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# taz.de -- Schauspieler über Film „Snowpiercer“: „Die Grenzen des Mögl…
> Bong Joon-hos Film „Snowpiercer“ ist ein apokalyptischer Science-Fiction.
> Schauspieler John Hurt über den teuersten koreanischen Film aller Zeiten.
Bild: Tilda Swinton spielt in „Snowpiercer“ die diktatorische Mason.
taz: Herr Hurt, vor den Dreharbeiten zu „Snowpiercer“ haben Sie die
Geschichte der Comicvorlage als vereinfachend bezeichnet. Sie haben dann
hinzugefügt, Sie seien sich bei Regisseur Bong Joon-ho aber sicher gewesen,
dass er aus dem Stoff einen komplexen Film machen würde …
John Hurt: Der Film bildet den Mikrokosmos einer Gesellschaft ab, und die
Beschäftigung mit einem Mikrokosmos bedeutet automatisch, dass man sich
beschränken muss. Das betrifft nicht nur die Anzahl der Figuren, sondern
auch die Ereignisse und Erfahrungen der Menschheit. Das ist bei dieser
Geschichte wahrscheinlich so, weil die Autoren über bestimmte Bereiche der
Menschheit sprechen wollten und ihre Ideen am besten in einem Mikrokosmos
ausdrücken konnten. Was ich meinte, war, dass durch diese Verengung eine
Simplifizierung stattfindet. Das muss aber nicht vereinfachend sein,
sondern kann im Gegenteil auch die Ideen des Buches verstärken, anstatt sie
zu reduzieren. Ich habe Bong Joon-ho aber immer vertraut, dass er das im
Blick hat und seine Vision durchsetzen würde.
„Snowpiercer“ spielt im Inneren eines Zuges und ist in der Tschechischen
Republik in einem Studio-Set entstanden. Wie wirkte sich die Enge einer
Studiokulisse auf Ihr Spiel aus?
Das Set war sehr groß. Die verschiedenen Waggonbauten füllten die gesamte
Studiohalle aus – eine faszinierende Erfahrung. Für einen Schauspieler
macht das aber keinen großen Unterschied. Schwieriger war es da schon, den
gesamten Film auf Krücken zu gehen, während mein Bein auf meinen Rücken
geschnallt war. Ich spiele ja einen Invaliden. Für einen Regisseur ist es
sicherlich schwierig, in so einer Umgebung die richtigen Kamerapositionen
zu bekommen, deswegen waren die meisten Sets offen. Zudem hatten die
Wagenbauten einen hydraulischen Unterbau, sodass jedes Abteil in alle
Richtungen bewegt werden konnte. Das Set war großartig und gab einem ein
gewisses Orwell’sches Gefühl.
Sie haben in der Verfilmung von George Orwells dystopischem Roman „1984“
die Hauptrolle gespielt. Auch da ging es wie in „Snowpiercer“ um ein
totalitäres Regime. Glauben Sie, dass wir in totalitären Zeiten leben?
Ich denke, davon ist man nie sehr weit entfernt. Ich glaube zudem, dass man
nie die Freiheit besitzt, die man glaubt zu besitzen.
Haben Sie an Ihrer Figur des Gilliam mit Bong Joon-ho eigentlich etwas
verändert? Tilda Swinton hat ihre Rolle als diktatorische Mason ja zusammen
mit Bong Joon-ho erst erfunden und selbst geschrieben.
Tildas Rolle ist, soweit ich weiß, unter anderem an die Person ihres
ehemaliges Kindermädchens angelehnt, das sie hasste. Von ihm hat sie auch
die Sprache und die Zähne übernommen. Es gibt zwei Zugriffe auf ihre Rolle:
Man kann sie in Bezug auf ihre Macht als Monster sehen. Man kann Mason aber
auch auf eine komischere Art begegnen, und das hat Tilda brillant
hinbekommen. Bei meiner Figur des Gilliam geht das nicht, da es eindeutig
eine sehr ernsthafte Rolle ist.
… die sich zum Ende ja auch noch einmal radikal wandelt.
Ja, denn es stellt sich heraus, dass Gilliam nicht der ist, für den wir ihn
gehalten haben. Im Wesentlichen glaubt er, dass es für jeden Menschen einen
bestimmten Platz im Gefüge gibt. Die Figur zu untersuchen lohnt sich,
Gilliam ist sehr rätselhaft.
Wenn man Gilliam mit Mason vergleicht, so ist Mason eine überdeutliche
Verkörperung des Bösen …
… weil sie dumm ist.
Gilliam scheint im Nachhinein der größere Schurke …
… weil er eben nicht dumm ist. Er unterstützt eine Idee, die eben nur bis
zu einem bestimmten Punkt geht. Man könnte sagen, dass es seine Funktion
ist, die Bevölkerung kleinzuhalten.
Gilliam erscheint aber auch fast als Märtyrer, der bereit ist, sein Leben
zu opfern. Wie löst sich dieser Widerspruch für Sie?
Das Einzige, was ich dazu sagen kann, ist, dass es eben einen Widerspruch
darstellt. Das einzig Interessante im Leben sind die Widersprüche.
Bei Science-Fiction-Filmen wie „Snowpiercer“ muss vieles stimmen, damit
sich jenseits der Schauwerte noch weitere Bedeutungsebenen erschließen, wie
zum Beispiel in „Alien“, in dem Sie ja auch mitgespielt haben.
Science-Fiction zeigt einem die Grenzen des Möglichen auf. „Alien“ war ja
nicht primär ein futuristischer Film. Es ging um die Möglichkeiten des
wissenschaftlichen Fortschritts und wie die Menschheit am Ende damit
umgehen würde – nämlich auf eine sehr menschliche Art. Es geht immer um die
gleichen Dinge, nur dass man eben im Weltall ist.
Oder in einem Zug, der die Erde umkreist. Besitzt das Science-Fiction-Genre
in Ihren Augen die Möglichkeit, eine andere Wahrheit zu erzählen oder
Geschichten zu erzählen, die man sonst nicht erzählen könnte?
Ich schätze schon. Ich denke, es geht bei Science-Fiction auch immer darum,
unsere Vorstellungskraft zu reizen – ein Angebot, das viele Menschen gerne
annehmen, da sie alleine dazu nicht fähig wären. Mit ein wenig Hilfe
gelangt man so zu einem neuen Nachdenken, wozu diese Filme den Anstoß
geben.
Ist Science-Fiction für Sie das intelligentere Genre, da in ihm die
Geschichten nochmal ganz anders verschleiert werden?
Wenn man sich Aldous Huxleys Roman „Schöne Neue Welt“ ansieht, ist das
sicher richtig. Aber ist „1984“ auf der anderen Seite überhaupt
Science-Fiction? Eigentlich nicht, denn ursprünglich wurde das Buch als
eine Polemik geschrieben. Es war als Prophezeiung gemeint. Die Verfilmung
von Michael Radford ist zudem hochgradig metaphorisch. Hier ist es
schwierig, den Begriff der Science-Fiction anzuwenden. Es eine bestimmte
Form von Fiktion, aber die Realität ist schließlich auch nicht die
endgültige Wahrheit. Es kommt immer darauf an, wie man sich der Realität
nähert. Selbst beim Dokumentarfilm ist entscheidend, wie man Realität
filmt. Wie auch immer man es macht, hört sie dadurch automatisch auf,
Realität zu sein.
Der Start von „Snowpiercer“ wurde von einer medialen Debatte begleitet. Was
sagen Sie persönlich zu der Diskussion um die Kürzungen, die Harvey
Weinstein für den US-amerikanischen Markt am Film vornehmen wollte?
Ich denke, es ist mittlerweile mehr oder weniger bekannt, dass dieser lange
Streit zu einem Ende gekommen ist und dass es keinen Neuschnitt des Filmes
geben wird. Natürlich will Harvey Weinstein immer das letzte Wort haben,
und ich bin nicht sonderlich glücklich darüber, dass der Film in den USA
nun einen kleineren Start bekommt als ursprünglich geplant. Aber wenigstens
wird es der Film sein, den uns Bong Joon-ho zeigen wollte. Es wird keine
vereinfachte, massenkompatiblere und andere Version des Films geben, und
das ist wichtig.
2 Apr 2014
## AUTOREN
Toby Ashraf
## TAGS
Tilda Swinton
Science-Fiction
Bong Joon-ho
Film
Ridley Scott
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