# taz.de -- Kolumne Besser: Lasst uns Wörter töten! | |
> Einer Lieblingsvokabel des politischen Kommentarwesens wird der Prozess | |
> gemacht. Am Ende wird sie an die Wand gestellt. | |
Bild: 1985, als die Mudschaheddin noch keine Zottelzombies waren, sondern Freih… | |
Die deutsche Sprache kennt viele Wörter. Sogar „übertrieben viele“, wie | |
eine Umfrage auf einem Kreuzberger Schulhof ergab. Eines davon wollen wir | |
heute töten. Nein, keines jener Wörter, die durch Killer wie [1][„umsetzen�… | |
oder „massiv“] ohnehin vom Aussterben bedroht sind. | |
Auch den Sprachmüll aus Werbung, Internet und Managerseminaren wollen wir | |
heute verschonen und unsere ganze Anstrengung stattdessen einem einzigen | |
Wort widmen. Einem Wort, das sich im deutschen Nachrichten- und | |
Kommentarwesen großer Beliebtheit erfreut und sich zum Beispiel in dieser | |
[2][Meldung] der Frankfurter Allgemeinen Zeitung findet: „Eine Gruppe | |
selbsternannter serbischer Freiheitskämpfer ist in Sewastopol eingetroffen, | |
um Russland bei dem gewaltsamen Anschluss der Krim zu unterstützen.“ | |
Nun dürften diese Freiheitskämpfer unter Freiheit dasselbe verstehen wie | |
[3][ein Teil der Maidan-Bewegung]: die Freiheit nämlich, jeden auszumerzen, | |
der nicht in ihre Streichholzschachtelwelt passt. Und natürlich muss man | |
nicht jedem Haufen faschistischer Arschlöcher die Eigenwerbung als | |
Freiheitskämpfer abnehmen, sonder kann sie beim Namen (faschistische | |
Arschlöcher) nennen. Was aber soll das Adjektiv „selbsternannt“? | |
Die Sinnlosigkeit dieses Wortes erschließt sich – jetzt ein Supertrick, den | |
Sie ruhig mal zu Hause bei einem anderen Wort ausprobieren können – aus der | |
Umkehrung: Was ist das Gegenteil von „selbsternannten Freiheitskämpfern“? | |
In freier und geheimer Wahl gewählte? Fremdernannte? Von den Vereinten | |
Nationen oder der [4][Föderation der Planeten] bestimmte? Gemeint ist | |
natürlich: Kämpfer, die wir für Freiheitskämpfer halten. | |
Dieser Begriff wird, ebenso wie sein Gegenstück, der „Terrorist“, nach | |
politischen Präferenzen verliehen und unterliegt dem Wandel der Zeit und | |
der Interessenlage. So galten in den achtziger Jahren die Mudschaheddin in | |
ihrem heiligen Kampf gegen Bodenreform, Alphabetisierung und | |
Gleichberechtigung der Frauen (also gegen das Programm der afghanischen | |
Kommunisten) in der westlichen Welt nicht etwa als Zottelzombies (das kam | |
erst später), sondern als Freiheitskämpfer, worüber sich hierzulande | |
jenseits der DKP alle einig waren, von den Linksradikalen zur CDU, von der | |
taz zum ZDF-Magazin. | |
Doch egal, wofür eine bewaffnete Truppe kämpft, fast immer gibt sie vor, | |
für die Freiheit zu kämpfen. Und immer ist sie „selbsternannt“, ebenso wie | |
die meisten Staaten, sofern sie nicht als Ergebnis einer Neuordnung der | |
Welt am Ende eines großen Krieges gegründet wurden, zunächst als | |
„selbsternannte“ entstanden, oft nach einem Unabhängigkeitskrieg oder einer | |
Revolution. | |
Als in den neunziger Jahren auf dem Balkan reihenweise irgendwelche | |
Dorfältesten nach dem Genuss von ein paar Flaschen Sliwowitz ihren | |
Landstrich für unabhängig erklärten, waren die neuen Staaten allesamt | |
„selbsternannte“, ob sie nun Republik Kroatien oder Republik Serbische | |
Krajina hießen. Bloß wurden einige davon von der Zeitung für Deutschland | |
anerkannt und die anderen nicht. | |
Allerdings gibt es kein objektive Instanz zur Anerkennung anderer Staaten, | |
nicht einmal die Vereinten Nationen taugen dafür. So wurden die Roten | |
Khmer, die sich nach ihrer Entmachtung durch das kommunistische Vietnam in | |
den Dschungel zurückgezogen hatten, bis Ende der achtziger Jahre von den UN | |
sowie den meisten westlichen Staaten als legitime Vertretung Kambodschas | |
akzeptiert. Die Vereinten Nationen sind keine Oberschiedsrichter; was sie | |
beschließen oder nicht beschließen, ist von Interessen, Überzeugungen und | |
Mehrheiten abhäbgig. Wer seinerzeit kein Problem damit hatte, Jugoslawien | |
ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats anzugreifen und die Sezession des | |
Kosovos nach Kräften unterstützte, kritisiert heute Putins Vorgehen auf der | |
Krim als völkerrechtswiderig – und umgekehrt. Die Helden der einen sind die | |
„Selbsternannten“ der anderen. | |
Hätten die Deutschen ihre „selbsternannte“ Republik von 1918 nicht bald | |
wieder einkassiert – oder hätten sie den Nazis nennenswerten bewaffneten | |
Widerstand entgegensetzt –, sie wüssten vielleicht, dass man Kämpfern oder | |
ganzen Staaten, die man doof findet, mit hundert [5][besseren Begriffen] | |
die Legitimität abstreiten kann als mit dem albernen Zusatz | |
„selbsternannt“, der auch in anderen Zusammenhängen fast immer unsinnig | |
ist: Der selbsternannte Experte, der selbsternannte Kritiker, der | |
selbsternannte Künstler – das sind die, denen ich die Anerkennung | |
verweigere. | |
Eng verwandt ist „selbsternannt“ übrigens mit dem Wort „sogenannt“ und | |
dessen Kurzversion, den politischen Gänsefüßchen; der stilistischen Waffe | |
des kleinen Mannes. Auch sie sind Ausdruck einer halb trotzigen, halb | |
neurotischen Realitätsverweigerung: Da gibt es etwas, das mir so nicht in | |
den Kram passt. Weil ich es aber nicht beseitigen kann, verweigere ich ihm | |
performativ die Anerkennung und schaffe es dadurch aus der Welt; wenigstens | |
ein bisschen, wenigstens aus meiner Welt: die sogenannte DDR, der | |
sogenannte Klimawandel, der sogenannte Stalinismus, die sogenannte Stadt | |
Kaliningrad, die der sogenannte Staat Israel, die sogenannten | |
Christdemokraten, die sogenannten weichen Drogen, der sogenannte | |
Fortschritt, der sogenannte Frauenfußball, der so sogenannte Arabische | |
Frühling, die sogenannte neue Rechtschreibung, mit der aus „sogenannt“ „… | |
genannt“ werden sollte, was man aber wieder rückgängig gemacht hat. | |
Besser: Peng, peng! | |
Auch gut: Sie möchten ein Wort töten? Schreiben Sie an | |
[6][[email protected]]. | |
15 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] /!94638/ | |
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/krise-in-der-ukraine-serbische-freischae… | |
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[6] /[email protected] | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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