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# taz.de -- Die Wahrheit: Puder, Pusteln, Pastelle
> In diesem Frühjahr feiert der Puder sein Comeback. Mit Blei und Zinkoxyd
> können Modefreunde das Schönheitsideal der Aristokratie nachempfinden.
Bild: Dezent abgepuderte Gesichter erstrahlen in nobler Blässe.
Der Frühling trägt Puder und Pastell, verkündet der Otto-Katalog gut
gelaunt. Dabei ist mit Puder gar kein Puder gemeint, sondern eine neue
Farbe, die aber eher alt aussieht. Sie liegt im Farbton zwischen den
fleischfarben schillernden Plastiktüten, die man ungefragt beim türkischen
Gemüsehändler bekommt, und dem gelbstichigen Altrosa von Korsagen aus den
fünfziger Jahren.
Puder ist in seiner unaufdringlichen Anmutung die ideale Wandfarbe, auch
wenn noch empfindsamere Gemüter vielleicht lieber „Zartes Puder“ wählen
werden, Alpinas neue Wandfarbe für das Schlafgemach, einen „farblich
nuancierten Grauton“. Wer morbide Assoziationen nicht fürchtet, kann sich
dagegen in „Sanfte Erde“ betten und wird von dieser Farbe laut Hersteller
augenblicklich mit „warmtoniger und gemütlicher Raumwirkung“ belohnt.
Eine leicht fruchtige Note im Auditorium verleiht „Sinfonie“; „Tiefer
Traum“ wiederum mag auf den beliebten Tiefenrausch anspielen, den die
kräftigen Lösungsmittel auslösen. Was dagegen „Dunkle Eleganz“
(Eigenwerbung Alpina) im Schlafzimmer bedeutet, mag jeder für sich selbst
entscheiden. Man möchte jedenfalls alle diese Farben austrinken wie einen
kräftigen Rotwein, die Nebenwirkungen allerdings wären beträchtlich.
Puder kann aber auch „zart wie ein Sorbet“ sein, jedenfalls wenn man dem
Blog [1][shoe-stories.de] Glauben schenken möchte, das sich von pastelligen
Pudertöne zart umschmeichelt sehen möchte. Genau das wünschte sich auch die
Gattin Heinrichs VIII., Anne Boleyn, die vor ihrer Hinrichtung klagte: „Es
ist Zeit, dass sich der Henker an die Arbeit macht, denn ich habe kein
Körnchen Puder mehr. Und der König würde zweifelsohne seine Grausamkeit so
weit treiben, mir keinen Puder mehr zu erlauben.“ Der Puderrausch des
Rokoko zerstob in der Französischen Revolution, und ebendies war ein Segen
für die Haut.
## Schluss mit dem Übermehlen
Durch die exzessive Verwendung des aggressiven Bleipuders war die Haut der
Konsumenten „meist schlaff, gelb und fahl, übersät mit Pusteln und
Ekzemen“, wie der Cross Dressing Guide zu berichten weiß. Zur Zeit Marie
Antoinettes wurde der Puder so dick aufgetragen, dass die Gesichter wie aus
Marmor gemeißelt wirkten.
Der Puder setzte sich seinerzeit aus Reis- oder Weizenstärke, Zinkoxyd und
Talk zusammen. Doch die scheinbar ewige Schönheit der kunstvollen
Kalkgesichter konnte leicht zerbröseln, weil überall Gefahren lauerten:
Regenschauer, Schweißausbrüche und natürlich jede Art von Mimik. Lachen
musste komplett unterdrückt werden und führte gerade deshalb zu
zerstörerischen Explosionen. Dazu kam, dass sich damals Scherzpuder aus
Blütenstaub einer zweifelhaften Beliebtheit erfreute. Bei den Maskenbällen
und Gartenfesten brachte dieser Pollenpuder alle Allergiker in der Runde
zum Niesen und richtete in den marmorierten Gesichtern große Verwüstungen
an. Großflächige Restaurationsarbeiten standen anschließend an. Gut, dass
man dazu Puders Schwester, die Pastellfarbe, benutzen konnte.
Meyers Großes Lexikon definiert Pastellfarben als „Teigfarben“, die
natürlich in der Pastellmalerei verwendet werden. Beim Auftrag der
trockenen Farben entsteht eine charakteristische Rauheit, der sogenannte
Sammet. Pastellmalerei kam damals in der Portraitmalerei vorzugsweise für
arrogante Aristokraten mit teigiger Haut zur Anwendung. Diese unterstrichen
ihr blasses Schönheitsideal durch gezielten Pudereinsatz und hoben sich so
optisch vom damals noch von echter Sonne braun gebrannten Pöbel ab.
Mit der Französischen Revolution war Schluss mit dem Übermehlen, das
Zeitalter der kräftigen Farben brach an, und genau solche wehten den
Revolutionären in Gestalt der Trikolore voran. Erst um das Jahr 1900 sollte
das Pudern wieder gesellschaftsfähig werden, doch 1944 zerbröselte die
Erfindung des Flüssig-Make-ups die Macht des Puders erneut.
Jetzt, im Frühling 2014, winkt die Renaissance des Puders und Puderns. Seit
jeher wurden die Pastellfarben mit zerriebenem Gips, Kreide, Ton und
Zinkoxyd vermischt. Diese alte Technik kann sich der modebewusste
Pastellfarbenfreund zunutze machen und so preiswerte Pastell- und
Puderfarben selbst kreieren. Dazu geben wir die bunte Vorjahrsmode in ein
Bad aus gequirltem Eigelb und Eiweiß. Dann die Kleidung mehrfach darin
wenden und anziehen. Sich anschließend in einer Wanne mit Gips, Mehl und
Zahnpasta wälzen, und fertig ist die Puderhose! Die verwaiste
Karnevalsperücke bestäuben wir mit Mehl, dazu schlucken wir eine Handvoll
Kreide und fertig ist die Grundlage für einen sammeten Gesamtauftritt. Der
Frühling kann kommen!
22 Mar 2014
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