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# taz.de -- Buch über Krieg im Kino: Wiedereintritt ins Trauma
> Die Autorin Elisabeth Bronfen hat ein kluges Buch über US-amerikanische
> Kriegsfilme geschrieben: „Hollywoods Kriege. Geschichte einer
> Heimsuchung.“
Bild: Wieder und wieder und wieder: Szene aus „Saving Private Ryan“.
Die Kamera kauert zwischen den Soldaten. Zwei Männer, die unmittelbar vor
ihr aus der Deckung gehen und vom Landungsboot springen, werden sofort
erschossen. Dann ist es an ihr, ins Wasser zu gleiten, sie taucht und
taumelt, neben ihr leblose Gestalten, Körperfragmente. Am Strand angelangt,
bewegt sie sich auf Höhe der Panzersperren, Kugeln schlagen im Sand ein,
Wasser spritzt auf das Objektiv, einmal rückt ein blutiger Beinstumpf in
den Blick.
Am Ende der Sequenz löst sich die Kamera – Janusz Kaminski führt sie – vom
Boden, sodass man mehr sieht, als ein Mensch sehen könnte. Dann fährt sie
in etwa zweieinhalb Meter Höhe über den Strand, das Meer ist rot vom Blut
der Gefallenen. Leichen, Tornister, tote Fische und Waffen bewegen sich mit
den Wellen. In der Nahaufnahme des Rückens eines Soldaten kommt die Kamera
schließlich zum Stillstand. „Was ein Anblick“, sagt Captain Miller (Tom
Hanks) unmittelbar vor dieser Kamerafahrt.
Diese gut 20 Minuten dauernde Sequenz setzt ein entscheidendes Ereignis des
Zweiten Weltkriegs in Szene: die Landung der alliierten Truppen an der
Küste der Normandie am 6. Juni 1944. Sie steht relativ am Anfang von
„Saving Private Ryan“. Als Steven Spielbergs Spielfilm 1998 ins Kino kam,
wurde die Sequenz gefeiert: So wahrhaftig, so direkt, so unmittelbar sei
der D-Day noch nie zu sehen gewesen, schwärmten viele Rezensenten.
Es nimmt deshalb nicht wunder, dass Elisabeth Bronfen in ihrem Buch
„Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung“ ausführlich auf diese
Sequenz eingeht. Doch ihre Kriterien sind weder Wahrhaftigkeit noch
Wirklichkeitstreue. Stattdessen fragt sie, wie der „Realitätseffekt“
überhaupt erzeugt wird: unter anderem durch computergenerierte Bilder,
elaboriertes Sound-Design und die Reinszenierung von Szenen aus
vorangegangenen D-Day-Filmen.
## Überwältigung und Reflexion
Bronfen spricht von einem Paradox. Man werde „deshalb affektiv so stark in
Mark und Bein getroffen“, weil die Inszenierung der Schlacht „eine
brillante Kunstfertigkeit zur Schau stellt, die alle Register des
Genregedächtnisses, die ihr zur Verfügung stehen, ausnutzt“.
„Hollywoods Kriege“ profitiert davon, dass Elisabeth Bronfen, die von Haus
aus Literaturwissenschaftlerin ist, ein breites kulturtheoretisches Wissen
in ihre Argumentation einspeist. Vor allem nutzt sie den Begriff der
Pathosformel, den der Kunsthistoriker Aby Warburg geprägt hat. Dabei geht
es darum, „dass jede Erfahrung von Kunst eine produktive Spannung zwischen
einem Zustand des Überwältigtwerdens von der ästhetischen Erfahrung und der
Fähigkeit, sie zu begreifen, in sich trägt“.
In „Saving Private Ryan“ gehört zu diesen Pathosformeln die Einstellung auf
den Rücken des toten Soldaten. Darin verbinden sich Überwältigung und
Reflexion, denn zum einen zielt das Bild, zumal es von melodramatischer
Musik gestützt wird, auf die Mobilisierung des Mitleidens. Zum anderen ist
das Bild als Zitat aus einem anderen Kriegsfilm, aus Allan Dwans „Sands of
Iwo Jima“ (1949), zu erkennen.
Wesentlich ist für Bronfen, dass Filme, die von Kriegen erzählen, sich in
einem Dreieck bewegen: Sie beziehen sich auf einen konkreten Krieg, sie
sind zugleich ihrer Entstehungszeit verpflichtet, und sie reagieren auf
andere, vorangegangene Filme. D. W. Griffith’ „Birth of a Nation“ (1915),
der vom US-amerikanischen Bürgerkrieg handelt, wird zwar als „die
Geburtsstunde klassischer Hollywoodepen betrachtet“, schreibt Bronfen. Doch
weil er die Sklaverei verklärt, gilt er auch als die „Urszene kultureller
Schuld“. Spätere Filme, die den Bürgerkrieg in Szene setzen, etwa Edward
Zwicks „Glory“ (1952), versuchen bewusst, Griffith’ Rassismus zu
überwinden.
## Ich-Spaltungen und Verdrängungsleistungen
Eine autobiografisch inspirierte Neugier kommt dem Buch zugute. Bronfens
Vater, Sohn jüdischer Immigranten, war ein Offizier der US-Armee, der 1945
in Berchtesgaden stationiert war, an der Entnazifizierung der Deutschen
teilhatte und sich in Bronfens Mutter verliebte. Vielleicht ist das der
Grund, warum man Ideologiekritik bei ihr vergebens sucht; wer lesen möchte,
wie Hollywood die Kriege der US-Regierung propagandistisch begleitet, wird
enttäuscht.
Durch diese Unvoreingenommenheit weitet sich der Blick. Etwa dafür, wie der
Film Noir die Ich-Spaltungen, Verdrängungsleistungen und Kriegsneurosen der
heimkehrenden Soldaten auf seine Figuren und deren Erlebnisse überträgt.
Oder dafür, was mit dem US-amerikanischen Heim geschieht, während die
Männer in den Krieg ziehen: Das, was es mehr als alles andere zu schützen
gilt, verändert sich, da die Frauen den Herd verlassen, damit sie in die
Produktion von Waffen und Munition einsteigen.
Ein anderes Kapitel widmet sich den Gerichtsdramen, in denen es immer
wieder darum geht, die, so Bronfen, „unsaubere Grenzlinie zwischen Mord und
Heldentum im Kampf“ abzuschreiten. Während die Richter zu einem Verdikt
finden müssen, können Filme – etwa „Rules of Engagement“ von William
Friedkin (2000) – dieser Eindeutigkeit entsagen. Gerichte, schreibt
Bronfen, streben danach, „einen symbolischen Ausgang aus den Verletzungen
traumatischer Geschichte zu markieren“. Die „filmische Reinszenierung“
dagegen ermöglicht „einen Wiedereintritt in die Untersuchung dieser
Verletzung“. Das Kino arbeitet die Kriegserfahrung wieder und wieder durch,
weil sie zu monströs bleibt, als dass sie sich dauerhaft integrieren ließe.
14 Apr 2014
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
Krieg
Buch
Film
Kinofilm
D-Day
Schwerpunkt Rassismus
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