltbehörde 25 Prozent ihres Personals | |
eingebüßt hat. Cameron begab sich blitzschnell in Gummistiefeln in die | |
überschwemmten Gebiete und beschwor den Widerstandsgeist der Briten während | |
des Zweiten Weltkriegs. „An Geld für die Katastrophenhilfe wird es nicht | |
mangeln“, erklärte er. | |
Wer in Irland für die Schäden aufkommen wird, ist dagegen ungewiss. Die | |
Regierung hat den Bezirksverwaltungen 70 Millionen Euro zur Verfügung | |
gestellt, um die Schäden an öffentlichen Gebäuden und Straßen zu beheben. | |
Was aber ist mit den Privathaushalten? Den Surfshop- und | |
Restaurantbesitzern in Lahinch, den Bauern in Fanore? | |
Versicherungsmakler Seán Burke ist in Lahinch unterwegs, um Schäden zu | |
begutachten. „Viele sind gar nicht gegen Überschwemmung versichert“, weiß | |
er. „Außerdem kann man die Versicherung in einem solchen Fall nur einmal in | |
Anspruch nehmen. Danach wird dich niemand mehr gegen Überschwemmungen | |
versichern.“ | |
## Versalztes Land | |
Michael McNamara lebt am Atlantik in Doolin, die Küstenstraße von Lahinch | |
hinauf, vorbei an den Klippen von Moher, dem Wahrzeichen der Grafschaft. | |
Der kleine Mann, Ende 60, hatte vor 30 Jahren einen Wohnwagen neben dem | |
großen Parkplatz aufgestellt. Die Bezirksverwaltung hat ihn später dort | |
nicht mehr wegbekommen, weil er Gewohnheitsrecht hatte. Das hat der letzte | |
Orkan nun erledigt. | |
„Mitten in der Nacht hob sich sein Wohnwagen vom Fundament und versetzte | |
ihn um einige Meter, so dass er in der Mitte auseinanderbrach“, erzählt Pat | |
McNamara, Michaels Neffe. „Er musste während des Sturms Zuflucht bei seinem | |
Bruder im Dorf suchen.“ Das war sein Glück, denn der Parkplatz und die | |
benachbarten Felder sind unter Tonnen von Steinen begraben. | |
„Viele Mauern sind einfach zusammengebrochen“, sagt Pat McNamara. „Es ist | |
eine Kunst, die Trockenmauern so zu bauen, dass sie winddurchlässig sind, | |
aber gegen diese Orkane hatten sie keine Chance.“ Die Straße zum Hafen ist | |
nicht mehr befahrbar, manche Löcher sind einen Meter tief. Die Büros der | |
Fährgesellschaften sind schwer beschädigt. Die Reedereien betreiben Fähren | |
nach Inisheer, der kleinsten der Aran-Inseln, die jetzt noch kleiner ist, | |
weil Teile im Meer verschwunden sind. Selbst die „Plassy“, ein riesiges | |
Frachtschiff, das mit einer Ladung Whiskey an Bord bei einem Sturm 1960 | |
Leck geschlagen war und dann auf die Insel gespült wurde, ist vom zweiten | |
Orkan im Januar ein Stück versetzt worden. | |
„Für uns Bauern sind die Schäden immens“, sagt McNamara, „auch wenn man… | |
noch nicht sieht. Die Felder sind vom Meer überschwemmt worden, und wenn | |
sich das Wasser zurückzieht, stirbt das Gras wegen des Salzes ab. Es dauert | |
mindestens sechs Monate, bis das Land wieder zu gebrauchen ist. Es ist | |
unglaublich, was für eine Zerstörungskraft Wasser hat.“ | |
26 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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