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# taz.de -- Spielsucht und Daddelautomaten: In der Spielhölle
> Das Berliner Spielhallengesetz ist streng. Deswegen gibt es jetzt weniger
> Spielotheken und mehr Cafés. Ein Rundgang durch Berlins Spielotheken.
Bild: Nur noch acht Automaten pro Spielothek sind in Berlin erlaubt.
BERLIN taz | Wenn die Spielhallentür zuschlägt, bleibt die Zeit draußen.
Auf dem Trottoir in einer gutbürgerlichen Wohngegend im Berliner Westen ist
es gerade Samstag, elf Uhr abends. Dort hat Deniz* eben noch hastig an
einer Zigarette gezogen, jetzt lehnt er sich drinnen entspannt in
blütenweißen Hemdsärmeln an eine Espressobar. Der vierzigjährige Sohn
türkischer Einwanderer beaufsichtigt ein musterhaftes Etablissement.
Hier wäre es auch um elf Uhr vormittags so dunkel. Wie bonbonfarbene
Limousinen ragen acht Automaten in den Raum. Auf den Bildschirmen blinken
die Game-Protagonisten: Nixen, Einhörner, bärtige Männer und viele Früchte.
Schwer Spielsüchtige vergessen in solchen Märchenwelten schon mal das am
Schultor wartende eigene Kind.
Eine Frau tritt ein und fragt: „Die Halle gleich nebenan macht euch wohl
Konkurrenz?“ – „Die ist gut für uns“, meint der Manager. „Wenn so ei…
Clique schon spielen will, ziehen die Leute gern von einer Spielothek zur
nächsten.“ Dann lädt er sie ein: „Trinken Sie erst mal einen Kaffee!“ D…
damit verletzt er das Gesetz.
Das Berliner Spielhallengesetz gilt seit Juni 2011 und ist das strengste
aller Bundesländer – mit Vorbildcharakter. In solch einem Etablissement zu
rauchen, mehr als acht Automaten aufzustellen und das Publikum
unentgeltlich zu bewirten verbietet es heute schon. Spätestens im Sommer
2016 werden alle bestehenden Lizenzen hinfällig. Dann müssen in manchen
Straßen die meisten Spielotheken schließen, weil die letzte Bestimmung in
Kraft tritt: ein Mindestabstand von 500 Metern zwischen zwei Hallen.
Ab 2009 wucherten die Daddelhallen in der Hauptstadt. Damals zählte man
hier 393 von ihnen, drei Jahre später schon 584. Zuvor in Problemkiezen mit
hohem Migrantenanteil zu Hause, verschandelten sie mit ihren zugeklebten
Schaufenstern nun auch ruhigere Bezirke. Die Kriminalität in ihrem Umfeld
nahm zu. Jeden Tag versenken die BerlinerInnen heute über eine halbe
Million Euro in Spielautomaten.
Rund 37.000 spielsüchtige Personen, meist Männer, vermuten Experten in der
Stadt. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen geht von rund 200.000
Betroffenen in der ganzen Bundesrepublik aus und von zusätzlich 300.000
schwer Gefährdeten. Weil sie tönen, blinken und einen Teil des Geldes
wieder auswerfen, sind die Automaten für diese Spieler besonders
verführerisch.
## Automatenpersonal
Die Newcomerin hat bei Deniz ein Spiel gewählt. Im Automaten drehen sich
mehrere virtuelle Rollen bis zum Stopp. Wenn gleichzeitig dreimal dasselbe
Emblem hinter der Mattscheibe zum Stehen kommt – wie jetzt drei Zitronen –
gibt es Punkte. Die macht sie zu Geld oder setzt sie neu ein. Nach einer
halben Stunde hat die Frau 20 Euro verspielt. Wären es 80 in einer Stunde,
müsste der Automat zwangspausieren. „Glauben Sie, dass eine Katze hier so
lange auf Beute lauern würde?“, fragt sie. „Eher nicht“, lacht der
Administrator.
Das Personal kommt über Anzeigen oder Tipps in die Spielotheken. Helle
Köpfe haben da auch ohne Ausbildung eine Chance mit Sozialversicherung.
Keiner von ihnen will seine Erfahrungen gedruckt sehen. Manche Gäste suchen
einen Sündenbock, wenn sie verlieren. Da hat ihnen der vorher oder nachher
am selben Gerät Spielende den Gewinn genommen. Da haut schon mal ein Loser
einen Automaten mit dem Hammer ein.
## Rollenspiele
Den SpielhallenmitarbeiterInnen schenkt das neue Gesetz obligatorische
Schulungen in Suchtprävention. „Sie sind die Ersten und vor Ort, also
Ansprechpartner Nummer eins, die am schnellsten problematisches Verhalten
erkennen können. Wir machen ihnen klar, dass sie Menschen helfen können,
ihr Schicksal zum Besseren zu wenden“, erklärt Julia Straub in der
Fachstelle für Suchtprävention am U-Bahnhof Samariterstraße in
Berlin-Mitte. Die Einrichtung der Evangelischen Diakonie ist ein Träger
solcher Kurse.
Die junge Sozialpädagogin entwirft und praktiziert hier den Unterricht mit
sieben Kolleginnen. Ihr funktioneller Seminarraum liegt im Erdgeschoss
einer hell gestrichenen Hinterhofbetonwüste. Einige hundert
Spielothekenangestellte – zur Hälfte Frauen – haben hier schon an
Schulungen teilgenommen. Für die graue Aussicht aus dem Fenster
entschädigen Frau Straubs grüne Augen und farbenfrohes Unterrichtsmaterial.
Niemanden unter achtzehn lässt das Gesetz in die Spielhallen. Also bietet
die Pädagogin dem Personal auch Rollenspiele zum Jugendschutz: „Wir leiten
sie an, auf möglicherweise Gefährdete zuzugehen. Dabei sollten sie ihre
Aussagen besser in der Ichform tätigen. Also nicht: ’Ey, du da, wie alt
bist du?‘ Sondern lieber: ’Ich finde, dass Sie noch sehr jung aussehen, und
bitte Sie, mir Ihren Ausweis zu zeigen!‘ – Bei einer Weigerung: ’Im Sinne
des Gesetzes bin ich gehalten, Sie zum Ausgang zu bitten.Wenn Sie Ihren
Ausweis dabeihaben, können Sie gern wiederkommen.‘ “ 92 Prozent der
Teilnehmenden melden hinterher, die Schulung habe sie im Kundengespräch
sicherer gemacht.
## Ausreden
Nach Mitternacht an einer heute relativ ausgestorbenen ehemaligen
Amüsiermeile der City West – kurz vor einem kleinen Areal von
Stripteaselokalen haben es sich acht Daddelautomaten zwischen Ohrensesseln
in einer Parterrewohnung gemütlich gemacht. Nur ein Kamin fehlt noch.
„Klar“, spricht ein Mann in Lederjacke ins Handy: „Ich muss nur noch mal
tanken!“ – in Spielerkreisen eine beliebte Ausrede. Genau so viel wert
sind: „Ich bin noch mal einkaufen“, oder: „Ich muss was Finanzielles
regeln.“ Ein verhärmter junger Typ zählt vor einem Gerät ein Häufchen
Münzen. Dann läuft er damit zum Nachbarautomaten. Routiniers spucken auf
die Verlustbegrenzung und setzen einfach an mehreren Terminals
gleichzeitig.
## Der Therapeut
„Die meisten Menschen, wenn sie eine Summe in der Tasche haben, denken oft
stundenlang nicht daran. Bei einem Spieler aber korrespondiert sein
mitgeführtes Geld ständig mit dem Gehirn. Es klingelt in seiner Tasche wie
ein Trigger und drängt sich ihm auf, um verspielt zu werden.“ Dies sagt
Josef Kemper. Er arbeitet im Kreuzberger Café Beispiellos, einer von der
Caritas betriebenen Therapieeinrichtung für Spielsüchtige.
Herrn Kemper, Mitte fünfzig – dunkler Schopf, weißes Hemd, spitze schwarze
Schuhe – arbeitete lange im Pflegekinderdienst. Er weiß: Wer sein Glück
permanent in Spielhallen riskiert, hat oft vorher schon viel im Leben
verloren. Hier ist er mit fünf KollegInnen fest angestellt.
Die Klientenzahl der Einrichtung hat sich in den vergangenen zehn Jahren
fast verdoppelt. „Ich mach das Spiel nicht mit“, steht an einer Wand. Im
Raum für Gruppensitzungen thronen ein Kachelofen, ein dicker Kühlschrank
voll nichtalkoholischer Getränke, leise Musik nimmt die Schwellenangst.
„Besonders anfällig für Spielsucht sind Menschen, die bei ihren beruflichen
Kontakten wenig Wertschätzung erfahren: Taxi- und Busfahrer und
Restaurantangestellte“, berichtet der Therapeut. „Ein zusätzliches Risiko
liegt darin, dass man in diesen Berufen ja auch oft größere Geldsummen in
der Hand hält.“ Er holt aus: „Das ist eine der Auswirkungen der Spielsucht:
Der Respekt vor dem Geld nimmt ab. Der Spieler belügt zuerst sich selbst.
Manche stehlen ihren Kindern sogar das Taschengeld. Erst wenn das
Lügengebäude einbricht, begreift er, was das Geld im Alltag anderer
Menschen bedeuten kann: Wenn die Beziehung auf dem Spiel steht, wenn die
Wohnung verloren geht.“ Er fügt hinzu: „Hier wird viel geweint!“
## Zwischenbilanz
Initiator des legislativen Kraftaktes war der Spandauer SPD-Abgeordnete und
Stadtentwicklungsexperte im Berliner Abgeordnetenhaus, Daniel Buchholz. Der
heute 44-Jährige erspäht durch seine randlose Brille den Erfolg: „Die Flut
ist gestoppt. Seit zweieinhalb Jahren haben wir in der Stadt praktisch
keine neuen Spielhallen mehr.“
In den meisten älteren wurde die Automatenzahl vorschriftsgemäß reduziert.
Der Deputierte schmunzelt: „Manche haben Sofas oder Massagesessel
aufgestellt, damit es nicht so kahl aussieht.“ Wenn der Aufenthalt in heute
von Spielhöllen dominierten Straßen künftig wieder angenehmer wird, muss
jedoch die Spielsucht nicht abnehmen. Buchholz nimmt jetzt die Spielcafés
aufs Korn. In Cafés sind je drei Automaten erlaubt, und dorthin sind viele
Geräte einfach umgesiedelt. Untersuchungen zeigen: Nicht in den Hallen,
sondern dort beginnt bei Jugendlichen meist die Sucht.
## Automatenmythen
Am Anfang steht immer ein Gewinn. Danach das Gefühl: Der hätte sich ja
beinah wiederholt! Da ist doch die dritte Zitrone ganz knapp hinter dem
Monitor vorbeigeschrammt! Der Spielsüchtige denkt magisch, glaubt, er könne
das Automatenverhalten vorhersagen oder beeinflussen. An diesem haben seit
zwei Stunden alle nur verloren, also ist er jetzt voll und wird einen
Gewinn liefern. Auf den da drüben dreimal klopfen, und er wird Geld
rausrücken! Viele dieser Annahmen wurzeln im überholten Bild von
mechanischen Automaten. Heute bestimmen Computer mit Zufallsprogrammen,
wann die Geräte wie viel ausspucken.
Nicht dem Zufall überlassen bleiben nur die vom Gesetz vorgeschriebenen
Begrenzungen von Gewinnen und Verlusten. Sie bewirken, dass der vom
Spielothekenbetreiber behaltene Teil der Gesamteinsätze mit geringer
Abweichung immer 40 Prozent beträgt. Im Jahre 2011 hatten die
Geldspielautomaten in Deutschland laut dem Jahrbuch „Sucht 2013“ über 18
Milliarden Euro Umsatz. Dazu bemerkt jemand in einem Netzforum für
Programmierer: „Wer glaubt, durch richtiges Timing beim Betätigen der
Risiko-Taste seinen Gewinn verdoppeln zu können, muss auch glauben, dass
ein Zitronenfalter Zitronen faltet.“
*Die Namen der SpielhallenmitarbeiterInnen sind geändert
10 Apr 2014
## AUTOREN
Barbara Kerneck
## TAGS
Spielhallen
Glücksspiel
Alkohol
Glücksspiel
Automaten
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