# taz.de -- Die Wahrheit: Spritzige Spiele | |
> Helden der Pharmazie: Auch in Sotschi wurde eindrucksvoll gedopt. Doch es | |
> gibt noch immer viele Kostverächter unter den Athleten. | |
Bild: Auch die Dopingindustrie betreibt munter Öffentlichkeitsarbeit | |
„Gut 85 Prozent der Athleten haben auf leistungsfördernde Substanzen | |
zurückgegriffen“, resümiert der renommierte Doping-Spezialist Derek van | |
Bercken im Wellnessbereich einer noblen Kölner Privatklinik. Dort stellt | |
der Verband Internationaler Sportapotheker (VISA) seinen Abschlussbericht | |
der Winterspiele von Sotschi vor, während es die Journalisten bereits zum | |
Ampullenbuffet oder zur kostenlosen Blutwäsche zieht, die von Hostessen im | |
Hinterzimmer angeboten wird. | |
„Eine erfreuliche Zahl. Auch wenn die Dunkelziffer derer, die versuchen, | |
aus eigener Kraft zum Erfolg zu gelangen, immer noch viel zu hoch ist“, | |
relativiert van Bercken die positive Bilanz. Dass es einige davon | |
schafften, auch noch Medaillen abzuräumen, bezeichnet er als beunruhigend. | |
Dies zeige eindringlich, dass auch beim heutigen hohen Dopingstandard noch | |
Luft nach oben sei. Lobende Worte hingegen fand er für das Deutsche | |
Olympische Komitee, das durch die völlig irrwitzige Vorgabe von dreißig zu | |
gewinnenden Medaillen einen gesunden Druck auf die Sportler ausgeübt und | |
ihnen den Weg zum Medikamentenschrank damit gewiesen habe. | |
Die Gründe für das Verweigern von Doping sind vielfältig und selten | |
rational: Im Jahr 2003 erklärte der belgische Radprofi Marc van Eumelsdorp | |
seine Karriere für beendet, da er kein Blut sehen und sich daher nicht am | |
teaminternen Eigenblut-Doping beteiligen könne. | |
Andere Sportler verweigern aus Gewissensgründen, wieder andere leiden unter | |
kognitiver Selbstüberschätzung und glauben, es auch ohne Hilfsmittel zu | |
schaffen. „Ein gefährlicher Irrweg“, meint Dr. Albert Phineas von der | |
Organisation „Ärzte ohne Gewissen“ und empfiehlt mentales Training und | |
regelmäßige Hirnwaschungen. | |
Längst greifen viele Athleten auf Mentaltrainer und Ernährungsberater | |
zurück. Falls man doch mal erwischt wird, werden die windigen Gurus als | |
Schuldige vorgeschoben, während sich der Sportler als naives, unschuldiges | |
Dummerle den Kameras präsentiert. So zuletzt geschehen im Fall der | |
Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, die angab, die von ihr eingenommene | |
Substanz sei in einem Liebestrank enthalten gewesen, den eine befreundete | |
Hexe für sie gebraut habe. | |
Der lettische Eishockeyspieler „Doggy“ Pavlovs sprach von einem Glückstee, | |
den die Schamanin seines Vereins, Kristel-Mette Riga, ihm eingeflößt habe. | |
Der schwedische Spieler Niklas Bäckström hingegen behauptete, von einem | |
verseuchten Medizin-Elch gebissen worden zu sein und erklärte, Elchbisse | |
gälten in Schweden als zuverlässiges Mittel gegen Migräne. | |
Diesen wenigen Einzelfällen, konstatiert van Bercken, stünde allerdings ein | |
Heer von vorbildlichen Helden des Dopings gegenüber, die sich trotz aller | |
Kontrollen nicht erwischen ließen. Jetzt gelte es nur noch, die | |
abergläubische Angst der Bevölkerung vor Doping durch | |
Sensibilisierungskampagnen auszuräumen. „Anders als hochgespritztes | |
Mastvieh sind gedopte Sportler für den Verbraucher völlig ungefährlich“, | |
lacht Derek van Bercken, dessen Grinsen daraufhin leicht ins Dämonische | |
spielt. „Man isst die Athleten ja nicht.“ | |
28 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Francis Kirps | |
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