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# taz.de -- Bald nur noch Folklore auf St. Pauli?: Am Ende der Großen Freiheit
> „Na, Mädels! Alles feucht im Höschen?“ Mit derben Sprüchen lockt der
> Koberer Gäste in Bars und Striplokale. Doch seine Zunft ist im
> Niedergang.
Bild: „Bald nur noch eine Ballermann-Meile“: die Große Freiheit in Hamburg…
HAMBURG taz | Im grellbunten Schein der Neonlichter steht er, angespannt,
Zigarette in der Hand, ohne Jacke, obwohl ein eisiger Wind über die Große
Freiheit weht. Als würde er die Kälte nicht spüren. Als gäbe es nur ihn,
die Gesichter in der Menge, und diesen Moment. „Du hast deine
vorgefertigten Sätze“, sagt er, „aber die musste punktgenau abfeuern
können.“
Fabian Zahrt ist ein Mann, der weiß, wie man die Herzen der Frauen gewinnt.
„Hast du denn deinen Geburtstagsfick schon gehabt?“ Fünf Touristinnen aus
Lüneburg sind stehen geblieben; sie kichern und jauchzen. Eine von ihnen
wird an diesem Freitag 20, sie hat sich ein Diadem aus Plastik in ihre
glatten Haare geschoben. Die jungen Frauen verschwinden durch die Tür
hinter ihm in dem Men-Strip-Club.
Sein Beruf hat viele Namen: Portier, Promoter, Anheizer. In Hamburg ist der
Begriff „Koberer“ üblich. Die Herkunft des Wortes ist nicht ganz klar. Das
jiddische „Kowo“, Schlafkammer, ist eingeflossen, aber wohl auch „Koop“,
niederdeutsch für Kauf oder Geschäft. „Na, Mädels, wie isses? Alles feucht
im Höschen?“, kräht Fabian Zahrt fröhlich. Er ist nicht sehr groß, 40 Jah…
alt, mit schwerem Oberkörper, Bart und kurz rasierten Haaren.
Im Milieu von St. Pauli sind die Koberer angesehene Männer. Denn das kann
längst nicht jeder: dieses Sperrfeuer aus Vulgärlyrik, brachialer
Frontalanmache und schlüpfrigen Reimen, all das souverän rübergebracht –
das muss man erst mal hinkriegen.
## Das legendäre Safari – soeben verkauft
Zahrt sagt, er habe von den Besten gelernt, damals, vor dem Safari. Das war
das letzte Live-Sex-Cabaret. Nebenan hängt der gelbe Neon-Elefant noch über
der Straße. Er leuchtet nicht mehr. Das legendäre Erotiktheater wurde
gerade verkauft.
Stampfende Beats wummern von rechts und links. Wo es früher Erotiklokale
gab, haben Dutzende billige Saufbuden eröffnet. Der beißende, süße Geruch
von Wodka Red Bull liegt in der Luft. Auf der Markise gegenüber steht:
„Every Drink 99 Cent“. „Jetzt ist das nur noch ’ne Ballermann-Meile“,…
Zahrt leise. „Das Flair von St. Pauli fehlt.“ Die Glanzzeiten des Viertels
sind lange vorüber. In den Stripbars und Erotikclubs sind die Umsätze
deutlich gesunken.
Auch geht die Polizei heute sehr viel strenger gegen unlautere Lokale vor.
„Betrug hat es gegeben, seitdem es St. Pauli gibt“, sagt Ulrich Wagner, der
Leiter der Davidwache an der Reeperbahn. Die Masche ist immer die gleiche:
Der Koberer lockt den Gast in die Bar. Dort setzt sich eine Frau zu ihm,
bittet um ein Glas billigen Sekt, und am Ende soll der Kunde mehrere
hundert Euro zahlen.
Was früher als Nepp galt, wird seit 2010 als Straftat geahndet. Im
vergangenen Jahr ermittelte die Polizei gegen 16 Lokale, drei verloren ihre
Lizenz. Nicht dass alle Koberer unsauber arbeiten. Aber ohne sie wäre die
Abzocke kaum möglich, sagt Wagner: „Bei den Betrugsfällen gibt es eine
Handlungskette, an deren Anfang der Koberer steht.“
## Bald nur noch ein Themenpark?
Fabian Zahrt blinzelt in das diesige Flackern der Neonlichter. Er erinnert
sich, wie St. Pauli in den 70ern und 80ern war, als es 13 Live-Sex-Shows
gab und allein auf der Großen Freiheit 86 Koberer standen. „86 gestandene
Herren“, ruft er heiser in das Getöse der Straße, „Knallertypen in
Anzügen!“ Heute arbeiten in St. Pauli vielleicht noch zwei Dutzend. Im
Safari konnte ein Koberer bis zu 4.000 Euro im Monat verdienen, sagt er,
üblich war ein Gehalt plus Umsatzbeteiligung. Jetzt erhalten viele nur noch
eine Provision; manche kommen pro Nacht gerade auf 50 Euro.
Fabian Zahrt ist nicht verbittert. Aber ein bisschen traurig macht ihn das
alles schon. Nach der Schule hat er eine Lehre als Hafenarbeiter gemacht.
Er war etwa 18 Jahre alt, als seine Freunde ihn mit nach St. Pauli nahmen.
Seither hat ihn der Kiez nicht wieder losgelassen. Er war einige Jahre bei
der Bundeswehr. Dann fing er als Türsteher an, darüber kam er zum Kobern.
Heute arbeitet er vor der Men-Strip-Bar „Olivias Wilde Jungs“, die zu dem
kleinen Vergnügungsimperium der Dragqueen Olivia Jones gehört. Künftig wird
Zahrt auch Führungen anbieten. Die „Rotlicht-Kieztour mit Kult-Koberer
Fabian“ wird im Internet bereits beworben. Damit erzählt auch seine
Biografie von dem Wandel in St. Pauli, vom Zentrum der Sexindustrie hin zum
Themenpark für Touristen mit Halbweltfassade. „Wir wollen alle unser Geld
verdienen“, sagt er, „wir müssen mit der Zeit gehen.“
## Zwischen Trash und Gentrifizierern
Es geht auf elf Uhr zu. Scharen von Teenagern sind unterwegs, ältere Paare
in Funktionsjacken, Reisegruppen aus Bielefeld und Nürnberg. „Sexy Ladys
erwarten euch hier“, ruft Domenico und weist auf die Leuchtschrift im
Fenster über sich, „da oben geht die Sonne auf.“ Der Koberer von „Jimmy�…
Showbar“ hat vor zwei Jahren seine Erfüllung auf der Großen Freiheit
gefunden.
„Das ist meine Bühne hier. Showtime, Showtime, Showtime.“ Doch auch er
macht sich Gedanken um seinen Kiez. Grund zum Jammern gebe es zwar nicht,
sagt er: „Der Sexmarkt boomt. Aber es gibt eine Umsatzverlagerung.“
Die Klage, dass St. Pauli seinen Charakter verliert, ist nicht neu. Aber
das Internet hat die Erosion beschleunigt. Früher kamen Geschäftsmänner
nach dem Messebesuch nach St. Pauli. Heute bestellen sie sich online eine
Hure ins Hotel. Auf der einen Seite kommt der enorme Preisdruck dazu und
auf der anderen der rapide Anstieg der Mieten. Stripbars und Sexclubs sind
abgerissen worden, Luxusapartmenttürme entstanden. Das Milieu wird
zerrieben zwischen Trashisierung und Gentrifizierung.
Vor einer Filiale des Dollhouse stemmt ein Mann mit grauer Haartolle die
Arme in die Hüften. Peter, 65 Jahre, gelernter Schlachter, war früher
Koberer des Edelbordells Café Lausen. Dort hat er gut verdient. Aber das
musste schließen. Der „Geiz-Club“ ist in das Gebäude gezogen, wo
Discount-Sex für 39 Euro angeboten wird. Peter wird wütend, wenn er sich
umschaut. Überall Läden, die Bier verkaufen. Und Imbissbuden. Jugendliche
mit Flaschen in der Hand. Dann packt er einen Passanten am Ärmel. „Los,
Jungs“, bellt er, „wollt ihr mal reinschauen?“ Der Mann windet sich aus
seinem Griff.
## Und immer tadellose Manieren
Fabian Zahrt winkt einer dicken Frau im Samtgewand zu, die eine Gruppe
hinter sich herzieht. „Das ist die historische Huren-Tour“, sagt er. Das
Milieu wird zur Kulisse, das Rotlicht zum Stoff für Geschichten. Dann lösen
sich vor ihm zwei Magdeburgerinnen aus der Menge. „Wenn du einmal drin
bist, willste nicht mehr raus“, sagt Zahrt. Die zwei schäkern ein bisschen
mit ihm, gehen am Ende aber weiter. Zahrt weiß, dass er inzwischen selbst
eine Touristenattraktion ist. Aber der Mythos ist eine Sache, die
Wirklichkeit von St. Pauli eine andere.
Der Kiez verändert sich so schnell, dass er ihn manchmal kaum noch
wiedererkennt. „Früher war St. Pauli anrüchig! Schmutzig!“, ruft er. Und
jetzt? Jetzt gibt es im Internet Pornos, gegen die alles, was an die
Reeperbahn passiert, harmlos wirkt: „Da klickste den falschen Knopf und
siehst, wie ’ne Alte vom Pferd gefickt wird. Eine Verrohung der Sexualität
ist das!“ Da steht er nun, Fabian Zahrt, der sein halbes Leben im
Rotlichtmilieu verbracht hat, und klingt plötzlich sehr wertkonservativ.
Wer eine Nacht mit den Koberern in St. Pauli verbringt, spürt immer wieder
ihr Gefühl, dass etwas Wesentliches verloren gegangen ist. „Die Gäste haben
sich verändert, die Qualität der Gäste“, sagt ein Mann vor der Strip-Bar
Blue Night an der Reeperbahn, der sich „der Freundliche“ nennt. Es ist
nicht nur, dass die Leute kein Geld mehr ausgeben. Es ist auch die
Aggressivität der jungen Männer, die vollgepumpt mit Alkohol Streit suchen.
Es passiert, dass die Koberer angepöbelt werden. Sie selbst müssen immer
höflich bleiben. „Ficken, lecken, Muschi erschrecken!“, der Freundliche
lässt seinen Reim über den Asphalt springen.
## Der Sauftourimus stört
Ein paar Meter weiter, vor dem „Club d’Amour“, wartet Charlie; er ist
missgelaunt, ein schwarzer Mann, 64 Jahre alt, mit Hemd und roter Krawatte.
„Das war früher mal ein Traumberuf“, murmelt er. „Heute ist es nur noch
traurig. Aber das ist ja bei Krankenschwestern auch so.“ Charlie kobert
seit 42 Jahren.
Durch seine goldene Doppelstegbrille sieht er, wie Teenager mit
Plastikbechern vorüberziehen. Aus einem Döner tropft Fett auf das Pflaster.
Charlie verzieht das Gesicht vor Ekel. Fastfood aus der Hand, Trinken auf
der Straße, für ihn sind das die Merkmale von Asozialen. „In den 70ern
hätten wir gesagt: Penner laufen da rum!“ Dann versinkt er in Schweigen. Er
wartet, lauert, wie ein alter Puma. Seine Manieren sind tadellos. Als sich
zwei Schweizer in teurem Mantel nähern, setzt er zum Sprung an. „Bitte
sehr, freier Eintritt, schauen Sie, die Preisliste.“ Ein Bier kostet 7
Euro, Cola-Rum 21. Die Schweizer winken ab. „Wir kommen später wieder.“
„Gucken Sie, nur eine Minute.“
Charlies Ton duldet keinen Widerspruch. Die beiden folgen ihm die Treppe
hinab. Nach einer Minute kommt er wieder nach oben. Allein.
## Auf Kurs bleiben
Vor der Men-Strip-Bar am Ende der Großen Freiheit schiebt Fabian Zahrt den
Ärmel seines Hemds nach oben. Auf seinem Arm ist eine Tätowierung zu sehen,
ein Anker, ein Herz, ein Leuchtturm. Glaube, Liebe, Hoffnung. Auf dem
Handrücken hat er sich einen Sextanten stechen lassen, ein Messgerät für
das Navigieren auf See. „Damit ich nie vom Kurs abkomme.“
Freundlichkeit und Ehrlichkeit, sagt er, das ist der Weg. Er ärgert sich
darüber, dass die betrügerischen Methoden mancher Kollegen St. Pauli in
Verruf gebracht haben. „Ich kann nicht Scheiße als Schokoladeneis
verkaufen“, sagt er. „Weil das ist nicht das Gleiche.“
Inzwischen ist es nach eins. Fabian Zahrt scannt die Menge auf der Großen
Freiheit mit müden Augen. „Mädels! Lust auf nackte Männer?“ Dann zündet…
sich noch eine Zigarette an. „Das ist ein Scheißtag heute.“ Er zupft an
seinem Hemd, verschränkt seine Arme, löst sie wieder. Es gibt keinen
Moment, an dem er nicht in Bewegung ist. Morgens um vier, fünf Uhr wird er
sich ins Auto setzen und nach Hause an den nördlichen Stadtrand fahren. Bis
die Neonlichter wieder angehen in St. Pauli und die Show von Neuem beginnt.
20 Mar 2014
## AUTOREN
Gabriela Keller
## TAGS
St. Pauli
Schwerpunkt Stadtland
Hamburg
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