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# taz.de -- Pferderennbahn in Karlshorst: Besuch an der Börse der kleinen Leute
> Die Pferderennbahn in Karlshorst hat einige Regimewechsel sowie zwei
> Weltkriege überstanden. Nun kämpft sie ums Überleben.
Jeden Freitag kommen sie her, Rolf-Jürgen, Leni und "der Schweiger".
Freitag ist Renntag. Sie kommen seit Jahren, einige seit Jahrzehnten,
sitzen an den Biergarnituren, essen Kartoffelsalat und Bulette und
quatschen. "Scheiße, wieder nichts gewonnen", raunzt einer.
Hier, in der Treskowallee in Karlshorst, im Süden von Lichtenberg, wurde
1894 die "Galopprennbahn für Hindernis- und Jagdrennen" eröffnet. Damit ist
sie ein Jahr älter als der Ortsteil. In den 117 Jahren ihres Bestehens
wurde aus der Armee-Jagdrennbahn erst eine Hindernis- und dann eine
Trabrennbahn. Sie überdauerte das Kaiserreich, die Weimarer Republik,
NS-Terror, Sowjetbesatzung, DDR und die Wende.
"Schon wieder die Scheißfavoriten, das kann doch nicht wahr sein", schimpft
ein älterer Mann. Er sitzt mit Freunden auf den Klappbänken, in der Halle
unter der Tribüne. Draußen laufen die Gäule eins bis neun auf dem Turf. Das
dritte Rennen des Abends. Ein großer, schmächtiger Mann mit Schnäuzer stößt
zur Runde. Er hat sich verspätet. "Um 17.30 Uhr schon dit erste Rennen",
sagt er, "dit schmeckt mir nich, da muss ick noch arbeiten."
Gegründet wurde die Karlshorster Bahn vom "Verein für Hindernisrennen", ein
aus preußischen Aristokraten bestehender Männerbund, der dem Gutsherrn
Siegmund von Treskow ein 75 Hektar großes Anwesen abkaufte. Dann wurde
reingeklotzt: Ende des 19. Jahrhunderts säumten ein Teepavillon, ein
Kaiserpavillon, ein Damenpavillon, ein Hotel, ein Fürstenhaus und das
Waagengebäude das Geläuf. Nur das Waagengebäude ist als einziges bis heute
erhalten geblieben - ein sanierungsbedürftiger Fachwerkbau.
Gerade läuft das fünfte Rennen. "Jeld kannste hier nich jewinnen", sagt
Rolf-Jürgen, klein, mit Baseballkappe, um die 70. Er setzt eine Tasse Grog
an und nimmt einen Schluck. "Ich trink immer Grog", sagt er, "Bier mag ich
nicht. Karin, machste mir noch einen?" Seit 40 Jahren komme er her, sagt
Rolf-Jürgen und schaut auf den Bildschirmen, wo "Jazzman", "Super King" und
"Pisepampel" ihre Nüstern gen Ziellinie recken. "Ick komm ja auch jerne",
sagt er, "n bisschen mit den Leuten quatschen, wir kenn uns ja alle hier."
Rolf-Jürgen ist Rentner, zu DDR-Zeiten war er 30 Jahre in der
Metallverarbeitung tätig. Er bleibt, wie die meisten, in der Halle sitzen,
geht nur selten zur Bahn raus: "Nur zum Rauchen."
Zu ihrer Blütezeit Anfang des 20. Jahrhunderts galt die Anlage als schönste
Europas. Gegen Ende der Weimarer Zeit, 1932, wurden hier die ersten
Frauen-Jagdrennen ausgetragen. Eine neue Tribüne wurde 1935 gebaut. 2.500
Tribünenplätze gab es nun, das Gesamtfassungsvermögen lag bei gut 30.000
Leuten. Ein Flachbau, der den architektonischen Machtanspruch der Nazis
nicht protegieren sollte, wie es in den "Karlshorster Beiträgen zur
Geschichte und Kultur" heißt. Weder dort noch in der Festschrift zum
100-jährigen Bestehen der Bahn findet sich allerdings etwas zur Nutzung der
Rennbahn während der NS-Zeit. Jan Eik, Krimiautor und längjähriger
Einwohner von Karlshorst, wundert das nicht: "Als besonders widerständig
oder als kommunistisches Zentrum war Karlshorst zu keiner Zeit zu
bezeichnen." In der Karlshorst-Historie zum 110-jährigen Bestehen heißt es
knapp: "Der Zweite Weltkrieg beendete die Tradition der Karlshorster
Hindernisrennen."
Schon kurz nach Kriegsende, im Juli 1945, fanden in Karlshorst wieder
Pferderennen statt, die ersten in Deutschland. Etwa 3.000 Pferde wurden von
der sowjetischen Übergangsregierung nach Russland überführt, vor Ort in
Berlin wurden Pferde eher geschlachtet denn für Rennen fit gemacht. Kurt
Bading, Journalist und Mitglied des Mariendorfer Trabrennvereins, setzte
sich dennoch bei der Sowjetischen Militäradministration, in Karlshorst
ansässig, für die sofortige Wiederaufnehme des Rennbetriebs ein. Mit dem
Argument, die Steuereinnahmen aus den Wetten für den Wiederaufbau zu
verwenden, konnte Bading den Zentralkommandanten von der Idee überzeugen.
Aus der Hindernis- wurde eine Trabrennbahn. Exakt 46 renntüchtige Pferde
waren Berlin geblieben. 30.000 Leute kamen zum ersten Rennen der
Nachkriegszeit.
Kalle sitzt am Tresen in der Rennbahnkneipe. "Der Einlauf 3 - 8 - 2, das
wärs doch." Überall sind Monitore, auf denen die Zahlen flimmern. Die
Quoten verändern sich im Sekundentakt. Hier ist die Börse der kleinen
Leute. Ein Wettanbieter hat sich eingemietet. Man kann auf alles Mögliche
wetten. Kalle aber setzt auf die Pferde draußen. Ob er einen Tipp hat? "Den
geb ich dir lieber nicht, sonst kommst du immer wieder."
Natürlich ist die Rennbahn auch ein Mekka für Spielsüchtige. Die Einsätze
sind so gehalten, dass auch die Ärmeren wetten können. Es geht los bei 50
Cent, nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Die Siegwette ist der
Klassiker: Man wettet einfach, ob "Jenny de Sade", "Dr. Buntschuh" oder
"Tsunami" gewinnen wird. Die Platzwette ist die risikoärmste und
erfolgversprechendste Wette: Der Besucher wettet auf nur ein Pferd, das
unter den ersten Dreien beziehungsweise ersten beiden sein wird.
Zu DDR-Zeiten war Karlshorst eine Wett-Enklave. "Das war ja der einzige Ort
in der DDR, wo Wetten erlaubt war", sagt Gerd von Ende, Kenner der Berliner
Rennsportszene. "Natürlich war das ein Anziehungspunkt für das Volk, aber
an die großen Zeiten der berühmtesten Hindernisbahn Europas reichte das
nicht heran." Großes Highlight in den 1950er Jahren waren die
Motorrad-Sandbahnrennen. Mit Artur Flemming, dem "Roten Teufel", brachten
Berlin und die Karlshorster Bahn sogar einen eigenen Star hervor. Das
Hauptgeschäft betreffend, wurde die Bahn später, 1977, ins "VEB
Trabergestüte und Trabrennbahn" eingegliedert. Die Rennen waren mit 15.000
bis 30.000 Besuchern im Vergleich zu heute stark frequentiert. Neben
privaten wurden zunehmend "volkseigene Rennställe" gegründet.
Heute ist die Bahn in Händen des "Pferdesportpark Berlin-Karlshorst e. V.".
Die Bahn ist mit durchschnittlich 1.000 Besuchern bei weitem nicht mehr so
gut besucht wie zu Glanzzeiten. Der Wettmarkt hat sich stark gewandelt.
Gewettet wird im Internet und weniger auf Pferde denn auf Fußball. Dem
Rennsport geht es schlecht. Die Bahn gehört immer noch dem "Pferdesportpark
Berlin-Karlshorst" e. V. Noch kann sie sich mit Wetteinsätzen, mit Partys,
die in der Wetthalle stattfinden, sowie mit dem eingemieteten Wettanbieter
über Wasser halten. Aber wie lange noch? Wahrscheinlich ist, dass man,
trotz diverser Querelen in der Vergangenheit, irgendwann wieder mit der
Bahn in Mariendorf kooperiert. Andernfalls könnte es das irgendwann gewesen
sein, mit Karlshorst und dieser traditionsreichen Bahn.
Zielrichter Dirk Griebing freut sich derweil auf den Feierabend. Das
vorletzte Rennen läuft. Der Zielfotograf sitzt direkt an der Bahn in seinem
kleinen Ziellinien-Häuschen. "So, jetzt muss ich mal eben aufpassen." Der
Einlauf ist eindeutig. Mit Auslösen des Zielfotoapparats hat Griebing das
Bild bereits auf seinem Laptop. "Klare Sache", sagt er. Die Sechs ist vorn.
15 Nov 2011
## AUTOREN
Jens Uthoff
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