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# taz.de -- Kritik an „Anzac Day“ in Australien: Elektrobeats statt Nationa…
> Jedes Jahr am 25. April gedenken Australier ihrer blutigen
> Nationalgeschichte mit dem „Anzac Day“. Doch immer mehr junge Leute gehen
> auf Distanz.
Bild: Vor dem National War Memorial in Canberra: marschieren, gedenken und viel…
SYDNEY taz | „Because we are mad“, sagt er und nimmt einen tiefen Schluck
aus seinem Glas. Seit dem Morgengrauen schon fließt das Bier in die Kehlen,
klebt am Boden und hängt als Dunst in der schwülen Luft. Der Pub ist
brechend voll an diesem Feiertag. Nicht nur hier im Function Pub an der
Pitt Street in Sydney, sondern überall in Australien: Mit einer
eigenwilligen Mischung aus Reue und Stolz gedenken die Australier jedes
Jahr ihrer Soldaten, die in den Kriegen des 20. Jahrhunderts gekämpft
haben.
Am 25. April kulminiert das große Gedenken. An jenem Tag vor 99 Jahren
landete der Australian and New Zealand Army Corps (kurz Anzac) auf Seiten
der Entente-Mächte an den türkischen Dardanellen. 1915 war somit das Jahr
des Eintritts von Australien und Neuseeland in den Ersten Weltkrieg und es
war ein militärisches Desaster: 8.000 Australier starben allein an diesem
Tag an den Klippen Gallipolis, 61.000 sollten bis August 1915 in dieser
Schlacht ihr Leben verlieren.
Am Freitag besiegelt Australien mit diesem ambivalenten Datum den Beginn
seiner bis heute andauernden Kriegsgeschichte – Zweiter Weltkrieg,
Korea-Krieg, Malayan Emergency, Vietnam Krieg, Erster Irakkrieg,
Afghanistan und Zweiter Irakkrieg sollten folgen. Im Pub an der Pitt
Street, wo die Veteranen am Anzac Day 2013 langsam im Suff versinken, wird
auf den Bildschirmen eine Gedenkzeremonie aus der Türkei übertragen. Von
„bronzed brave sportsmen in Gallipoli“ spricht ein australischer Offizier
im wandfüllenden Flatscreen.
Solche Lobeshymnen interessieren hier niemand. Aus den Boxen kreischt die
Stimme von AC/DC-Sänger Brian Johnson. Rockmusik fand in Australien immer
schon im Pub statt. Auch am Anzac Day läuft harter, ganz besonders lauter
Rock.
Draußen, an der Pitt Street klicken die Trommeln der „Scottish Regimental
Association“. Sie klicken für die Veteranen. Seit dem Morgengrauen
marschieren ehemalige Frontkämpfer aller Kriegseinsätze in ihren
Regimentern entlang der George Street auf, die Greise des „Liberator
Squadrons South East Pacific“ aus dem Zweiten Weltkrieg oder die
Familienväter des „Light Horse Regiment“ aus dem Ersten Irakkrieg. Helme,
korrekt sitzende Käppchen und Schlapphüte wandern an den Zuschauern vorbei.
## Wandel der Kultur
Je jünger der Krieg, desto mehr Frauen und Nichteuropäer mischen sich unter
die Veteranen. Mit den Kampfeinsätzen änderte Australien seine politische
Kultur: von der ehemaligen britischen Kolonie zum militärischen Verbündeten
des Westens, von einer xenophoben Enklave zum Einwanderungsland. Es war der
Kriegseinsatz in Vietnam, der Premierminister Gough Whitlam 1973 dazu
brachte, die 20 Jahre andauernde White Australia Policy aufzugeben und das
Land für nichteuropäische Einwanderer zu öffnen. Zunächst kamen
Vietnamesen, dann folgten Chinesen, Indonesier, Polynesier, später
emigrierten Iraner, Araber und Afrikaner.
„Cultural Diversity“ ist heute das Leitmotiv der australischen
Einwanderungspolitik und ebenso vielfältig marschieren Veteranen an den
klatschenden Zuschauern vorbei. Zwei indische Jungs im Schottenrock haben
sich den Trommlern der Scottish Regimental Association angeschlossen.
Es ist auch eben diese „Cultural Diversity“ Australiens, die Barry
O’Farell, bis vor kurzem Premier von New South Wales, in einer Ansprache im
Anschluss an die Parade 2013 lobte. Vor dem Anzac Memorial, einem
jugendstilartigen Granitkoloss in Sydneys Hyde Park, spricht O’Barrell von
der Freiheit Australiens und vom Erfolg seiner multikulturellen Identität.
Und eben diesen Multikulturalismus, so die dünne Rechtfertigung, verteidige
Australien mit seinen Kriegseinsätzen.
„Because we are mad“, begründet wiederholt der Angetrunkene im Pub das
kontinuierliche Engagement seines Landes und ein Anflug von Stolz liegt in
den Gesichtszügen des Veteranen aus dem ersten Irakkrieg. „Wir marschieren
immer im Gleichschritt mit den Briten und den USA“, sagt er. „Die Queen ist
unsere Queen und die USA haben uns im Zweiten Weltkrieg gerettet. Seitdem
folgen wir ihnen, weil es so ist.“
Es ist ein seltsamer Fatalismus mit dem die kriegerische Tradition
Australiens legitimiert wird. Kein Flaggenpatriotismus, sondern
Verrücktsein verbindet diese Australier, im Krieg und hier im Pub. Deswegen
singen alle gemeinsam los, als Cold Chisels Rockhymne „Khe Sanh“ aus den
Boxen dröhnt. „And my soul was sold with my cigarettes to the blackmarket
man / I’ve had the Vietnam cold turkey“ heißt es in dem Song – eine Krit…
des Kriegs.
## „Anzac interessiert mich nicht“
Es ist eine ganz andere Madness, die am gleichen Nachmittag eine Gruppe
Mittzwanziger ins Burdekin Hotel treibt. Wenige Meter entfernt von dem
dunklen Anzac-Schrein im Hyde-Park wollen sie nichts wissen von der Queen
und den USA und noch weniger von Rockmusik in Pubs. Das Klicken der
Scottish Drums hat sich in dem dunklen Keller-Club an der Oxford Street in
minimale Clicks und Claps vom DJ-Pult aufgelöst.
Nick Forrest, der Betreiber des Labels Communication Records, bringt sich
an den Plattentellern in Fahrt, während seine Freundin Kim zu seinem
reduzierten House auf den Dancefloor tanzt. Sie trägt ein langes, weißes
Kleid mit enormen Blumenprints, Uniformen oder Abzeichen sind hier nicht zu
sehen.
„Anzac interessiert mich nicht“, sagt Kim. „Mein Vater hat in Vietnam
gekämpft. Das hat ihn kaputt gemacht und unsere Familie auch.“ Nach
Vietnam, einem weiteren Desaster in der Militärgeschichte Australiens,
wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft. Unwillige können nicht mehr
per Losverfahren in Kampfeinsätze geschickt werden. „Für alle, die
freiwillig in den Krieg ziehen oder sich da draußen gerade in den Pubs
besaufen, habe ich keinen Respekt“, sagt Kim. Nick Forrest hingegen ist die
australische Kampftradition doppelt fremd. „Ich komme aus Südafrika. Meine
Familie ist in den Achtzigern eingewandert. Mit Anzac haben wir nichts zu
tun.“
## Mythos Busch
Das Burdekin füllt sich, Nicks Sound wird souliger, mehr Bass, mehr Groove.
Braun gebrannte Mittzwanziger drängen sich auf die Tanzfläche. Sydney ist,
das wird an diesem frühen Abend auch deutlich, Australiens Hauptstadt von
„Flashy Looks“ und von Lifestyle. Kim und Nick gehören einer jungen
partywütigen Elektroszene an. In Sydney, wo die Clubs meist von
eingeflogenen DJs aus den USA und Europa bespielt werden, setzen sie sich
für eine lokale Technokultur ein. Communication Records ist mehr
Partyveranstalter denn Label.
„Anzac Day, das ist für uns der Beginn der kalten Jahreszeit“, und das
bedeutet für Nick, dass sich die Partyszene der Stadt in die Clubs von
Sydney verkriechen muss, ins Burdekin oder ins Abercrombie Hotel zum
Beispiel.
Im Sommer hingegen legen Nicks DJs an einem Ort auf, den man sich in Europa
nicht vorstellen kann: dem Busch. Der Busch ist für die Australier Mythos,
Ungetüm und Sehnsuchtsort zugleich. Er beginnt gleich hinter den
Großstädten und ist riesig. Busch bedeutet Wüste, Urwald, Steppe. Dort, wo
sich einst Farmer durch das Dickicht der Eukalyptusbäume kämpfen mussten –
so will es eine nationalromantische Erzählung –, verlieren sich nun die
Großstädter im hedonistischen Partyspaß. Auf den trockenen Feldern
Victorias oder in den wenigen, verbliebenen Urwaldresten von New South
Wales veranstaltet Nick Forrest seine illegalen Parties. Heute, am Anzac
Day, ist Schluss mit einer „grandiosen“ Busch-Saison.
Nun zwängen sich Partywillige ins kleine Burdekin. In den Pubs gelten die
Regeln des britischen Australiens, da ist um 22.00 Uhr Feierabend. Im
Burdekin gelten die Regeln des Buschs. Der ist wild und es wird lang.
24 Apr 2014
## AUTOREN
Sophie Jung
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