# taz.de -- Gesundheitstourismus: Die handwerkliche Heilkunst | |
> Ayurveda liegt im Trend. Auch in Deutschland gibt es ernsthafte Anbieter | |
> für Entgiftungskuren. Traditionell ist der Ayurveda-Garden in Bad | |
> Rappenau. | |
Bild: Ayurvedischer Stirnguss für die Tiefenentspannung. | |
Dr. Shine Koorkaparambil strahlt Ruhe aus. Und eine angenehme Wärme wie die | |
goldene Butterlampe, die stets in der Eingangshalle des Ayurveda-Gardens in | |
Bad Rappenau leuchtet. Dr. Shine schließt die Augen, während er nach einem | |
längeren Patientengespräch in seinem Behandlungszimmer den Puls fühlt, um | |
die Körpersäfte und deren unregelmäßigen Fluss konzentriert zu ertasten. | |
Shine leitet den Ayurveda-Garden in Bad Rappenau, einem schwäbischen Kurort | |
mit den kastenförmigen 70er-Jahre-Kliniken, die in ihrer grauen | |
Funktionalität für die Errungenschaften des deutschen Gesundheitssystems | |
stehen: Kurpark, Solebad, Gradierwerk im Salinenpark. Und mittendrin die | |
Ayurveda-Klinik, weit entfernt von Keralas palmengesäumten Traumstränden, | |
aber in den schönsten historischen Gebäuden der Anlage, wo einst die | |
Kurverwaltung saß. | |
Der indische Ayurveda-Arzt Dr. Shine lebt seit 1996 in Deutschland. Er | |
stammt aus einer Ayurveda-Dynastie. „Mein Vater und mein Großvater waren | |
Ayurveda-Ärzte. Ich habe in Indien sieben Jahre Ayurveda studiert. Der | |
Freund meines Papas hatte ein Krankenhaus. Er hat mich nach dem Tod meines | |
Vaters ausgebildet. In das Krankenhaus kamen täglich über 100 Patienten“, | |
erzählt Shine. | |
## Männer sind treue Kunden | |
Frau Heim, Frau Braun, der Maler und die zwei Apothekerinnen essen seit | |
drei Tagen zusammen am selben Tisch in dem kleinen, sehr schlichten | |
Speisesaal. Frau Heim hat Magen-Darm-Probleme. Frau Braun klagt über | |
Rückenschmerzen, Depressionen, Schlaflosigkeit. Den Maler drücken sein | |
Gewicht und Bluthochdruck. Die zwei Apothekerinnen sind regelmäßig hier: | |
„weil die Massagen und die Ruhe einfach guttun“. | |
„Es gibt Zeiten, da haben wir mehr Männer als Frauen hier“, sagt die | |
Geschäftsführerin Gudrun Samuel. „Bei den Männern ist es oft so, dass sie | |
einen Anstoß brauchen. Aber die Männer, die einmal da waren, werden oft | |
sehr treue Kunden.“ Es sei besser, wenn man alleine, ohne Partner komme. | |
Man brauche Ruhe, Zeit für sich. | |
Während Frau Heim sich mit wachsender Begeisterung den Reisnudeln mit | |
warmer Kokosmilch zum Frühstück hingibt, behaupten die Apothekerinnen, dass | |
das alte Wissen von Kräutern und Pflanzen bei uns vor allem durch die | |
Hexenverbrennungen ausgemerzt wurde. Der Maler nickt, glaubt aber, dass es | |
Kräuter bei uns nicht in dieser Vielfalt wie in Indien gebe. | |
## Ohne Kräuter kein Ayurveda | |
„Viele denken, Ayurveda ist ein Massagetechnik. Nein, Ayurveda, das ist vor | |
allem Kräuterkunde. Ohne Kräuter kein Ayurveda“, sagt Shine. „Wir stellen | |
nach einem Behandlungsgespräch für jeden individuell die Öle und Kräuter | |
zusammen. Wir haben hier 80 verschiedene Kräuteröle, alle aus Indien | |
importiert und dort zertifiziert.“ Und die Geschäftsführerin fügt hinzu: | |
„Unsere Öle sind therapeutische Öle, deshalb haben sie therapeutische | |
Namen. Wenn Sie in den Wellnessbereich gehen, finden Sie Vata-, Pitta- und | |
Kapha-Öle. Diese Pauschalisierung ist Quatsch“. | |
Die Kräuterkenntnis sei einer der wichtigsten Aspekte bei Ayurveda. „Dazu | |
gehört viel Erfahrung“, sagt Shine. Bei der vierhändigen | |
Ganzkörper-Ölmassage, aber auch bei den Einläufen bekomme jeder eine andere | |
Ölkräutermischung. „Wenn jemand Rückenschmerzen hat, bekommt er einen | |
anderen Einlauf, als wenn er nicht schlafen kann oder depressiv ist. Unsere | |
Nahrung wird von einem zum anderen Gewebe transportiert. Wenn wir etwas | |
nicht gut verdauen, dann bleiben Überreste im Darm und gehen später andere | |
Wege. Und so kommt es zu Organkrankheiten“, erklärt der Arzt die | |
Notwendigkeit des Abführens. | |
Frau Braun, die hier eine 10tägige, klassische Entgiftungskur | |
(Panchakarma-Kur) macht, ist mitten in der Darmreinigungsphase, die nach | |
drei Tagen Massage und Buttermilch-Stirnguss beginnt. Sie ist schlecht | |
gelaunt. Am Morgen klagt sie bei Dr. Hari Sumathy, dem zweiten | |
Ayurveda-Arzt, der die Einläufe vornimmt, über schlaflose Nächte, | |
Bauchkrämpfe. „Das wird schon“, vertröstet er sie. | |
## Die Tücken der Entgiftung | |
Eine Ayurveda-Kur hat ihre Untiefen. Die werden nicht immer aufgefangen. | |
Nicht hier, auch nicht bei der Kur in Indien. Frau Braun schiebt ihr | |
Unwohlsein aufs Essen: Die Süßspeise am Abend bekomme ihr nicht, sagt sie | |
dem Arzt. Ob sie nicht spezielles Essen bekommen könne. Das Essen sei | |
neutral, für alle Konstitutionstypen – Pitta, Vata, Kapha – ausgleichend, | |
sagt Dr. Hari. Sie solle den Nachtisch weglassen. Frau Braun fühlt sich | |
nicht ernst genommen. | |
Kein Fernsehen, kein Internet, nur die Reizwirkung des nahe gelegenen | |
Gradierwerks. Alles ist reduziert, still, ereignislos. „Diese Reduktion ist | |
für viele schwer. Sie ist aber ein wichtiger Aspekt der Kur. Auch deshalb | |
kommen die Stammgäste immer wieder. Das sind Professoren, sehr viele | |
schulmedizinische Ärzte, viele Manager. Wenn sie hierherkommen, wollen sie | |
ihre Ruhe und mithilfe der Massagen und Entgiftungspraktiken ihren Körper | |
spüren. Manche kommen im Jahr zwei-, dreimal“, sagt Dr. Shine. Kein Wein, | |
kein Fisch, kein Fleisch, abends nur Kräutertee – eine Herausforderung für | |
viele. | |
Frau Braun ist heute besser gelaunt. Die Ganzkörpermassage war besonders | |
sanft, versöhnlich, harmonisch. Auf der hölzernen Massageliege mit der | |
Abflussrinne für das Öl fühle sie sich nun nicht mehr wie auf dem | |
Schneidebrett, erzählt sie beim Gemüsecurry mit Reis, dem typischen | |
Mittagsmahl auf dem nicht sehr abwechslungsreichen Speiseplan des indischen | |
Kochs Arawind. Und in der Dampfsauna – einem imposanten Holzkasten, der den | |
Kopf frei lässt – sei sie sogar selig eingenickt. | |
„Maximal fünf Leute sind in den letzten zehn Jahren abgereist“, sagt Shine. | |
60 Prozent der Gäste kämen regelmäßig wieder. Die älteste Dame war 90 | |
Jahre, das jüngste Mädchen 14 Jahre. „Ayurveda wirkt in unserer | |
Gesellschaft gut“, weiß Shine, „weil viele Menschen unter starken | |
Belastungen stehen.“ Burn-out, Störungen des vegetativen Nervensystems, | |
Unruhe, Depressionen. „Wir brauchen alle medizinischen Ansätze, die | |
Schulmedizin, Homöopathie und Ayurveda“, betont der Arzt. Die Wellness- und | |
Esoterikwelle in Deutschland habe leider die therapeutischen Möglichkeiten | |
des Ayurveda verdeckt. | |
Im Ayurveda gehe es darum, zu verstehen, wer bin ich, was brauche ich. Wie | |
kann ich meinen Alltag auf gesunde Weise leben? Es gehe darum, | |
Eigenverantwortung zu lernen. „Im Ayurveda ist alles erlaubt“, sagt Shine, | |
„aber man muss das richtige Maß, die richtige Ernährung für sich | |
herausfinden.“ | |
15 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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