# taz.de -- Studie sieht halbe Million Internetsüchtige: Die neue Sucht heißt… | |
> 560.000 "Internetsüchtige" hat eine Studie des Gesundheitsministeriums | |
> entdeckt. Doch die Gegenüberstellung von Online und Offline ergibt keinen | |
> Sinn. | |
Bild: Der Spielsüchtige muss nicht mehr in die Kneipe gehen, um sein ganzes Ge… | |
In Deutschland gibt es angeblich über eine halbe Million | |
"Internetsüchtige". Die Drogenbeauftragte des Bundestags, Mechthild | |
Dyckmans (FDP) hat gestern die erste repräsentative Studie zur | |
Internetabhängigkeit der Deutschen vorgestellt. Süchtig sind demnach etwa | |
ein Prozent aller 14- bis 64-Jährigen. Die wenig überraschende Erkenntnis: | |
Je jünger die Befragten, desto mehr Süchtige. | |
Die jungen Frauen verbringen vor allem ihre Zeit mit Sozialen Netzwerken, | |
bei den Männern sind Onlinespiele besonders beliebt. Die Drogenbeauftragte | |
möchte die Computerspiel- und Internetsucht nun zu einem Schwerpunkt ihrer | |
Arbeit machen und Präventionsarbeit vorantreiben. | |
Es ist ja gut und richtig, dass die Drogenbeauftragte das Problem der | |
Online-Games ernst nimmt. Denn die können tatsächlich hochgradig süchtig | |
machen und dabei helfen, sich das Leben so richtig schön zu versauen. Doch | |
es ist schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Dyckmans den | |
Begriff "Internetsucht" in den Mund nimmt. Was soll das überhaupt bedeuten? | |
Der Studie liegt die Annahme zugrunde, dass "Internetsüchtige" fast nur | |
noch in der virtuellen Welt lebten. "Die Betroffenen verlieren die | |
Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie im Internet verbringen, sie leiden | |
unter Entzugserscheinungen wie Missstimmung, Angst, Reizbarkeit oder | |
Langeweile, wenn sie nicht online sind." | |
Doch vom Internet an sich süchtig sein? Wie soll das gehen? Das Internet | |
wird ja erst durch alles gefüllt, was den Menschen ausmacht. Es mag sein, | |
dass das Internet als Katalysator für vorhandene Süchte gelten kann, oder | |
eine Sucht dort erst beginnt. Aber es ist nichts anderes als das Leben in | |
Digital. Was ist dann das Offline-Pendant zur "Internetsucht"? | |
Wenn man eben nicht vor allem im Netz soziale Kontakte pflegt, | |
Überweisungen tätigt, fernsieht, liest, spielt, telefoniert und sonst alles | |
Mögliche erledigt. Ist man schon süchtig, wenn man den halben Tag damit | |
verbringt, diese Dinge offline zu erledigen und dann gereizt oder | |
gelangweilt ist, wenn man sich nicht mehr um all dies kümmern kann? Ist man | |
dann "lebenssüchtig"? | |
Wenn man das Internet als eine Verlagerung des Lebens in das Digitale | |
begreift, dann ist dieser Antagonismus Unsinn. Dann können sich eben alle | |
Süchte ins Netz verlagern, sogar in verstärkter Form, weil die soziale | |
Kontrolle völlig entfällt. | |
Gut, dass die Drogenbeauftragte dies problematisiert. Der Begriff | |
"Internetsucht" ist trotzdem überflüssig. Der Kaufsüchtige verbringt | |
neuerdings den ganzen Tag bei Ebay und nicht mehr in den Innenstadt. | |
## Das Internet als Spiegel | |
Der Spielsüchtige muss nicht mehr in die Kneipe gehen, um sein ganzes Geld | |
zu verzocken, es reichen ein paar Klicks. | |
Und der Pornosüchtige muss nicht mehr mit dunklen Tüten aus der Videothek | |
schleichen. Das bei all diesen Süchten die sozialen Kontakte leiden, ist | |
klar. Und wenn plötzlich der Internetanschluss gekappt wird, dann gibt es | |
sicher auch Entzugserscheinungen. | |
Doch von einer "Internetsucht" zu sprechen, zeugt von Angst vor einer neuen | |
Art, sein Leben zu führen. Der Begriff suggeriert, dass vom Internet | |
vielfältige Gefahren ausgehen. Er verkennt, dass das Internet unter anderem | |
ein Spiegel ist. Wer dort nur nach Busen sucht, der wird jede Menge finden. | |
Und wer zu einem ausgeprägten Suchtverhalten neigt, tut dies auch online. | |
Nebenbei hat die Studie noch ein paar interessante Fakten geliefert: Und | |
zwar, wie wenig das Internet in Deutschland immer noch genutzt wird. | |
Demnach konnten gerade einmal 54 Prozent der Befragten an der Studie | |
teilnehmen. Der Rest nutzt das Internet nicht mal eine Stunde an einem | |
Wochentag oder am Wochenende. | |
Seit einem Monat weiß man gar: Fast jeder Fünfte war noch nie im Netz. | |
Solange das so ist, kann man mit solchen Meldungen schocken. Wer übrigens | |
glaubt, selbst betroffen zu sein, findet, so die gute Nachricht, schnell | |
Hilfe - einfach was in Google eingeben. Beispielsweise "Selbsthilfegruppe | |
Internetsucht". | |
27 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Rank | |
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