# taz.de -- Borussia Dortmund: Die Suche nach der Gier | |
> Niemand kann derzeit dem FC Bayern gefährlich werden – so scheint es. | |
> Selbst in Dortmund ist man hilflos. Wie war das noch mit der Gier? | |
Bild: Jürgen Klopp darf einem schon mal unheimlich sein | |
Sie ist abhandengekommen. Irgendwo auf der Strecke geblieben. Dabei war sie | |
in Dortmund doch zum Leitmotiv auserkoren worden. Spätestens in seiner | |
ersten Meistersaison 2010/11 etablierte Trainer Jürgen Klopp ein anderes, | |
ein härteres Vokabular in Fußballdeutschland: „Gier“ und „gierig auf den | |
Erfolg sein“ lauteten die Schlagworte für den Angriff auf die nationale | |
Vorherrschaft des FC Bayern. Die Kampfansage in vier Buchstaben wurde von | |
allen beim BVB übernommen, sei es von Kapitän Sebastian Kehl, Sportdirektor | |
Michael Zorc oder – immer wieder – von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzk… | |
Inzwischen aber scheint ob der Dominanz des FC Bayern auch der Schrei nach | |
mehr Gier nicht mehr zu fruchten. In der Bundesliga liegt man 23 Punkte | |
hinter den Bayern auf Rang zwei. Die letzten drei direkten Duelle, klammert | |
man den Supercup aus, gewannen die Münchener. | |
Was dem BVB fehlt? Klar: „Wir brauchen wieder die absolute Gier, ein Spiel | |
unbedingt gewinnen zu wollen“, versuchte Watzke Ende vergangenen Jahres in | |
einem [1][Interview] mit der Süddeutschen Zeitung eine Renaissance zu | |
beschwören. In der Meisterschaft vermissen die BVBler diese Eigenschaft | |
seit etwa einem Jahr, ziemlich genau seit dem Zeitpunkt, zu dem in München | |
aus einer herausragenden Mannschaft die Überbayern erwuchsen. | |
Und heuer? Eine Chance zu einem neuerlichen Angriff auf die Roten könnte in | |
den direkten Duellen des BVB gegen Bayern liegen, ob in einem | |
DFB-Pokalfinale oder in einem Champions-League-Halbfinale. Vorher muss die | |
Borussia allerdings Real Madrid schlagen. Allein dazu muss die Gier | |
wiederentdeckt werden. Aber wie kam es überhaupt, dass der Begriff beim BVB | |
positiv umgedeutet wurde? Gier scheint doch stets die Wurzel allen Übels zu | |
sein, wie der BVB 2005 selbst feststellte, als er fünf Jahre nach dem | |
Börsengang kurz vor der Insolvenz stand. Gibt es auch eine positive Gier? | |
Wenn ja, wo und wie? | |
## Der Kapitalismus machte Gier positiv | |
Zumindest so viel schien man doch zu wissen: Gier ist verurteilenswert, | |
wenn auch von sehr unterschiedlichen moralischen Standpunkten und | |
Institutionen aus gesehen – sei es als Todsünde im Katholizismus, sei es | |
als Tötungsmotiv im Strafrecht („Mörder ist, wer aus Habgier einen Menschen | |
tötet“), sei es nach Marx bei einer ungerechten Verteilung – etwa als | |
Erwachen der „Goldgier“ – oder nach Gandhi. Eine positive Deutung erfuhr | |
die Gier erst in der Welt des entfesselten Kapitalismus. | |
„Gier ist gut. Gier ist richtig. Gier funktioniert. Gier ist das Wesen der | |
Evolution“, ließ Regisseur Oliver Stone seinen finsteren Börsenspekulanten | |
Gordon Gekko beziehungsweise dessen Darsteller Michael Douglas | |
stellvertretend für eine ganze Zockerkaste im ersten Teil von „Wall Street“ | |
1987 sagen. Gekko hat in dem Börsenspekulanten Ivan Boesky ein | |
authentisches Vorbild. | |
Und wenn man Jürgen Klopp da am Spielfeldrand wüten, die Zähne fletschen | |
oder abfällige Handbewegungen machen sieht, so darf einem das schon ähnlich | |
unheimlich vorkommen. Auch wenn das Gros der Leute in Klopp immer noch den | |
„positiv verrückten“ Fußballnarren sieht. | |
Vielleicht hilft ein Blick auf die semantischen Wurzeln von „Gier“. | |
Etymologisch liegen Habgier, Geiz und Begehren nah beieinander, sie haben | |
denselben Wortstamm. Der Begriff „Gier“ stammt von dem mittelhochdeutschen | |
Verb gitsen ab, das sich zunächst mit „heftig verlangen“ und „übertrieb… | |
sparsam sein“ übersetzen lässt. Auch das lateinische avaritia (vom | |
Wortstamm avere – „begehren“) beinhaltet diese beide Bedeutungen und | |
verfügt mit „unmäßige Begierde“ noch über eine dritte. Damit ist die | |
Maßlosigkeit einbezogen. | |
## BVB hat den Anschluss nicht geschafft | |
Der tschechische Ökonom Tomas Sedlaek – „Die Ökonomie von Gut und Böse“ | |
(2009) – hat vor einigen Jahren in einem Interview die Wesenszüge der Gier | |
gut umrissen: Die Gier besitze „stets diesen Januskopf“, sagte er. „Sie i… | |
Motor des Fortschritts, aber auch Ursache unseres Absturzes.“ Wenn man so | |
will, beschrieb er die Dialektik der Gier. Er sagte auch in dem Gespräch | |
über sein Buch in Bezug auf die biblische Genesis: „Gier ist der Anfang von | |
allem, der Beginn unserer Geschichte.“ Der Anfang einer neuen Vorherrschaft | |
vielleicht? Oder wie war und ist Gier nun beim BVB zu verstehen? | |
In der Bundesliga konkurrieren auf der ökonomischen Ebene zwei große | |
Kapitalgesellschaften: Die Bayern machten in der Saison 2012/13 einen | |
Umsatz von 431,2 Millionen Euro, die Borussia setzte 305 Millionen Euro um. | |
Im Profifußball gehört die Gier heute zum Geschäft; das kann man finden, | |
wie man will, nur ändern kann man es so schnell nicht. Die Fallhöhe ist | |
entsprechend, denn verpasst ein Verein ein-, zweimal mal die | |
Champions-League-Plätze, droht ein schneller Absturz. | |
Dortmund hat zwar in den letzten Jahren eine ordentliche finanzielle | |
Grundlage geschaffen und Altlasten getilgt, doch den Anschluss an Bayern | |
konnten die Borussen auf der ökonomischen Ebene noch nicht herstellen. Dies | |
zeigt sich auch beim Blick auf den Kader: Die Münchner sind auf jeder | |
Position doppelt gut besetzt. Die Unterschiede zwischen A- und B-Elf sind | |
minimal. Die Personalplanung im Ruhrgebiet ist diesbezüglich noch arg | |
ausbaufähig. | |
Die Gier auf dem Platz ist also interessanter. Gier ist seit jeher im Zweck | |
des Fußballspiels an sich angelegt – als solche konnte sie eben auch immer | |
so manche wirtschaftliche Unterlegenheit wettmachen. Sie kann ausreichen, | |
um Spiele zu gewinnen. Es macht den Fußball faszinierend, dass auch 80 | |
Prozent Ballbesitz den Bayern nicht garantieren, dass sie das Spiel | |
gewinnen – eigentlich. Man mag einwenden, dass derzeit keine Gier des | |
Gegenübers ausreichen kann, um die Bayern zu besiegen. Doch das ist nur die | |
halbe Wahrheit. | |
## Team vom anderen Stern | |
Ein Problem ist, dass die Bayern von vornherein als Team vom anderen Stern | |
wahrgenommen werden. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit schwebt über ihnen. Der | |
extreme Ballbesitzfußball der Münchner fordert nicht nur die spielerische | |
Gier heraus, die man mit Leidenschaft, Hunger, Kampf übersetzen könnte. Vor | |
allem in direkten Duellen fordert die bayerische Dominanz des Spielgeräts | |
vom Gegner neue taktische Konzepte, die auf spielerischer Aggressivität | |
statt auf Ehrfurcht fußen. So wie der BVB die Bayern in den beiden | |
Meisterjahren 2011 und 2012 besiegte, ist der aktuelle Spitzenreiter | |
derzeit nicht zu bezwingen. Das einst vom BVB perfektionierte Gegenpressing | |
nutzen die Münchner inzwischen deutlich effektiver. | |
Die Hoffnung, dass die Dortmunder es schaffen, dem bayerischen Modell ein | |
neues, noch zwingenderes Offensivmodell entgegenzusetzen wabert still durch | |
die Republik. Hieß es früher, das Größte sei es, die Bayern zu schlagen, so | |
heißt es heute: Maximal drei Gegentore sind ein gefühlter Sieg. In diesem | |
Sinne kann man Dortmund die Gier wirklich nur zurückwünschen. Gelingt | |
künftig ein erneuter fußballerischer Machtwechsel kann einem auch Klopps | |
Kasperletheater an der Linie egal sein. | |
Von der Gier im Sinne von Leidenschaft, Hunger, Kampf braucht zudem die | |
ganze Bundesliga mehr. Zuletzt schienen Trainer und Spieler von Teams wie | |
etwa Werder Bremen damit zufrieden zu sein, dass sie nicht zweistellig | |
gegen die Bayern oder den BVB verloren hatten. | |
Hier darf es den Fußballfan sogar maßlos ärgern, wenn die spielerische Gier | |
auf dem Platz fehlt. Beim 3:0-Sieg des HSV gegen Dortmund hat man dann | |
gesehen, wie wichtig Willensstärke im Fußball sein kann – gerade im | |
Abstiegskampf. Ein hart arbeitendes Kollektiv kann im Fußball weiterhin | |
sehr viel gegen technisch und spielerisch überlegene Mannschaften | |
ausrichten. Man schaue sich nur mal den FC Augsburg in dieser Saison an. Da | |
kostet im Übrigen der ganze Kader so viel wie Mittelfeldspieler Javi | |
Martinez von den Bayern. | |
Nimmt man sich ein solches Beispiel, könnte man die spielerische Gier gar | |
zur Rache der Unterprivilegierten gegen die Herrschenden umdeuten. Und dann | |
wiederum könnte man mit Michael Douglas auch sagen: „Gier ist gut.“ Am | |
vergangenen Samstag schien sich der BVB jedenfalls an das Klopp’sche | |
Motivationsprinzip vorsichtig zu erinnern. | |
31 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.sueddeutsche.de/sport/bvb-geschaeftsfuehrer-watzke-wir-brauchen-… | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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